systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

12. Juli 2011
von Tom Levold
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Neurobiologie der Psychotherapie – Der Kongress 2011 in Salzburg

Schneller geht’s kaum. Der Kongress hat vom 1. bis zum 3. Juli getagt und nun liegt schon der begeisterte und anregende Tagungsbericht von Andreas Manteufel aus Bonn vor:„„Gehen‘s auch zum Ärztekongress?“, fragt mich die freundliche Pensionswirtin bei meiner Ankunft in der Mozartstadt. Ich vermute, dass sie eine andere Veranstaltung meint und erkläre, dass ich an einer Tagung über Gehirnforschung und Psychotherapie teilnehme, die viele Berufsgruppen zusammenführt, neben Ärzten auch Psychologen, Philosophen, Sozialwissenschaftler, und neben Wissenschaftlern auch viele Psychotherapeuten. „Das ist uns egal, wir sagen Ärztekongress, das ist einfacher“, unterweist sie mich darin, dass es sich keineswegs um ein Missverständnis, sondern eher um eine verständliche Komplexitätsreduktion handelt. „Neurobiologie der Psychotherapie – Perspektiven und systemtherapeutische Innovationen“ ist für Nichteingeweihte ja auch ein bisschen sperrig“, schreibt Manteufel und erzählt – eingerahmt von eigenen Bildern – dann durchaus nachvollziehbar, was es auf dem Kongress zu hören und zu sehen gab.
Zum vollständigen Tagungsbericht…

11. Juli 2011
von Tom Levold
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Form und Funktion von Beratung

Vor einigen Wochen war an dieser Stelle ein Vorabdruck aus Peter Fuchs‘ neuem Buch„Die Verwaltung der vagen Dinge“ (Zur Zukunft der Psychotherapie) zu lesen. Im Jahre 2000 erschien von ihm in Koproduktion mit Enrico Mahler in der Zeitschrift„Soziale Systeme“ ein komplexer Text zur„Form und Funktion von Beratung“, der an der„alteuropäischen“ Unterscheidung von Rat und Tat ansetzt und die Beratung nicht als gesellschaftliches Funktionssystem analysiert (wie es ja häufig geschieht), sondern als als„ein Schema der Kommunikation, das in allen gesellschaftlichen Kontexten anwählbar geworden ist“, dessen Funktion unter anderem die„Ausbremsung reflexiver Temporalisierung“ ist, was wiederum erlaubt, die Tat respektive das Handeln der zu Beratenden zu verzögern. In der Einleitung heißt es launig:„Die moderne Gesellschaft erzeugt in einem hohen Masse das Phänomen der Beratung. Zumindest in den Kern- und Schlüsselzonen funktionaler Differenzierung wird kaum jemand den Beratungsangeboten entkommen, die von Ernährungs- und Gesundheitsberatung über Klimakteriumsproblemberatung für Männer in den Endvierzigern, von Ehe- über Partnerschaftsberatung bis hin zu Unternehmens- und Politikberatung reichen und insofern längst reflexiv geworden sind, als die Beratung ihrerseits beraten werden kann durch eigens dafür installierte Beraterberatungen.[1] Bereiche des Helfens und des Heilens (Soziale Arbeit etwa oder systemisch inspirierte Familientherapie) definieren ihre Tätigkeiten seit einiger Zeit als Beraten und scheinen damit, wenn man auf einschlägige Studiengänge und deren Ausstattung mit Lehrgebieten achtet, nicht gerade wenig Erfolg zu haben.[2] Unter diesen Bedingungen läßt sich die moderne Gesellschaft, wenn man auf summarische Kennzeichnungen Wert legt, als Beratungsgesellschaft beschreiben (Fuchs 1994a). Es könnte angesichts dieser Lage aber auch nützlich sein, die Frage zu stellen, was durch Beratung unterschieden wird und wovon sie sich unterscheidet. Wir fragen damit nach der Form der Beratung. Die Annahme lautet, dass diese Form sich als ein zeitbasiertes Schema dem Medium der Kommunikation einschreibt und unter bestimmten sozialen Voraussetzungen doppelt plausibel wird: als anschlussfähige Kommunikation eines Aufschubs und als Option für Leute und Organisationen.[3] Der Grund dafür ist aber nicht unbedingt, dass Beratung als Beratung funktioniert“ Der Text ist seit kurzem auch online zu lesen,
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10. Juli 2011
von Tom Levold
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Ritual zum Abschied

„Ein Höhepunkt der letzten Zeit war für mich der unerwartete Besuch von Anja, Tochter eines einstmals mit uns befreundeten Paares, das seit zehn Jahren geschieden ist. Wir haben Anja lange nicht gesehen. Kein Wunder. Denn unser Loyalitätskonflikt mit den getrennten Freunden beeinträchtigte während Jahren die Beziehung zwischen ihrer Tochter und uns.
Mit dem feinen Gespür des Kindes hat Anja unser Unverständnis ihren Eltern gegenüber gemerkt und sich zurückgezogen. Sie hat richtig gespürt, und unsere Reaktion war gewiss kein Meisterwerk an Toleranz. Bei ihrem Besuch als erwachsene Frau, die ihren Weg gefunden hat, konnten wir uns unsere Geschichten erzählen und einen neuen Boden des Vertrauens legen.
Damals haben wir nicht verstanden, warum Anjas Mutter so lange brauchte, den Schmerz der Verlassenen zu überwinden und ihre Eigenständigkeit zu beanspruchen, die neben ihrem ausufernden Mann so wenig Platz bekommen hatte. Inzwischen ist sie aus dem Loch heraus gekrochen und hat ihre eigenen kräftigen Flügel ausgebreitet.
Anjas Vater haben wir übel genommen, dass er uns als Statisten einzubinden suchte in die «beste Scheidung des Jahrhunderts», indem er uns deutlich machte, dass wir grosszügig sein und uns freuen sollten über sein neues Glück. Er lud uns zu imposanten Festen im neuen Haus ein, bei denen er der Welt zeigte, was für eine bedeutende Rolle er zusammen mit seiner jungen Partnerin zu spielen gedachte. Irgendwann waren wir der Allmachtsrituale des Arrivierten leid und blieben weg.
Schmerzlich haben wir realisiert, dass wir nie wieder das gemeinsame Glück der alten Zeit erleben werden, als wir noch mit unseren Kindern in zwei kleinen Wohnungen lebten und gemeinsam kochten und Feste improvisierten. Damals fiel es uns leicht, unseren Freund liebevoll über seine expansive Art zu necken. Jetzt irritiert sie uns.
Die Spaltung unserer Loyalität hat natürlich auch mit dieser Irritation zu tun, die weit hinter die Scheidung zurückreicht. Die Idee der besten Scheidung klingt zwar attraktiv, aber sie setzt eine gewisse Gerechtigkeit in den Machtverhältnissen des Paares voraus, die rechtlich nicht zu fassen sind. Wenn diese schief liegen, ist die gleichmässige Loyalität von Freunden und Verwandten zu den getrennten Partnern schwer möglich.
Vielleicht gelingt es uns irgendwann, ein Ritual für scheidungsbetroffene Freunde zu entwickeln, das der Trauer um das, was wir verloren haben, einen guten Platz sichert. Solch ein Abschiedsritual könnte Kindern wie Anja einiges an Leid ersparen.

Im Jahre 2002 hat die im vergangenen Jahr verstorbene systemische Paartherapeutin Rosmarie Welter-Enderlin allwöchentlich Sonntags in der Neuen Zürcher Zeitung eine Kolummne mit dem schönen Titel„Paarlauf“ veröffentlicht, in der sie kleine Beobachtungen und Geschichten aus ihrer paartherapeutischen Praxis für ein größeres Publikum zugänglich machte. Rudolf Welter hat aus diesen Beiträgen eine kleine Broschüre zum Andenken an Rosmarie Welter-Enderlin gestaltet. Mit seiner freundlichen Erlaubnis können die LeserInnen des systemagazin an diesen Sonntagen die Texte auch online lesen.

9. Juli 2011
von Tom Levold
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Towards A Contemporary Social Justice Agenda in Family Therapy Research and Practice

Mit einem emphatischen Editorial leitet Herausgeberin Evan Imber-Black das aktuelle Heft der„Family Process“ ein. Das Heft hat einen deutlichen Forschungsschwerpunkt (u.a. Untersuchungen zur Paardynamik und Paartherapie), ihr besonderes Augenmerk gilt aber einen Aufsatz dreier AutorInnen, die über ihre  Community-basierte Untersuchung von Lateinamerikanischen Immigranten-Familien berichten, in einem politischen Kontext, der zunehmend fremdenfeindlicher und intoleranter wird:„This proliferation of proposed anti-immigrant laws is targeted primarily, though not exclusively, at Latino immigrants. Recent xenophobia has targeted Muslim Americans and Muslim immigrants. The intolerant penchant reflected in this current nativist stew is certainly not new in the United States. Throughout our history, there have been waves of anti-immigrant policy and practices. As in earlier times, the present scapegoating serves as a cynical distraction from the serious economic problems we face. Contemporary bias against immigrants is strong in European countries as well. And while the stated intention is to target those who are in the country without legal documentation, in fact, the underlying sentiment is an attack on those who are different – who come from non-white countries, who have few economic resources, who may hold different religious beliefs or speak another language. The ultimate impact is to raise fear and generate mistrust, even among documented immigrants. For family therapists and researchers seeking new knowledge to help families build better lives, this most reasonable trepidation may keep many from our doors“ Der Artikel von Ana Baumann, Melanie Rodríguez Domenech & José Rubén Parra-Cardona ist ebenso wie das Editorial auch online kostenlos zu lesen, und zwar hier…
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8. Juli 2011
von Tom Levold
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Macht Arbeit depressiv?

Mit seinem Buch Das erschöpfte Selbst. Depression und Gesellschaft in der Gegenwart“ ist der französische Soziologe Alain Ehrenberg 2004 auch einem deutschen Publikum bekannt geworden. Darin erklärt er den Aufstieg der Depression zur Volkskrankheit mit den zunehmenden inneren und äußeren Anforderungen, denen die Menschen im Zeitalter des „Flexiblen Kapitalismus“ in ihren Arbeitsprozessen und Beschäftigungsverhältnissen immer stärker ausgesetzt sind. Rudi Schmiede, Professor für Soziologie an der TU Darmstadt (Foto: ifs-tu.darmstadt.de) hat in einem 2011 von Cornelia Koppetsch im VS-Verlag herausgegebenen Sammelband „ Die Innenwelten des Kapitalismus“ einen Aufsatz mit dem Titel „Macht Arbeit depressiv? Psychische Erkrankungen im flexiblen Kapitalismus“ verfasst, in dem er Ehrenbergs These bekräftigt: „Was folgt aus dieser Diagnose? Für die wissenschaftlichen Bemühungen lässt sich das Postulat formulieren, dass die Arbeits-, Organisations-, Industrie- und Technikforschung ihren Blick stärker auf das Individuum inihrem jeweiligen Untersuchungsfeld richten und weiterentwickeln sollte. Oft vernachlässigte Bereiche der „Innenwelten des Kapitalismus“ wie z.B. die im Kontext von Zielvereinbarungen oder von Projektarbeit veränderten Entlohnungssysteme oder die Vielfalt der (Weiter-)Bildungssysteme und -wege und die damit zusammenhängenden Karrierewege verdienen erhöhte Aufmerksamkeit. Ferner ist die biographische Dimension von Arbeit und Beschäftigung in der Forschung nach wie vor unterbelichtet. Die Forschung müsste deutlich stärker als bisher von der Erkenntnis ausgehen, dass die Wirksamkeit der beschriebenen disziplinierenden, prägenden und potentiell pathogenen Einflussfaktoren direkt mit dem Grad der Unmittelbarkeit der ökonomische markt- und machtvermittelten Durchgriffe des Weltmarkts auf die Individuen, Arbeitsgruppen oder Betriebseinheiten zusammenhängt. Damit sind auch Folgerungen für die Gestaltung der Realität angesprochen: Jede Strategie zur Entkoppelung oder zumindest Dämpfung dieser Unmittelbarkeit ist förderlich, um den Druck auf die Individuen zu vermindern.“ Der Aufsatz ist auch im Internet zu lesen,
und zwar hier…

7. Juli 2011
von Tom Levold
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Der Ursprung des Bewusstseins

1988 erschien erstmals die deutsche Fassung von„Der Ursprung des Bewusstseins durch den Zusammenbruch der bikameralen Psyche“ des amerikanischen Psychologen Julian Jaynes, in dem dieser die hochspekulative These vertritt, das Entstehen des Bewusstseins gehe mit dem Zusammenbruch der von ihm so genannten„bikameralen Psyche“ einher.„Die Menschen in der vorhomerischen Zeit hatten, und das ist die zweite Hauptthese von Jaynes, einen„Zwei-Kammer-Geist“, einen ausführenden und einen befehlenden, beide nicht-bewusst. In Krisenzeiten, wenn eine Situation eine Entscheidung erforderte,„halluzinierte“ der ausführende Geist die Stimme von Göttern, die ihm sagte, was zu tun sei. Die Entstehung der bikameralen Zivilisation setzt Jaynes in die Zeit der Entstehung der ersten Städte, um das Jahr 9000 v. Chr. Zivilisation, sagt Jaynes, ist die„Kunst in Städten zu leben, in denen nicht jeder jeden kennt“. Für das Funktionieren dieser Gesellschaften, seien die halluzinierten Stimmen von Königen und/oder Göttern notwendig gewesen. Der umfangreichste Teil des Buches versucht historische Belege für diese zweite These zu liefern. Die Krise, die durch das Verschwinden der Götter (möglicherweise mit hervorgerufen durch das Aufkommen von Schrift) hervorgerufen wurde, mündete darin, dass die Menschen ein Bewusstsein entwickelten“ (Wikipedia). Das Buch ist spannend geschrieben und trotz seiner spekulativen Anlage immer noch sehr lesenswert. Jürgen Kriz hat hierzu angemerkt:„Hier reichen eigentlich die ersten 120 Seiten – diese sind aber für mich die zentralste phänomenologische Darstellung zum Thema Bewußtsein-Sprache-“Welt“, und z.B. ein “muߓ zum Verständnis der (auch für den systemischen Ansatz zentralen) “Narrationen“.
“ (in: Levold, T. (2000): Zurück in die Zukunft. 149 Bücher aus dem letzten Jahrhundert, die Systemische Therapeuten und Therapeutinnen auch zukünftig nicht vergessen – beziehungsweise noch lesen – sollten. System Familie 13(1), 84-94). Leider ist die Taschenbuchausgabe vergriffen und bei Amazon nur noch gebraucht zu einem Vielfachen des Preises erhältlich. Allerdings lässt sich der gesamte Text des Buches auch im Internet auf den Seiten der Julian Jaynes Society nachlesen,
und zwar hier…

6. Juli 2011
von Tom Levold
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Glauben Sie ja nicht, wer Sie sind!

Provokative Therapie? Muss man irgendwie mögen. E. Noni Höfner, Schülerin von Frank Farrelly sowie Gründerin und Leiterin des Deutschen Instituts für Provokative Therapie, hat im Frühjahr bei Carl-Auer ein Buch mit vielen Fallbeispielen über die Grundlagen des Provokativen Stils veröffentlicht. Dennis Gildehaus hat es gelesen und ist angetan:„Ich kann das vorliegende Buch nur jedem empfehlen, der annähernd mit Menschen arbeitet und gerne etwas ausprobieren möchte, das er so noch nicht angewendet hat. Das Buch zu lesen irritierte mich anfangs, weil es durchgängig im Provokativen Stil geschrieben wurde und mich stets persönlich ansprach. Hervorragend beschrieben sind die 11 Fallbeispiele, da sie komplett transkribiert wurden. Die Autorin hat in Klammern gesetzt, wann gelacht, komisch geguckt oder auch geweint wird, so dass ein Sog entsteht, als wäre man live dabei. Eine Pflichtlektüre für jeden Berater, Therapeuten oder Coach“
Zur vollständigen Rezension… 

4. Juli 2011
von Tom Levold
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Organisationsinternes Coaching

Immer beliebter in Unternehmen wird das hausinterne Coaching als Personalentwicklungsmaßnahme. Das hat Vorteile hinsichtlich der Kenntnis der Organisationskultur, der strategischen Einbindung von Coaching-Prozessen in die Unternehmensphilosophie und in Bezug auf langfristige Personalentwicklung und Karriereplanungen, birgt jedoch notwendigerweise auch Konfliktpotentiale. Es ist oft schwierig, eine echte Vertrauensbeziehung aufzubauen, nicht immer ist wirkliche„Augenhöhe“ zu erreichen, interne Coaches haben mit Loyalitätskonflikten zu kämpfen. Mit diesen und anderen Fragen beschäftigt sich das aktuelle Heft von OSC.
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3. Juli 2011
von Tom Levold
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Ein Paar in Bahntrance

Die Freude einer langen Paarbeziehung besteht auch darin, dass die Partner ähnliche Vorlieben haben. Wir zum Beispiel teilen uns die Lust am Bahnfahren. Wir hängen gerne in einem Abteil der ersten Klasse, du mit einem Bier, ich mit einem Fläschchen Weisswein. Leise tauschen wir Eindrücke aus – im privaten Code eines langen gemeinsamen Lebens. Dazwischen zärtliches Schweigen. Wunderbare Trance, in die uns die Monotonie des Fahrens einlullt, entspannendes Wissen, dass andere verantwortlich sind für uns. Eine solche Fahrt im Ruhewagen erlebten wir kürzlich auf dem Weg zur Expo. Glühend heisser Samstag, die Bahn klimatisiert, freundliche Stimmung unter den Mitreisenden. Ab und zu einvernehmliche Blickkontakte. Keiner muss ins Handy schreien und uns sein Privates mitteilen. Dann vor drei Tagen das Gegenprogramm. Tyrannei der öffentlichen Intimität im Zug nach München, am Ende eines Arbeitstages.
Schon in Zürich beginnt der Ärger; es gibt weder Ruhe- noch Speisewagen. Im Nebenabteil erledigt ein etwa Vierzigjähriger alle aufgestauten geschäftlichen und privaten Telefonate. Mit stolzem Gesichtsausdruck posaunt er Befehle ins Telefon. Für die Mitfahrenden unüberhörbar, was für Produkte Herr Lautsprecher verkauft. An seinem Tonfall erkennen wir, welche Position der von ihm Angerufene in der Unternehmenshierarchie hat. Aber wollen wir das wirklich hören? Du und ich schauen uns kopfschüttelnd an, suchen vergeblich nach Ohropax und halten uns schliesslich die Ohren zu. Eine das Gegenteil bewirkende Anstrengung!
Unsere Lage ist hoffnungslos. Freie Plätze gibt es keine. In St. Gallen steigt der Dauerredner aus. Dafür steigt eine Dame mit ihrem Teenager-Sohn ins Abteil. Und so geht die Tyrannei des Handy- Geschwätzes gleich weiter. Diesmal als Duett von Sopran und Stimmbruch. Als ein Mitreisender sich beschwert, muss der Stimmbruch-Jugendliche mit seinem Gerät in den Gang; der mütterliche Sopran aber singt ungestört weiter. Bis München haben wir sicher ein Dutzend Mal gehört, dass unser Zug dort um 22 Uhr eintreffen wird. Auf der Rückreise lächelt uns das Glück. Ein Geistlicher setzt sich neben uns. Wir lächeln uns zu und fallen bald in die übliche Bahntrance. Bis unser Nachbar ein Handy aus der Tasche zieht. Jetzt redet er mit dem lieben Gott, flüsterst du. Aber der Geistliche redet nicht, er hält ein Ohr an den Hörer, richtet den Blick nach oben, sicher eine Viertelstunde lang. Papst oder lieber Gott? Egal. Wir schauen uns an, und unsere Welt ist bis Zürich in Ordnung.

Im Jahre 2002 hat die im vergangenen Jahr verstorbene systemische Paartherapeutin Rosmarie Welter-Enderlin allwöchentlich Sonntags in der Neuen Zürcher Zeitung eine Kolummne mit dem schönen Titel„Paarlauf“ veröffentlicht, in der sie kleine Beobachtungen und Geschichten aus ihrer paartherapeutischen Praxis für ein größeres Publikum zugänglich machte. Rudolf Welter hat aus diesen Beiträgen eine kleine Broschüre zum Andenken an Rosmarie Welter-Enderlin gestaltet. Mit seiner freundlichen Erlaubnis können die LeserInnen des systemagazin an diesen Sonntagen die Texte auch online lesen.

2. Juli 2011
von Tom Levold
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III. internationale systemische Konferenz 9.-11.6.2011 in Prag


Vom 9.-11. Juni fand in Prag die III. Internationale Systemische Konferenz zum Thema„Glaubenssysteme und Systemisches Handeln – Systemische Denkmodelle und ihre Praxis“ statt, eine kleine, aber spannende Tagung mit Referenten aus den USA, Mexiko und Europa – bei schönstem Wetter und in entspannter Atmosphäre, veranstaltet vom ISZ-Institut in Prag. Keinen eigentlichen Tagungsbericht, aber eine sehr persönliche Geschichte ihres Tagungsbesuches hat systemagazin-Leserin Sabine Schlotter aus Dresden aufgeschrieben, den Sie heute im systemagazin lesen können:„In Prag habe ich nun von anerkannten Fachleuten etwas über die Kunst der Improvisation in der Psychotherapie gelernt und erfahren, dass es vieler Kompetenzen bedarf, um sich durch den Alltag zu wursteln – „to solve one damn thing after another“ habe das Steve de Shazer einmal genannt. (…) Ich nehme aus Prag die große Ermutigung mit, dass ich nicht die Einzige bin, die sich jeden Tag aufs neue irgendwie mit den ihr gegebenen Talenten durch die verdammten Einzelheiten kämpft. Und die Enttäuschung, dass sich das nicht irgendwann geben wird. Das beinhaltet aber ja auch die Aussicht auf eine stetige Lebendigkeit des Alltags – langweilig wird es so wohl auch nicht!“
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29. Juni 2011
von Tom Levold
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Kontext 2012: call for papers der Herausgeber

Liebe Leserinnen und Leser,
im Zusammenhang mit der DGSF-Jahrestagung 2012 in Freiburg (3. bis 6. Ok- tober), Titel: »Dialog der Kulturen – Kultur des Dialogs«, planen wir für das nächste Jahr eine Ausgabe des „Kontext“ zum Thema interkulturelle Kommunikation, Beratung und Therapie. Wir möchten deshalb auf diesem Wege alle Leser(innen) um Geschichten bitten, in denen über ganz konkrete eigene Begegnungen und Erfahrungen im interkulturellen Raum berichtet wird, bei denen Selbstverständlichkeiten unserer Kultur durch den Kontakt mit Menschen anderer Kulturen und Milieus in Frage gestellt oder bestätigt wurden bzw. sich als wenig bedeutsam erwiesen haben. Diese würden wir gern in dem geplanten Themenheft veröffentlichen – im Sinne eines praktischen interkulturellen Dialogs.
Wir möchten in diesem Zusammenhang auf der Freiburger Tagung eine Workshop anbieten, in dem diese Geschichten von ihren Autor(inn)en erzählt und dialogisch ausgetauscht werden. Vielleicht ergeben sich hier kommunikative Prozesse, deren Ergebnisse das Themenheft ebenfalls bereichern können.
Noch einige Worte zu dem von uns vertretenen Kulturbegriff, den wir sehr breit anlegen: Kulturen sind nicht unbedingt durch nationale Zugehörigkeiten definiert, auch unterschiedliche Milieus einer Gesellschaft können unterschiedliche Kulturen bzw. Subkulturen entwickeln. Interessant sind außerdem Erlebnisse, die Ähnlichkeiten oder Gleichheiten über unterschiedliche Kulturen hinweg zum Thema haben, denn warum sollen unterschiedliche Kulturen immer nur durch Differenzen bestimmbar sein ? Gibt es vielleicht auch Gemeinsamkeiten, die sich überall auf der Welt finden lassen, wie etwa die von C. G. Jung beschriebenen Archetypen, oder ein universelles Verständnis für Gerechtigkeit und Respekt?
Alles ist willkommen: Erfahrungsberichte, Geschichten, Anekdoten aus Freundschafts- und Liebesbeziehungen, Vereinen, Schulen, Beratungen/Therapien, religiösen Gemeinschaften oder kulturellen Veranstaltungen, die einen erfahrungsorientierten und reflexiven Blick auf unterschiedliche und gemeinsam geteilte Wirklichkeiten ermöglichen.
Wir freuen uns auf eure/Ihre Beiträge!
Wolf Ritscher, Petra Bauer, Dörte Foertsch, Tom Levold

Kontakt: Prof.Dr.WolfRitscher@t-online.de