Am 24. April 2023 findet von 10-16:30 h ein Online-Fachtag der DGSF mit Unterstützung der Transferagentur der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen statt, die sich mit dem Stand der aufsuchenden Familienhilfe beschäftigt. Es werden empirische Einblicke in den Stand der bundesweiten Studie „Aufsuchende-Familienhilfen-Evaluation“ (ASUEVA) der Universität Bielefeld gegeben, auf verschiedenen Ebenen wird der Frage nachgegangen, inwiefern eigene Anteile wie z.B. Konkurrenz, Kooperationsprobleme oder nicht erfolgende Zusammenschlüsse mit anderen Trägern die Entwicklungen eventuell beeinflussen und was konstruktiv auch unter schwierigen strukturellen Bedingungen geändert werden könnte. Da die Entwicklung und Durchsetzung von Standards in Qualität, Personalausstattung und Finanzierung vor allem in einem Zusammenschluss von Trägern und Fachkräften erfolgen kann, sollen gemeinsam mit den Teilnehmern u.a. in Workshops Handlungsoptionen erarbeitet werden.
Referenten sind Barbara Richters, Prof. Dr. Holger Ziegler, Anke Lingnau-Carduck, Oda Baldauf-Himmelmann.
Bereits 2021 ist das Buch „Die Depressionsfalle“ von Thorsten Padberg auf dem Markt und hat eine beträchtliche Resonanz ausgelöst. Jürgen Hargens hat diese Arbeit des systemisch orientierten Berliner Verhaltenstherapeuten gelesen und für systemagazin besprochen: mit einer klaren Lektüre-Empfehlung.
Dieses Buch, das muss ich „bekennen“, hat mich fasziniert. Das betrifft den Inhalt – fachlich kompetent – wie die Art der Darstellung: gut lesbar, gut verständlich und mit vielen Beispielen, auch aus der eigenen Praxis, angereichert. Was mich beeindruckte, waren die vielen (Fach-) Informationen, Ausschnitte von Gesprächen mit in- und ausländischen ExpertInnen und vor allem die klare Positionierung, die Padberg (er ist tätiger Psychotherapeut und praktiziert im Rahmen verhaltens- und systemtherapeutischer Ideen) gleich zu Anfang formuliert: „Wenn Depressionen leichter behandelbar und vermeidbar werden sollen, muss es einen anderen, einen lebensnahen Depressionsbegriff geben. Es ist die Aufgabe von Psychiatrie und Psychologie, für ein solches Konzept zu werben, das im Dienste der Veränderung und Prävention steht“ (S. 13).
So steht der Titel des Buches für das, worum es Padberg geht: der aktuelle Umgang mit bzw. das „Bild“, das in der Öffentlichkeit (und der Fachwelt) aktuell vorherrscht, scheint eher störend und wenig hilfreich. Medikamentöse Behandlungen (auch als Ausfluss der Vorstellung, Depression „als Folge einer Stoffwechselstörung im Gehirn“, S. 28) – theoretisch aus entsprechenden Untersuchungen der Hirnforschung abgeleitet – beherrschen die Diskussion, haben aber wenig zur Aufklärung der Ursachen beigetragen und können somit auch keine klaren Angaben zu einer medizinischen Behandlung machen.
Zum 1. Mal vergibt die Systemische Gesellschaft e.V. im Jahr 2023 den Kristina-Hahn-Preis. In Erinnerung an unser ehemaliges Vorstandsmitglied und langjähriges Mitglied Kristina Hahn richtet sich der mit 9.000 € dotierte Preis an soziale Unternehmen zur Umsetzung innovativer Projekte in der Sozialen Arbeit. In diesem Jahr setzen wir den Schwerpunkt auf innovative Projekte in der Arbeit mit geflüchteten Menschen.
Die eingereichten Projektpräsentationen sollten einige folgender Schwerpunkte berücksichtigen: a) sie sind modellhaft in ihrer Bedeutung für eine systemische und lösungsorientierte Bearbeitung einer Problemstellung aus Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit mit geflüchteten Menschen b) sie praktizieren eine gelungene Erarbeitung einer berufsrelevanten Fragestellung, die für die Berufsbilder in der Sozialen Arbeit von Bedeutung ist und c) sie fördern systemisches Handeln an Schnittstellen im Bereich der Jugendhilfe, der Suchthilfe und der Arbeit mit Geflüchteten d) die Projekte zielen auf jene Gruppen von Geflüchteten, die sonst nur schwer oder oft gar keine Hilfe im vorhandenen Sozialsystem finden. e) die Projekte verfolgen erkennbare innovative systemische Ansätze.
Preisverleihung Der Kristina-Hahn-Preis ist mit 9.000 Euro dotiert. Er versteht sich als eine Auszeichnung und Anerkennung der in den Projekten aktiven Menschen. Beim Vorliegen mehrerer gleichwertiger Projekte kann das Preisgeld geteilt werden. Alle eingereichten Projektideen werden auf der Website der Systemischen Gesellschaft in einer Kurzfassung veröffentlicht. Herausragende Projekte können sich nach Absprache gerne in Fachgesprächen Online vorstellen und so mit anderen Expert_innen und Interessent_innen in die Diskussion gehen. Sie sollen anregen, aus der Vielfalt der Ideen Beispiele für die eigene Praxis zu gewinnen. Die Preisverleihung wird im Rahmen der Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft e.V im Mai 2023 in Tübingen stattfinden.
Bewerbung Fristende für die Einreichung der Projektbeschreibungen ist der 15.03.2023. Die Projektbeschreibungen werden vom Vorstand der Systemischen Gesellschaft geprüft, der dann das preiswürdige Projekt bestimmt. Wir bitten um eine aussagekräftige, präzise Projektbeschreibung, die nicht mehr als zwei DIN-A4-Seiten umfassen sollte sowie um eine Kurzfassung für die Website. Ihre Projektbeschreibung senden Sie bitte per E-Mail an Frau Sabine Stührmann und Christiane Liedholz, die Geschäftsführerinnen des Verbandes: gf@systemische-gesellschaft.de
Im Rahmen des Jahreskongresses der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (SGPP) vom 06. – 08. September 2023 in Bern wird der „SO-PSY Luc Ciompi Preis“ verliehen, um wertvolle Forschungsarbeiten zu würdigen, die die humanistische und wissenschaftliche Vision des Gründers weiterführen. Die prämierten Themen betreffen die Rolle der Interaktion zwischen Emotionen und Kognitionen für das Verständnis und die Behandlung von Psychosen sowie psychosoziale Ansätze, die die soziale Inklusion und die Verwirklichung eines erfüllten Lebens fördern. Besonderes Augenmerk wird auf Forschungsarbeiten gelegt, bei denen ExpertInnen aus Erfahrung / Peers in allen Phasen von der Konzeption bis zur Veröffentlichung beteiligt sind.
Nach vier Ausgaben des „Luc Ciompi Preises“ wird die Schweizerische Gesellschaft für Sozialpsychiatrie (SO-PSY) ab 2023 die Fortführung des Preises unter dem Namen „SOPSY Luc Ciompi Preis“ sicherstellen. Relevante Arbeiten können bis zum 31. Januar 2023 auf elektronischem Weg beim Sekretariat der SGPP ( sgpp@psychiatrie.ch) eingereicht werden.
Neben einem kurzen Lebenslauf des Hauptautors sollten sie eine maximal halbseitige Beschreibung der Bedeutung der eingereichten Arbeit für das genannte Problem enthalten. Das Preisreglement und ausführlichere Informationen sind auf www.psychiatrie.ch, www.ciompi.com, und www.so-psy.ch sowie www.sozialpsychiatrie.ch verfügbar.
Mit Interesse habe ich die diesjährigen Beiträge zum systemagazin-Adventskalender gelesen. Als ich die Einladung zum Thema „Zuversicht“ ausgesprochen hatte, war ich unsicher, ob ich ausreichend viele Beiträge erhalten würde. Umso überraschter war ich, dass der Kalender schneller als in früheren Jahren gefüllt war. Das spricht für einen gewissen Bedarf an Zuversicht, wenngleich sich in der Zusammenstellung der Kalenderbeiträge auch die Ambivalenz wiederfindet, die mit meiner ursprünglichen Frage verbunden war. Wie kann man in diesen Zeiten von Zuversicht sprechen? Was bringt dieses Wort zum Ausdruck?
Für Niklas Luhmann handelt es sich bei Zuversicht um eine Sonderform des Vertrauens. In einem Text mit dem Titel „Vertrautheit, Zuversicht, Vertrauen“, der – zunächst auf Englisch erschienen, dann erst ins Deutsche übersetzt – sich mit diesem Begriff beschäftigt, beschreibt er Zuversicht als eine Art generalisiertes Vertrauen in die Funktionalität von Systemen, als Systemvertrauen: „Vertrauen bleibt unerlässlich in zwischenmenschlichen Beziehungen, aber die Partizipation an funktionellen Systemen wie Wirtschaft oder Politik ist nicht mehr eine Sache persönlicher Beziehungen. Sie erfordert Zuversicht, aber kein Vertrauen“ (Luhmann 2001: 156). Während Vertrauen eine Entscheidung im Bewusstsein des Risikos der Enttäuschung von Vertrauen sei, gelte die Zuversicht eher einer nicht reflektierten Erwartung als Grundlage des Vertrauens auf gesellschaftlicher Ebene, z.B. dass das Geld als sicheres Zahlungsmittel auch zukünftig erhalten bleibt, dass man auf die Einhaltung von Verkehrsregeln vertrauen kann, dass man auf politische Entscheidungsverfahren vertrauen kann etc. „Der Hoffende faßt trotz Unsicherheit einfach Zuversicht. Vertrauen reflektiert Kontingenz, Hoffnung eliminiert Kontingenz“ (Luhmann 2014).
Mit diesem Grundvertrauen in das Funktionieren unserer gesellschaftlichen Funktionssysteme bin ich groß geworden, ganz unabhängig von den Bewertungen der jeweiligen politischen Konstellationen und Auseinandersetzungen seit Ende der 60er Jahre. Dass es für ein solches Systemvertrauen in anderen Regionen der Welt in diesen Jahrzehnten wenig Anlass gab, war schon immer klar. Während Krisen und Kriege sich früher in anderen Weltregionen abgespielt haben, sind sie mittlerweile bei uns angekommen. Angesichts der sich abzeichnenden Klimakatastrophe, des brutalen Kriegs in der Ukraine und der allgemein zu beobachtenden militärischen und ökonomischen Vorbereitungen zukünftiger Kriege ist meinem – vielleicht schon immer einäugigen – Systemvertrauen weitgehend der Boden entzogen.
Die Zuversicht, dass die Weltgesellschaft in der Lage ist, die Klimakatastrophe in der dafür noch zur Verfügung stehenden Zeit zu verhindern, habe ich verloren. Nicht nur, weil alle dafür notwendigen (und längst als notwendig bekannten) Bemühungen nur halbherzig, schleppend oder eher nur symbolisch angegangen werden, sondern weil die Kräfte, die diese Bemühungen boykottieren und die Zerstörung des Planeten mutwillig fortsetzen und ausdehnen, nicht kleiner geworden sind. Auf Systemvertrauen kann ich nicht mehr setzen.
Aber gibt es Zuversicht ohne Systemvertrauen? Ich denke schon. Ohne Zuversicht können wir nicht gut (über)leben – wenn das Leben überhaupt einen Sinn haben soll. Wenn also Zuversicht auf globaler Ebene nicht mehr viel Sinn macht, was sind dann andere Quellen von Zuversicht? Ulrich Schnabel, der ein interessantes Buch zum Thema geschrieben hat (2018), hat in einem lesenswerten Interview betont, dass Zuversicht aus der Überzeugung stammt, „dass das, was man tut, einen Wert hat“ und zitiert einen Satz von Vaclav Havel: „„Es geht nicht um die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern um die Gewissheit, dass etwas Sinn macht, egal wie es ausgeht.“ Darin liege der Unterschied zwischen Zuversicht und Optimismus. „Optimismus ist mir zu sehr auf den Ausgang fixiert. Der Optimist denkt, dass sich die Dinge zum Guten wenden, wenn er nur fest daran glaubt. Nehmen wir an, Sie kommen mit einer schweren Krankheit ins Krankenhaus und sind überzeugt, dass Sie wieder gesund werden, wenn Sie nur positiv denken. Dennoch kann es passieren, dass Sie am Ende bleibende Schäden davontragen. Wenn Sie sehr darauf gesetzt haben, dass alles gut wird, kann Sie das umso mehr in eine Depression stürzen. Es gibt nun einmal Situationen im Leben, in denen Sie Schwierigkeiten nicht aus dem Weg räumen können. Da braucht es dann eine andere Art von innerer Stärke. Das ist der Kern der Zuversicht: Auch wenn die Dinge nicht gut ausgehen, kann man Spielräume für sich finden“.
Es geht also nicht um die Eliminierung von Kontingenz. Wenn ich keine generalisierte Zuversicht entwickeln kann, kann ich Zuversicht aus lokalen, regionalen oder zeitlich begrenzten Geschehnissen ziehen. Insofern erfüllen mich Initiativen mit Zuversicht, die mir zeigen, dass das Eintreten für die Menschenwürde und Menschenrechte, gegen die Ausbeutung des Planeten und die Vernichtung der Arten, gegen Korruption und Machtmissbrauch, für soziale Gerechtigkeit gelebt wird, selbst wenn das mit Konsequenzen für Leib und Leben der Aktivisten verbunden ist. Es erfüllt mich mit Freude, wenn junge Menschen die Aufmerksamkeitsökonomie nutzen, um deutlich zu machen, dass die Weiter-so-Strategien eines Systems, das aus seinen Pfadabhängigkeiten nicht herauskommt, die Probleme nicht lösen werden.
Meine besondere Zuversicht richtet sich auf die Bewegung der vielen Menschen im Iran, die bereit sind, ihren Kampf um ein lebenswertes Leben mit dem eigenen Leben zu bezahlen. In mehreren Aufenthalten in den vergangenen Jahren konnte ich mir ein Bild von der Lähmung im Lande machen, die ein Resultat der brutalen Niederschlagung der Proteste gegen die Wahlfälschung von 2009 gewesen ist, der so viele junge Menschen zum Opfer gefallen sind. Den Mut, mit dem nun die Bevölkerung im Iran unter dem Motto Jin, Jiyan, Azadî (Frau, Leben, Freiheit) auf die Straße geht, kann ich nur bewundern. Ob Optimismus angebracht ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Aber aus der Zuversicht erwächst eine Kraft, die überhaupt erst möglich macht, unter widrigen Bedingungen zu handeln.
Das Foto, das ich 2015 in Isfahan auf der Straße von einer Gruppe junger Frauen gemacht habe, die spontan für mich posierten, ohne dass ich sie dazu eingeladen hätte, ist für mich ein Sinnbild für diese Zuversicht. Wenn ich die Nachrichten aus dem Iran sehe, bin ich in Gedanken bei diesen jungen Menschen. Ich bin sicher, dass sie zu denen gehören, die heute gegen das Regime auf die Straße gehen.
Auf einer Weihnachtskarte von Kollegen fand ich folgenden Aphorismus von Jochen Mariss: „Auch wenn uns Zuversicht und Lebensfreude manchmal so klein wie Zwerge vorkommen: Sie sind schlafende Riesen, die wir wecken können“. In diesem Sinne: Wecken wir unsere schlafenden Riesen, geben ihnen Nahrung und lassen uns ein Stück weit von ihnen tragen. Frohe Feiertage!
Literatur:
Luhmann, Niklas (2001): Vertrautheit, Zuversicht, Vertrauen. Probleme und Alternativen. S. 143 – 160 in: Hartmann, Martin und Claus Offe (Hg.): Vertrauen. Die Grundlage des sozialen Zusammenhalts. Frankfurt/Main (Campus).
Luhmann, Niklas (2014): Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. Konstanz (UVK), 5. Aufl.
Schnabel, Ulrich (2018): Zuversicht. Die Kraft der inneren Freiheit und warum sie heute wichtiger ist denn je. München (Blessing)
Die diesjährige Einladung zum „Adventskalender“ von Tom Levold konfrontierte mich sehr deutlich mit der Veränderung meines Lebensgefühls nach dem 24.2.22. Da brach, wie sicher für viele andere auch, eine zuversichtliche Überzeugung, die mich mehr oder weniger mein Leben lang begleitet hatte, in sich zusammen. Ich war mir sicher, dass es in der Welt nach dem zweiten Weltkrieg, nach der Gründung stabiler Institutionen wie etwa der UNO, nach den engen internationalen wirtschaftlichen Verflechtungen keine Kriege mehr geben könnte, die den Charakter von Weltkriegen annehmen könnten. Die lokalen Kämpfe und Kriege waren bedrohlich genug, das Problem der Versorgung einer immer noch wachsenden Weltbevölkerung, der Klimawandel natürlich und die mit Kriegen, Klima und Hunger einhergehenden Flüchtlingsströme – all das sind drängende Themen. Doch dass eine Großmacht, die sich vertraglich verpflichtet hatte, die Grenzen des Nachbarlandes zu respektieren, dieses mit voller Brutalität überfällt, das erlebe ich auf einer anderen Ebene. Ich bin tiefgreifend verunsichert und zugleich mit der eigenen Ohnmacht angesichts der Dimensionen des Geschehens konfrontiert: woran kann man sich noch halten, wenn geschlossene, gültige Verträge mit einem Handstreich gebrochen werden?
Gerade in der vergangenen Woche hatte ich mit Freunden über Bücher gesprochen, die wir in diesem Jahr gelesen hatten. Mir wurde klar: ich hatte mich fast ausschließlich mit Sachbüchern beschäftigt, und sie hatten direkt oder indirekt mit dem Ukrainekrieg zu tun. Mir wurde da noch einmal vor Augen geführt, wie tief meine Beunruhigung ist und wie intensiv ich danach suche, diese makrosystemischen Vorgänge zu verstehen! Kurz und knapp: ich war überzeugt, dass ich auf Toms Einladung diesmal nicht reagieren würde können. Immer wieder und immer öfter kommt mir der Satz von Gregory Bateson in den Sinn: „Es ist zweifelhaft, ob eine Gattung, die sowohl eine fortgeschrittene Technologie als auch diese eigenartige Weltanschauung hat, überleben kann“ (Ökologie des Geistes, 1981, S. 435) – können wir überleben? Zuversicht ist einfach nicht das Wort, das meine derzeitige Stimmung beschreibt.
Und dann sah ich gestern ein Video. Es war die Aufzeichnung einer Online-Konferenz, zu der mein österreichischer Kollege Martin Fellacher und sein Institut „B4HP – Bridges for Hope and Peace“ vor ein paar Tagen geladen hatten. Ausgangspunkt waren die Ideen von Haim Omer, wie die Überlegungen und Methoden des Gewaltlosen Widerstands in verschiedenen Feldern der Beratungsarbeit umsetzbar sein könnten. Ausgehend vom „Elterncoaching“ hat sich das Konzept in ganz verschiedene Bereiche hinein entwickelt (z.B. Führung, Schule, Gemeinde) und es ist mittlerweile in vielen europäischen und außereuropäischen Ländern bekannt geworden. Ziel der Konferenz war es, einen Überblick darüber zu geben, wie sich das internationale Netzwerk mittlerweile weiterentwickelt hat, ein besonderer Schwerpunkt sollte auf dem Gazastreifen liegen, wo die österreichischen Kollegen, vor allem Michaela Fried, besonders aktiv sind.
Nach einem Vortrag von Haim Omer über die kulturübergreifenden Erfahrungen mit dieser inzwischen gut etablierten Beratungsform, stellten verschiedene Kolleginnen und Kollegen ihre jeweiligen Arbeitsfelder im internationalen Kontext vor. In diesem Zusammenhang hörte ich Statements, die mich zutiefst berührten und mir ein Stück verlorener Hoffnung zurückgaben. Zur Konferenz waren Personen, die im Gazastreifen leben und dort als MultiplikatorInnen ausgebildet wurden, eingeladen, ihre Erfahrungen zu schildern (online). Es waren nicht nur Aussagen wie „the most successful experience in my life“ die mich bewegten. Mehr noch war es die Art und Weise wie die palästinensischen (vorwiegend) Frauen sprachen. Die Klarheit und Entschiedenheit, mit der sie ihre Berichte vortrugen und besonders ihre leuchtenden Augen haben mich angesprochen. Ich verstand, dass hier nicht einfach eine Methode gelehrt wurde, sondern dass sich zugleich die besondere Kraft vermittelt, die mit der Idee der Gewaltlosigkeit einhergeht: das Bewusstsein der Legitimität des eigenen Handelns und das Bewusstsein, nicht allein zu sein, die Erfahrung von Solidarität. Diese jungen Frauen zogen ihre Stärke daraus, dass sie Unterstützung erfahren und den Familien und Schulklassen, mit denen sie arbeiten, Unterstützung geben können. Mein Eindruck: hier sind Menschen unterwegs, die ein unerschütterliches Bewusstsein der Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit haben – auch und gerade an Orten, auf die ich oft mit besonderer Bedrücktheit geschaut hatte – die Hotspots dieser Welt, Gaza, Lesbos (auch darüber wurde berichtet), die Liste ist endlos.
In diesem Jahr ist genau 50 Jahre nach dem ersten Bericht „Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome das Buch „Earth for all“ herausgekommen (auch auf Deutsch), der neue Bericht des Club of Rome. Die Quintessenz ist, dass es nach wie vor möglich ist, diese Welt zu einer „Welt für alle“ zu machen. Es braucht dafür fünf Kehrtwenden:
1. Beendigung der Armut 2. Beseitigung der eklatanten Ungleichheit 3. Ermächtigung der Frauen 4. Aufbau eines für Menschen und Ökosysteme gesunden Nahrungsmittelsystems 5. Übergang zum Einsatz sauberer Energie.
Das Feuer, das ich vor allem in den Augen der Palästinenserinnen gesehen habe, die Berichte der Kolleginnen und Kollegen über die vielen kleinen und großen Projekte, eben auch an den Hotspots der Welt, haben mich wieder zuversichtlicher gemacht. Und so habe ich meinen kleinen Text für den Adventskalender doch noch geschrieben.
Zuversicht und systemisch finde ich gerade schwierig. Wenn ich mir die zugespitzten Nöte der Welt vor Augen halte, ist Hoffnung komplex, in Zusammenhängen zu denken, zu handeln, aktiv zu sein unwichtig geworden. Die syrische Mutter findet keine Wohnung, die ukrainische Familie bekommt keine Papiere, die Weihnachtsmärkte haben wieder geöffnet. In nomadischen Kulturen gibt es keinen Besitz, kein eigenes Land, kein eigenes Haus, kein eigenes Konto, ich wünsche mir nomadisch zu bleiben.