Optimismus? Nein. Zuversicht? Ja bitte.
Mit Interesse habe ich die diesjährigen Beiträge zum systemagazin-Adventskalender gelesen. Als ich die Einladung zum Thema „Zuversicht“ ausgesprochen hatte, war ich unsicher, ob ich ausreichend viele Beiträge erhalten würde. Umso überraschter war ich, dass der Kalender schneller als in früheren Jahren gefüllt war. Das spricht für einen gewissen Bedarf an Zuversicht, wenngleich sich in der Zusammenstellung der Kalenderbeiträge auch die Ambivalenz wiederfindet, die mit meiner ursprünglichen Frage verbunden war. Wie kann man in diesen Zeiten von Zuversicht sprechen? Was bringt dieses Wort zum Ausdruck?
Für Niklas Luhmann handelt es sich bei Zuversicht um eine Sonderform des Vertrauens. In einem Text mit dem Titel „Vertrautheit, Zuversicht, Vertrauen“, der – zunächst auf Englisch erschienen, dann erst ins Deutsche übersetzt – sich mit diesem Begriff beschäftigt, beschreibt er Zuversicht als eine Art generalisiertes Vertrauen in die Funktionalität von Systemen, als Systemvertrauen: „Vertrauen bleibt unerlässlich in zwischenmenschlichen Beziehungen, aber die Partizipation an funktionellen Systemen wie Wirtschaft oder Politik ist nicht mehr eine Sache persönlicher Beziehungen. Sie erfordert Zuversicht, aber kein Vertrauen“ (Luhmann 2001: 156). Während Vertrauen eine Entscheidung im Bewusstsein des Risikos der Enttäuschung von Vertrauen sei, gelte die Zuversicht eher einer nicht reflektierten Erwartung als Grundlage des Vertrauens auf gesellschaftlicher Ebene, z.B. dass das Geld als sicheres Zahlungsmittel auch zukünftig erhalten bleibt, dass man auf die Einhaltung von Verkehrsregeln vertrauen kann, dass man auf politische Entscheidungsverfahren vertrauen kann etc. „Der Hoffende faßt trotz Unsicherheit einfach Zuversicht. Vertrauen reflektiert Kontingenz, Hoffnung eliminiert Kontingenz“ (Luhmann 2014).
Mit diesem Grundvertrauen in das Funktionieren unserer gesellschaftlichen Funktionssysteme bin ich groß geworden, ganz unabhängig von den Bewertungen der jeweiligen politischen Konstellationen und Auseinandersetzungen seit Ende der 60er Jahre. Dass es für ein solches Systemvertrauen in anderen Regionen der Welt in diesen Jahrzehnten wenig Anlass gab, war schon immer klar. Während Krisen und Kriege sich früher in anderen Weltregionen abgespielt haben, sind sie mittlerweile bei uns angekommen. Angesichts der sich abzeichnenden Klimakatastrophe, des brutalen Kriegs in der Ukraine und der allgemein zu beobachtenden militärischen und ökonomischen Vorbereitungen zukünftiger Kriege ist meinem – vielleicht schon immer einäugigen – Systemvertrauen weitgehend der Boden entzogen.
Die Zuversicht, dass die Weltgesellschaft in der Lage ist, die Klimakatastrophe in der dafür noch zur Verfügung stehenden Zeit zu verhindern, habe ich verloren. Nicht nur, weil alle dafür notwendigen (und längst als notwendig bekannten) Bemühungen nur halbherzig, schleppend oder eher nur symbolisch angegangen werden, sondern weil die Kräfte, die diese Bemühungen boykottieren und die Zerstörung des Planeten mutwillig fortsetzen und ausdehnen, nicht kleiner geworden sind. Auf Systemvertrauen kann ich nicht mehr setzen.
Aber gibt es Zuversicht ohne Systemvertrauen? Ich denke schon. Ohne Zuversicht können wir nicht gut (über)leben – wenn das Leben überhaupt einen Sinn haben soll. Wenn also Zuversicht auf globaler Ebene nicht mehr viel Sinn macht, was sind dann andere Quellen von Zuversicht? Ulrich Schnabel, der ein interessantes Buch zum Thema geschrieben hat (2018), hat in einem lesenswerten Interview betont, dass Zuversicht aus der Überzeugung stammt, „dass das, was man tut, einen Wert hat“ und zitiert einen Satz von Vaclav Havel: „„Es geht nicht um die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern um die Gewissheit, dass etwas Sinn macht, egal wie es ausgeht.“ Darin liege der Unterschied zwischen Zuversicht und Optimismus. „Optimismus ist mir zu sehr auf den Ausgang fixiert. Der Optimist denkt, dass sich die Dinge zum Guten wenden, wenn er nur fest daran glaubt. Nehmen wir an, Sie kommen mit einer schweren Krankheit ins Krankenhaus und sind überzeugt, dass Sie wieder gesund werden, wenn Sie nur positiv denken. Dennoch kann es passieren, dass Sie am Ende bleibende Schäden davontragen. Wenn Sie sehr darauf gesetzt haben, dass alles gut wird, kann Sie das umso mehr in eine Depression stürzen. Es gibt nun einmal Situationen im Leben, in denen Sie Schwierigkeiten nicht aus dem Weg räumen können. Da braucht es dann eine andere Art von innerer Stärke. Das ist der Kern der Zuversicht: Auch wenn die Dinge nicht gut ausgehen, kann man Spielräume für sich finden“.
Es geht also nicht um die Eliminierung von Kontingenz. Wenn ich keine generalisierte Zuversicht entwickeln kann, kann ich Zuversicht aus lokalen, regionalen oder zeitlich begrenzten Geschehnissen ziehen. Insofern erfüllen mich Initiativen mit Zuversicht, die mir zeigen, dass das Eintreten für die Menschenwürde und Menschenrechte, gegen die Ausbeutung des Planeten und die Vernichtung der Arten, gegen Korruption und Machtmissbrauch, für soziale Gerechtigkeit gelebt wird, selbst wenn das mit Konsequenzen für Leib und Leben der Aktivisten verbunden ist. Es erfüllt mich mit Freude, wenn junge Menschen die Aufmerksamkeitsökonomie nutzen, um deutlich zu machen, dass die Weiter-so-Strategien eines Systems, das aus seinen Pfadabhängigkeiten nicht herauskommt, die Probleme nicht lösen werden.
Meine besondere Zuversicht richtet sich auf die Bewegung der vielen Menschen im Iran, die bereit sind, ihren Kampf um ein lebenswertes Leben mit dem eigenen Leben zu bezahlen. In mehreren Aufenthalten in den vergangenen Jahren konnte ich mir ein Bild von der Lähmung im Lande machen, die ein Resultat der brutalen Niederschlagung der Proteste gegen die Wahlfälschung von 2009 gewesen ist, der so viele junge Menschen zum Opfer gefallen sind. Den Mut, mit dem nun die Bevölkerung im Iran unter dem Motto Jin, Jiyan, Azadî (Frau, Leben, Freiheit) auf die Straße geht, kann ich nur bewundern. Ob Optimismus angebracht ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Aber aus der Zuversicht erwächst eine Kraft, die überhaupt erst möglich macht, unter widrigen Bedingungen zu handeln.
Das Foto, das ich 2015 in Isfahan auf der Straße von einer Gruppe junger Frauen gemacht habe, die spontan für mich posierten, ohne dass ich sie dazu eingeladen hätte, ist für mich ein Sinnbild für diese Zuversicht. Wenn ich die Nachrichten aus dem Iran sehe, bin ich in Gedanken bei diesen jungen Menschen. Ich bin sicher, dass sie zu denen gehören, die heute gegen das Regime auf die Straße gehen.
Auf einer Weihnachtskarte von Kollegen fand ich folgenden Aphorismus von Jochen Mariss: „Auch wenn uns Zuversicht und Lebensfreude manchmal so klein wie Zwerge vorkommen: Sie sind schlafende Riesen, die wir wecken können“. In diesem Sinne: Wecken wir unsere schlafenden Riesen, geben ihnen Nahrung und lassen uns ein Stück weit von ihnen tragen. Frohe Feiertage!
Literatur:
Luhmann, Niklas (2001): Vertrautheit, Zuversicht, Vertrauen. Probleme und Alternativen. S. 143 – 160 in: Hartmann, Martin und Claus Offe (Hg.): Vertrauen. Die Grundlage des sozialen Zusammenhalts. Frankfurt/Main (Campus).
Luhmann, Niklas (2014): Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. Konstanz (UVK), 5. Aufl.
Schnabel, Ulrich (2018): Zuversicht. Die Kraft der inneren Freiheit und warum sie heute wichtiger ist denn je. München (Blessing)