In der Ausgabe 6/2009 erschien im Merkur ein lesenswerter Artikel von Ewa Hess und Hennric Jokeit zum Thema„Neurokapitalismus“, der aktuell auch im Online-Magazin EUROZINE zu lesen ist:„Die Depression aber war die erste seelische Volkskrankheit, gegen die die moderne Neurowissenschaft prompt ein Mittel gefunden hatte. Depression und Angst wurden jetzt im synaptischen Spalt zwischen Neuronen verortet und genau dort behandelt. Eine Schnittstelle war nunmehr ausgemacht, die unmittelbar und präreflexiv das Leiden am Selbst und der Welt zumindest zu lindern imstande war, wo zuvor nur reflexive Psychotherapie agierte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt gesellte sich zum ungleichen Paar Kapitalismus / Neurowissenschaft ein dritter Partner: die aufblühende pharmazeutische Industrie. Waren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Versuche einer Linderung seelischer Leiden durch sedierende Barbiturate, Elektroschocktherapie und Psychochirurgie geprägt, zeichnete sich schon in den dreißiger Jahren der auch von Freud prognostizierte Siegeszug der Neuropsychopharmakologie ab. Kann es ein Paradox sein oder gehört es zu jenen Selbstverständlichkeiten, die aus allzu offensichtlichen Gründen lange verborgen bleiben, dass der Erfolg von Freuds Psychoanalyse und der der heutigen Neurowissenschaften auf ähnlichen Prämissen basieren? Der Erfolg der Psychoanalyse gründete darauf, dass medizinisch relevante Psychiatrie und Psychologie mit Kunst, Kultur, Pädagogik, Wirtschaft und Politik verwoben wurden und so wesentliche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens durchdrangen. Die Neurowissenschaften scheinen zu Beginn des 21. Jahrhunderts zumindest den Anspruch zu erheben, eine vergleichbare Rolle künftighin einnehmen zu können“
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Neurokapitalismus
5. Mai 2010 | Keine Kommentare