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Edelgard Struß, systemische Supervisorin und Coach aus Köln, berichtet hinter dem heuten Kalendertürchen von einer Supervision in einem multikulturellen Team:

Supervision im 11köpfigen Team einer Institution, die Betreuung und Beratung für psychisch kranke Erwachsene anbietet: 9 deutsche Männer und Frauen, 2 türkische Frauen (sie sagen zu sich türkisch, obwohl sie beides sind, Deutsche wie Türkinnen). Eine deutsche Kollegin berichtet von einem Fall, einem jungen Mann, der seit zwei Jahren versucht, selbstständig in seinem Apartment zurechtzukommen. Sehr mühselig das Ganze. Die Eltern, griechische Türken, belagern ihren Sohn täglich und kümmern sich um alles. Am schlimmsten, sagt die Betreuerin, ist es, wenn ich mit den Eltern zu tun habe: sie fassen mich dauernd an, wenn wir reden, nicht zum Aushalten. Dieses  Anfassen geht eigentlich gar nicht für mich, Handgeben am Anfang und am Ende geht klar, aber dann ist Schluss.
In der Runde ist jetzt die Rede von der Übergriffigkeit der Eltern, distanzlosem Verhalten, Versuchen, die Betreuerin ins Familiensystem zu ziehen. Aber was habt ihr denn mit dem Anfassen! ruft eine türkische Kollegin. Das ist doch ganz normal! Die griechischen und türkischen Leute fassen sich dauernd an untereinander! Warum sollen sie euch nicht auch anfassen?! Ich versteh das nicht! Man blickt sich an in der Runde, einige sagen, ja, weiß ich auch nicht, dann wird das Thema fallen gelassen.
Die deutsche Kollegin erzählt weiter. Ganz eigenartig sei auch, wie es zu den Treffen in der Wohnung des jungen Mannes komme. Wenn ich mich mit ihm verabrede, sagt sie, muss ich ihn immer ein-zwei Stunden vor dem Treffen anrufen und nochmal Bescheid sagen, dass ich um soundso viel Uhr komme. Ohne diese zusätzliche Ansage, so behauptet der junge Mann, vergesse er den Termin. Tatsächlich, lacht die Betreuerin, habe ich selbst schon einmal vergessen, ihn vorher anzurufen und ihn dann nicht angetroffen.
Die Runde ist amüsiert über das Hin und Her der Vergesslichkeiten, findet aber, dass das eigentlich zu weit geht und dadurch das abhängige Verhalten des jungen Mannes gefördert werde. Irgendwie sei es aber wie ein Spiel, aus dem man nicht aussteigen kann, ohne dass etwas kaputt geht.
Ist doch ein Spiel, sage ich, machen Sie mit! Das nächste Mal rufen sie ihn vorher an und sagen: Hören Sie mal, wie ist das eigentlich, sind wir heute verabredet!?
Ja genau, sagt die türkische Kollegin, man muss mitmachen, wenigstens ein bisschen. Sonst geht es nicht.

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