1989 erschien in der Zeitschrift für systemische Therapie und Beratung eine Kampfansage von Marianne Krüll gegen eine bestimmte Verlagspraxis, nämlich die Geschlechtszugehörigkeit von AutorInnen bei Literaturangaben durch die bloße Nennung von Initialen der Vornamen unsichtbar zu machen. Hinter dieser Praxis vermutete sie eine systematisch gegen schreibende Frauen gerichtete sexistische Kampagne – die Beiträge von Frauen würden damit (da der Wissenschaftsbetrieb überwiegend durch Männer in Gang gehalten werde) gewissermaßen enteignet und u.U. als Produkte männlicher Erkenntnis dargestellt. Auch wenn ich die feministische Emphase dieser Darstellung nie geteilt habe (Frauenfeinde könnten Texte womöglich auch negativer bewerten, wenn sie geschlechtsspezifisch ausgeflaggt sind), war ich von diesem Text begeistert, weil er etwas thematisierte, was mich immer schon gestört hat: dass ich mir nämlich keine Vorstellungen von der Person machen konnte, die diesen Text verfasst hat, weil der Name dann nur noch eine Chiffre für die Autorenschaft ist, aber keine hinter dem Text stehende Person. Der Anteil der weiblichen Autoren im Wissenschaftsbetrieb dürfte seit 1989 deutlich zugenommen haben. Das Argument, dass Frauen mit der inkrimierten Praxis marginalisiert werden sollen, scheint mir daher mittlerweile an Überzeugungskraft verloren zu haben. Gleichzeitig ist aber deutlich zu sehen, dass es mittlerweile kaum noch Ausnahmen von der Regel gibt, d.h. wir finden nur noch selten die vollständigen Namen in Literaturverzeichnissen (ja: wir können uns noch glücklich schätzen, wenn wir überhaupt noch ein vollständiges Literaturverzeichnis in einer Zeitschrift finden dürfen). Gerade als Systemiker sind uns aber die Angaben zu den AutorInnen (Geschlecht, Nationalität, Herkunft, Arbeitsfeld) doch wichtige Kontextinformationen, weil Texte nicht für sich selbst sprechen, sondern beobachterabhängig sind. Im Kontext, der Zeitschrift, die ich selbst mit herausgebe, ist die Reduzierung auf das Initial des Vornamens genauso Praxis wie in der Zeitschrift, in der dieser Text 1989 erschienen ist. Für mich ein Grund, diese Praxis noch einmal mit dem Verlag zu diskutieren. Insofern danke ich Jürgen Hargens für die Anregung, diesen Beitrag im systemagazin nach 25 Jahren wieder zu veröffentlichen und Marianne Krüll für die Zustimmung.
Marianne Krüll, Bonn: M. = Max = Marianne = Mann?
Eine Unsitte greift um sich. Zuerst dachte ich, es seien Zufälle. Jetzt ist mir der Verdacht gekommen, dass es sich um eine – unbewusst oder bewusst – gegen schreibende Frauen gerichtete sexistische Kampagne handelt, an der sich tragischerweise auch Frauen selbst beteiligen:
Ich trage den Namen meines Mannes. Ich könnte meinen Mädchennamen davor setzen, das ist allerdings auch der Name eines Mannes – meines Vaters. Nur mein Vorname ist mein eigen und – weiblich. Wenn dieser einzig weibliche Teil meines Namens auf einen geschlechtsneutralen Buchstaben reduziert wird, fühle ich mich verstümmelt. Und genau das geschieht in zunehmendem Maße im wissenschaftlichen Bereich. AutorInnen verwandeln andere AutorInnen oder auch sich selbst in Neutren. In Literaturlisten ist nicht mehr zu erkennen, ob ein Buch oder Artikel von einer Frau oder einem Mann stammt. Sogar die AutorInnen von Beiträgen in Sammelbänden sind nicht mehr als Frauen oder Männer erkennbar.
Zwar trifft diese Beschneidung nicht nur uns Frauen, sondern auch die Männer. Aber da sie – gerade im Wissenschaftsbereich – in der Überzahl sind, geht jede/r LeserIn erstmal davon aus, dass ein Autor mit gekapptem Vornamen wohl ein Mann ist. In einem Literaturverzeichnis möchte ich als Leserin jedoch auf einen Blick erkennen, wen die/der AutorIn, die/den ich gerade lese, zitiert, ob er/sie überhaupt Frauen zitiert (Zitierkartelle, d.h. geschlossene Kreise, in denen man sich nur untereinander zitiert, sind in entscheidendem Maße geschlechtsspezifisch!). Wenn ich die zitierten Arbeiten schon kenne, weiß ich zwar, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelt. Bei mir unbekannten AutorInnen möchte ich aber unbedingt erfahren, welchen Geschlechts sie/er ist, denn ein Artikel bekommt für mich einen völlig anderen Stellenwert, wenn er von einer Frau und nicht von einem Mann stammt. Und ich behaupte, dass es allen LeserInnen genauso geht – ob sie es bewusst wahrnehmen oder nicht.
Geradezu kriminell wird es aber, wenn bei Sammelbänden zwar noch die/der HerausgeberIn mit vollem Namen auf dem Titelblatt erscheint, im Inhaltsverzeichnis, und dann sogar im laufenden Text dagegen die AutorInnen geschlechtslos sind. Mühsam kann frau/man zwar meist rekonstruieren, ob eine Sie oder ein Er schreibt, manchmal geht aber auch das nicht, vor allem, wenn er/sie sich einer besonders hochgestochenen Wissenschaftssprache bedient, die sie/ihn als Person völlig unerkennbar macht.
Es gibt inzwischen Verlage, die die Vornamen-Abkürzung als generelle Regelung eingeführt haben. Ich frage die RedakteurIinnen, LektorInnen, HerausgeberInnen oder wer sonst dafür verantwortlich zeichnet: Warum? Aus Ersparnisgründen? Bringen denn 5-10 oder manchmal ein paar mehr Buchstaben pro Name/Zeile wirklich so viel? Rationeller wäre es, die Artikel (der, die, das) mit “d.” abzukürzen. Jede/r kann genug Deutsch, um die richtigen Artikel wieder einzufügen. Einen Vornamen mit dem dazu gehörenden Geschlecht aber kann ich nicht rekonstruieren. Und wie schwierig wird es nun, all die Schulzes, Schmidts, Müllers zu unterscheiden, die denselben Anfangsbuchstaben im Vornamen haben! Also: Warum? Ist mein Verdacht wirklich so weit hergeholt, dass es um die Unsichtbarmachung von uns Frauen geht?
Ich habe einmal bei meinem Aufsatz in einem solchen Sammelband darauf bestanden, die von mir zitierten – vom Verlag um ihren Vornamen betrogenen – Frauen mit einem Sternchen zu kennzeichnen, was die Lektorin (!) dann auch tat (vgl. meinen Beitrag in Almuth Massing und Inge Weber (Hrsg.): Lust und Leid. Springer, Berlin usw. 1987). Damals schien mir das ein Einzelfall zu sein. Inzwischen sieht es eher nach Methode aus.
Wir leben in einer Zeit, in der die feministische Idee inzwischen überall mehr oder weniger bekannt ist. Im Wissenschaftsbetrieb versucht man(n) nach außen immer noch, so zu tun, als gäbe es sie nicht, als stünde Wissenschaft über allem und wäre vollkommen geschlechtsneutral. Soll die Unhaltbarkeit dieser Behauptung vielleicht durch die Praxis der Namensverstümmelung verdeckt werden? Will Mann die Gender-Bezogenheit der Wissenschaft dadurch verleugnen, dass Mann uns Frauen neutralisiert und damit sich wieder als Maß aller Dinge etabliert?
Ich jedenfalls möchte nicht für einen „Max Krüll“ gehalten werden, der „zufällig“ über feministische Themen schreibt! Und wenn ein Mann sich einmal mit dem Feminismus auseinandersetzt, will ich ihn als solchen erkennen! Ich werde von nun an jedem/r AutorIn, HerausgeberIn, Verlag usw., der/die eine Vornamen-Verstümmelung zugelassen oder zu verantworten hat, einen Brief schreiben und 1. um eine Begründung dieser Praxis und 2. um ihre zukünftige Vermeidung bitten.
(Erstveröffentlichung in: Zeitschrift für systemische Therapie 7(2), 1989 und in: Ethik und Sozialwissenschaften – Streitforum für Erwägungskultur 2(2), 1991.