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Lynn Hoffman (10.9.1924-22.12.2017)

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Gestern morgen ist Lynn Hoffman im Alter von 93 Jahren an den Folgen einer schweren Lungenentzündung gestorben. Sie gehörte zu den wichtigen PionierInnen der Familientherapie und darunter zu denen, die in den 80er Jahren und danach am entschiedensten die Wende zu konstruktivistischen und dann zu sozialkonstruktivistischen Ansätzen vollzogen haben.

Sie wurde am 10.9.1924 in Paris geboren, ihre Mutter (Ruth Reeves (1892–1966) war Malerin und Textilgestalterin. Lynn Hoffman schloss 1946 ein Studium der Englischen Literatur mit Auszeichnung ab und kam über die professionelle Arbeit u.a. mit psychiatrischen Texten in Verbindung mit der familientherapeutischen Szene jener Jahre. 1967 brachte sie gemeinsam mit Jay Haley das Buch „Techniques of Family Therapy“ heraus, in dem verschiedene Familientherapeuten zu ihrer Arbeit anhand von Transkripten von Therapiesitzungen interviewt wurden. 1969 begann sie ein Studium der Sozialarbeit und spezialisierte sich in Familientherapie. Aus ihrer Zusammenarbeit mit Haley resultierte auch ihre zunächst strategische Therapieorientierung – das änderte sich in den 80er Jahren, seit dieser Zeit vertrat sie einen post-systemisch/post-modernen/kollaborativen Ansatz.

In Deutschland wurde sie in den 80er Jahren durch den Band „Grundlagen der Familientherapie“ bekannt, der trotz seiner grauenvollen Druckqualität als echtes Grundlagenwerk zum Renner in der systemischen Szene hierzulande wurde. 1987 erschien ein Diskussionsband mit Luigi Boscolo, Gianfranco Cecchin und Peggy Penn über den Mailänder Ansatz, der 1997 auch in deutsch herauskam. 2002 schrieb sie ihre „intimate history“ der Familientherapie, in der sie ihre eigene und die Geschichte des familientherapeutischen Ansatzes (und darüber hinaus) reflektiert, ein spannender Band, der seiner Übersetzung noch harrt.

Lynn war aber nicht nur als Autorin, sondern auch als Herausgeberin erfolgreich, die sie u.a. für die Family Process und das Journal of Marital & Family Therapy war. Bis sie sich 2000 zur Ruhe setzte, lehrte sie viele Jahre als Lehrtherapeutin am Ackerman Institute und an der Smith College School of Social Work in New York.

Ich lernte Lynn Hoffman 1981 in Zürich kennen, wo sie im September auf dem 7. Internationalen Symposium für Familientherapie einen Hauptvortrag hielt, der aber durch den Rummel um Mara Selvini und Paul Dell ein bisschen ins Hintertreffen geriet. Ich erinnere mich noch, dass sie auf einer Overheadfolie ein Schaubild präsentierte, das sie „cosmic salami“ nannte. Das habe ich fleißig abgemalt, konnte es aber heute in meinen Unterlagen nicht mehr finden. Ihre Lust an der Darstellung von theoretischen in Verbindung mit praktischen Problemen ist mir aber lebhaft in Erinnerung. Zum Kongressfest mussten wir mit der Bahn fahren und ich kam – als blutjunger Novize – ihr gegenüber zu sitzen. Sofort verwickelte sie mich in ein intensives Gespräch über Köln, meine Arbeit und andere Dinge, die sie von mir wissen wollte. Eine wunderbare spontante Begegnung, die mir schon damals zeigte, mit wie viel Neugier, Interesse und Respekt Lynn durchs Leben ging.

Auf Youtube gibt es ein sehr schönes Filmportrait von Lynn Hoffman zu sehen, Autor ist Christopher Kinman, selbst Familientherapeut aus Vancouver. Der Titel lautet „All Manner of Poetic Disobedience“ und zeigt nicht nur Lynn Hoffman, sondern auch viele ihrer Bekannten und Weggenossen im Interview.

Wir werden Lynn vermissen – es gibt nicht mehr viele ihrer Generation in unserem Feld.

Ein Kommentar

  1. […] auf ihre Bedeutung für die Entwicklung des systemischen Ansatzes hingewiesen worden, so z.B. hier oder hier. Wie vielen anderen PionierInnen der Systemischen Therapie bliebe ihr, die zunächst als […]

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