Ein Gastbeitrag von Sabine Jacobs, freie Autorin und Coach:
Ob und wie partnerschaftsrelevante Verhaltensweisen von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden, untersuchte der Psychologe Dr. Markus Schaer (Foto: Academia.edu) für seine Dissertation Das Früher im Heute: Liebespaare und ihre Herkunftsfamilien. Für seine Forschungsarbeit an der Universität München wurde Schaer mit dem Forschungspreis der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) 2012 ausgezeichnet.
Schaers Arbeit beschreibt die intergenerationale Transmission von Paarkonfliktstilen und Kompetenzen zur Stressbewältigung. Der Autor interviewte junge erwachsene Paare und deren Eltern. Insgesamt nahmen mehr als 650 Personen an seiner Studie teil. Durch die Befragung ganzer Familiensysteme und mit systemischen Analyseverfahren konnte er ein differenziertes Bild der Transmission erarbeiten, das auch geschlechtstypische Unterschiede aufzeigt. Die Ergebnisse von Schaers Forschungsarbeit machen nachvollziehbar, wie familiäre Verhaltenstraditionen mit der sozialen Vererbung des Scheidungsrisikos zusammenhängen. Seine Analyse mehrgenerationaler Dynamiken und Muster von negativem und konstruktivem Konfliktverhalten liefert Erkenntnisse für die präventive und therapeutische Arbeit mit Paaren und Familien. Die Untersuchung von Markus Schaer ist im Oktober 2012 im Asanger Verlag erschienen.
Das Interview mit dem Autor Dr. Markus Schaer führte Sabine Jacobs:
Sabine Jacobs:
Du bist genau wie deine Mutter, dieser Satz fällt oft, wenn Paare streiten. Was ist dran – machen wir später tatsächlich nach, was wir im Elternhaus gelernt haben?
Markus Schaer:
Theoretisch könnte man ja von zwei Möglichkeiten ausgehen. Wir kopieren das Streitverhalten unserer Eltern oder aber wir verhalten uns bewusst anders, insbesondere dann, wenn in unserer Herkunftsfamilie eine destruktive Streitkultur an der Tagesordnung war. In der Forschung finden wir aber eher Kontinuitätszusammenhänge, das heißt, wir neigen dazu, es genauso zu machen, wie unsere Eltern. Das lässt sich für viele Verhaltensweisen zeigen, zum Beispiel für allgemeine Wärme, für unseren Interaktionsstil, unsere Problemlösekompetenzen und eben auch für unser Streitverhalten. Sogar extrem destruktive Verhaltensweisen werden von einer Generation zur Nächten weitergegeben, also beispielsweise häusliche Gewalt. Wenn es in der Herkunftsfamilie zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen ist, dann steigt das Risiko für Gewalt in der eigenen Partnerschaft auf das doppelte bis dreifache. Und das obwohl die Menschen, die Gewalt in ihrer Familie erlebt haben, darunter sehr gelitten haben.
Unser Elternhaus beeinflusst also unser Streitverhalten. Gilt das für Männer und Frauen gleichermaßen?
Im Prinzip ja. Trotzdem gibt es Unterschiede. Kleine Mädchen lernen von beiden Elternteilen, von der Mutter als Rollenvorbild aber auch vom Vater als Interaktionspartner. Später neigen sie dann dazu, sich in Konflikten ähnlich zu verhalten, wie sie es schon als Kind den Eltern gegenüber taten. Es besteht also eine gewisse Verhaltenskonsistenz. Bei Männern ist das anders.
Inwiefern?
Männer erleben in einer Liebesbeziehung einen größeren Rollenwechsel. Die Rolle des kindlichen Sohnes passt nicht in das Bild, das wir vom autonomen männlich-starken Liebhaber haben. Deshalb spielt die Mutter -Sohn Beziehung hier auch keine so große Rolle. Männer orientieren sich eher am Vorbild des Vaters. Wenn der also beim Streit mit der Faust auf den Tisch schlug oder aber den inneren Rückzug antrat, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich der Sohn später ähnlich verhält.
Eine destruktiver Streitkultur im Elternhaus kann also böse Folgen haben für die eigene Beziehung
Eindeutig. Beispiel Scheidungsrisiko. Das überträgt sich von einer Generation zur nächsten. Sogar eine Scheidung der Großeltern hat noch Wirkung auf das eigene Scheidungsrisiko. Und diese Effekte sind nicht gering. Wenn Ihre Eltern geschieden sind, dann steigt ihr eigenes Scheidungsrisiko schon um das 1,3 fache. Und wenn Sie dann auch noch einen Partner haben, der eine Scheidung seiner Eltern erlebt hat, dann haben Sie schon ein dreifach erhöhtes Scheidungsrisiko.
Trennung ist häufig die Konsequenz von destruktivem Streitverhalten. Was genau verstehen Sie darunter?
Typische Killerverhalten sind zum Beispiel die Verallgemeinerung von Vorwürfen und Kritik sowie die Bereitschaft, den jeweils Anderen als Person abzuwerten. Sehr destruktiv wirkt auch, wenn sich einer der beiden Partner wortlos zurückzieht. Und natürlich dazu passend – die gezielte Provokation. Im Zusammenspiel führt das zur Eskalation.
Ein typisches Beispiel ist die sogenannte Forderungs-Rückzugsspirale
Forderungs-Rückzugsspiralen sind ein häufiges Muster, das vor allem dann auftritt, wenn Partner-Konflikte sich bereits verhärtet haben. Dabei versucht ein Partner, z.B. die Frau einen Konflikt-Thema anzusprechen, der Mann fühlt sich bedrängt und zieht sich zurück. Durch den Rückzug des Mannes fühlt sich die Frau gekränkt und reagiert noch resoluter, dadurch zieht sich der Partner noch mehr zurück usw. Es entsteht ein Teufelskreis und am Ende sagt der eine ich würd ja nicht so nörgeln, wenn Du mir endlich zuhören würdest und der andere sagt ich würde Dir ja zuhören, wenn Du nicht ständig so nörgeln würdest. Das ist ein Muster mit einer hohen Eigendynamik.
Meist sind es die Männer, die sich zurückziehen, warum?
Ursache sind zum einen unterschiedliche Beziehungskonzepte. Frauen gehen eher davon aus, dass eine Beziehung dann in Ordnung ist, wenn sie über Probleme noch reden können. Die Männer finden eine Beziehung eher dann in Ordnung, wenn sie nicht über Probleme reden müssen. Hinzu kommt, dass Männer sich schneller von ihren Gefühlen überflutet fühlen, ihr Rückzug hat dann eher eine Schutzreaktion. Außerdem spielt die Herkunftsfamilie eine Rolle. Die Wahrscheinlichkeit für gesprächsvermeidendes Verhalten steigt, wenn der Vater sich ebenfalls in Konflikten zurückgezogen hat. Es fehlen alternative Rollenvorbilder.
Hinzu kommen dann aber auch noch die Erfahrungen der Frau in ihrer eigenen Herkunftsfamilie
Stimmt. Wir haben festgestellt, dass Frauen überdurchschnittlich häufig einen Partner wählen, der ein Rückzugsverhalten zeigt, das dem Verhalten ihres Vaters ähnelt. Und wenn diese Frauen dann den Rückzug in ihrer Partnerschaft erleben, fühlen sie sich davon möglicherweise besonders verletzt. In diesem Fall ist das Risiko für die Forderungs-Rückzugspiralen besonders hoch.
Wie hoch ist denn der Einfluss der Herkunftsfamilie auf unser Konfliktverh
alten? Kann man das in Zahlen ausdrücken?
Im Durchschnitt können wir aus dem Verhalten der Herkunftsfamilie etwa 20 30 Prozent des Paarverhaltens vorhersagen. Das sind eher mittlere Zusammenhänge keine riesigen, aber sie sind eindeutig nachweisbar.
Das heißt, wir sind auch selbst verantwortlich?
Klar, um es mal so zu sagen: Die Herkunftsfamilie spielt eher die Hintergrundmusik der Paarbeziehung. Ob wir in Dur oder in Moll spielen, das entscheiden wir schon selbst als Paar. Wichtig ist zum Beispiel die Erkenntnis, dass negative Verhaltensweisen unseres Partners, wie Nörgeln, Rückzug oder Aggression immer auch durch unser eigenes negatives Verhalten mit ausgelöst wird. Dieser Auslösefaktor beträgt immerhin ca. 25 Prozent. Unser eigenes negatives Verhalten hat also eine hohe Ansteckungsgefahr.
Leider im Gegensatz zu positivem Verhalten. Das wirkt lange nicht so ansteckend, warum?
Vermutlich aus neurobiologischen Gründen. Bei negativen Verhaltensweisen sind sofort negative Emotionen im Spiel. Wenn uns einer unfreundlich behandelt, reagieren wir darauf geradezu automatisch. Im Gegensatz zu konstruktivem Verhalten. Das müssen wir immer wieder aus eigener Kraft an den Tag legen. Wir müssen also in der Lage sein unsere Emotionen kognitiv zu regulieren.
Es sind höhere Hirnfunktionen gefragt
Ja, wir müssen eine bewusste Entscheidung für positives Verhalten treffen, auch wenn sich der Erfolg nicht unmittelbar einstellt. Das erklärt auch die berühmte 5 zu 1 Kostante des amerikanischen Paarforschers John Gottman. Demnach braucht es mindestens fünf positive Gesten, um eine negative Interaktionssequenz auszugleichen. Paare, die das nicht mehr schaffen, trennen sich mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit.
Um das zu verhindern, brauchen wir also konstruktive Streit-Techniken. Was hilft konkret?
Das Wichtigste ist Zuzuhören, also Aufmerksamkeit zu schenken und sich Zeit lassen, die Position des Gegenübers zu verstehen. Dann müssen wir in der Lage sein zu verhandeln und Kompromisse zu schließen. Wer seine Position immer zu 100 durchsetzen will, macht den anderen zum hundertprozentigen Verlierer. Das möchte keiner sein. Und natürlich gehört Respekt dazu, auch wenn ich auf der Sachebene unterschiedlicher Meinung bin. Also Respekt, Achtsamkeit, Akzeptanz und nicht zuletzt die Fähigkeit, die Perspektive zu wechseln und sich in die Position des anderen hineinversetzen zu können. Und zwar nicht nur kognitiv sondern auch emotional. Wenn das beiden Partnern gelingt, sprechen wir von einer positiven Streitkultur.
Und das kann man hinkriegen trotz familiärer Belastung?
Durchaus. Das kann man lernen. Wir sind immer auch eigenständige Gestalter unserer Beziehungen. Wichtig ist nur, dass man sich die familiären Muster bewusst macht, um sich dagegen wehren zu können.