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Online-Journal für systemische Entwicklungen

Lieben nach Maß

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«Mir fällt auf, dass sie von Max als meinem Mann reden», sagt Elisa A. im ersten Beratungsgespräch, und Max B. ergänzt, dass sie nicht verheiratet seien und auch nicht zu mir kämen, um von Heirat zu reden. Aha, denke ich, da befürchten zwei, dass ich ihnen als gestandene Therapeutin bürgerlich-konservative Ideen überstülpen könnte. Max und Elisa sind beide Mitte 40, nach kurzen Ehen geschieden und wohnen seit 4 Jahren zusammen, ohne Kinder. In ihren Berufen erleben sie Anerkennung. Sie sind bewundernswert tüchtig, wobei Elisa als Verkaufschefin eines Konzerns wesentlich mehr verdient als Max, der Sportlehrer. Kein Problem, meinen beide. Überhaupt seien sie doch unglaublich privilegiert, wenn sie sich verglichen mit anderen.
Warum sind sie denn bei mir? «Wir schlafen nicht mehr miteinander, seit wir zusammen wohnen», sagt Max, und Elisa nickt. «Dafür streiten wir unablässig über dumme Kleinigkeiten.» In den folgenden Sitzungen fällt mir die ungeheure Anstrengung der beiden auf, ihr Zusammenleben zu einem ästhetischen Erlebnis zu machen, ähnlich wie sie offenbar ihre Wohnung nach Designer-Massstäben eingerichtet haben. Jeder erläutert mir sorgfältig den anderen. «Elisa ist vielleicht sexuell erkaltet, weil ich sie an ihren abweisenden Vater erinnere», analysiert Max. Und Elisa meint, dass Max sich einmal mit seiner ungelösten Bindung zu seiner verstorbenen Mutter befassen müsste. Das Reden der beiden über «unsere Beziehung» in den abstrakten Höhen psychologischer Deutungen irritiert mich. Meinem Vorschlag, ihren Leistungsdruck in der Sexualität zu verringern durch sinnliche Begegnungen – Kochen für Freunde? Kino? Spielen? Tanzen? – wird freundlicher Widerstand entgegengesetzt.
Die Phase der Jugend ist bei den beiden vorbei, sie haben ein psychisch und ökonomisch stabiles Plateau erreicht. Und was nun? Liebe als Passion möchten sie schon, aber dazu fehlt die Spannung. Ein Modell für diese Lebensphase haben sie, wie viele in ähnlicher Lage, nicht, und zu grundsätzlichen Entscheidungen reicht der Druck nicht aus. Im sechsten Gespräch schlage ich vor, dass sie die frische Luft eines Trennungs-Szenarios ins Haus lassen. Oh Wunder: Jetzt werden sie lebendig, traurig, wütend! Die beiden trennen sich tatsächlich nach diesem Gespräch. Elisa und Max leiden entsetzlich an der sechsmonatigen Trennung, fallen aber schliesslich auf die eigenen Füsse. Manchmal braucht es eine Trennung, damit Liebende ja oder nein sagen können zueinander. – Kürzlich kamen die beiden mit einem Blumenstrauss zu mir: Sie werden diesen Frühling heiraten.

Im Jahre 2002 hat die im vergangenen Jahr verstorbene systemische Paartherapeutin Rosmarie Welter-Enderlin allwöchentlich Sonntags in der Neuen Zürcher Zeitung eine Kolummne mit dem schönen Titel„Paarlauf“ veröffentlicht, in der sie kleine Beobachtungen und Geschichten aus ihrer paartherapeutischen Praxis für ein größeres Publikum zugänglich machte. Rudolf Welter hat aus diesen Beiträgen eine kleine Broschüre zum Andenken an Rosmarie Welter-Enderlin gestaltet. Mit seiner freundlichen Erlaubnis können die LeserInnen des systemagazin an diesen Sonntagen die Texte auch online lesen.

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