Hinter diesem Titel steckt ein Buch von Sabine Klar, die auch den systemagazin-LeserInnen bekannt ist. Sie ist Lehrtherapeutin bei der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Systemische Therapie und Systemische Studien – dieses Buch beschäftigt sich aber nicht mit systemischer Theorie, sondern stellt eher eine philosophisch-spirituelle Selbstreflexion der Themen dar, mit denen sich Sabine Klar in den vergangenen Jahren prononciert beschäftigt hat. Silke Grabenberger aus Graz und Diana Karabinova aus Wien haben das Buch rezensiert.
Silke Grabenberger, Graz:
Das neue Buch von Sabine Klar ist wie die Autorin selbst – ungewöhnlich. Aber wer will schon Gewöhnliches?
Dem Buch zugrunde liegt die Annahme, dass unsere geistige Welt beeinflusst wird von der Kultur in der wir aufwachsen, also dem sozialen und gesellschaftlichen Umfeld, durch welches wir unausweichlich, auch religiös, sozialisiert werden. Darunter sind Traditionen und Riten zu verstehen, die einerseits Halt gebend, andererseits aber auch einengend sein können und uns mitunter auch handlungsunfähig machen. Mit ihrem Buch regt die Autorin dazu an, sich von diesen auferlegten externen Normen zu befreien, selbst Verantwortung zu übernehmen und eine eigene Identität und Autorität zu begründen.
Das Buch ist ein Mix aus philosophischen Betrachtungsweisen des Menschen an sich und praktischen Herangehensweisen. In Form von inneren Diskursen regt es zum Nachdenken an und zeigt Möglichkeiten auf, wie man in selbstschätzender Weise den Sinnfragen des Lebens begegnen kann. Es fordert die LeserInnen unter anderem dazu heraus sich damit auseinanderzusetzen was einem selber wichtig ist und sich die Frage zu stellen wonach man eigentlich wirklich auf der Suche ist. Das Buch ermuntert und bestärkt, sich auf sich selber einzulassen, sich wahrzunehmen und vorallem sich ernst zu nehmen, bis letztlich das eigene „Ich“ (er-) lebbar wird.
PsychotherapeutInnen fordert die Autorin dazu auf, ihre KlientInnen auf der Suche nach diesem „verborgenen Schatz“ zu begleiten und sie dabei zu unterstützen ein gutes Verhältnis zu sich selbst aufzubauen. Sie erinnert daran, nicht zu vergessen, dass in jedem Menschen etwas steckt, das ihn letztlich dazu befähigt seine Krisen zu bewältigen und, dass Psychotherapie mehr ist als ein Methodenkoffer, nämlich eine Auseinandersetzung auf allen Ebenen mit dem Menschen selbst.
Sabine Klar hat sich in all den Jahren ihrer Tätigkeit als Psychotherapeutin eine extrem wertschätzende Neugier auf die Menschen die in ihren KlientInnen stecken bewahrt und das ist in diesem Buch auf jeder Seite zu spüren. Aber auch der erhobene und mahnende Zeigefinger, dass auch in TherapeutInnen Menschen stecken, die nicht davon ausgenommen sind sich mit ihrem eigenen Selbstverhältnis auseinanderzusetzen.
Das Buch wirft mehr Fragen auf als es Antworten gibt, aber letztendlich geht es ja genau darum sich zu trauen sich die Antworten selber zu geben.
Abschließend bleibt festzuhalten, das Buch ist so echt wie die Autorin selbst.
(Mit freundlicher Genehmigung aus systeme 1/2018).
Diana Karabinova, Wien:
Die Viecher von Sabine Klar kenne ich von der systemischen Ausbildung, ihren Ansatz das „Viechische“, den animalischen Anteil der KlientInnen anzusehen und zu externalisieren, finde ich sehr sympathisch. Ich konnte mit diesem Ansatz in der therapeutischen Arbeit viel anfangen. Der Prolog hat mich tief berührt, die sinnliche Erzählung eines menschlichen Wesens – mit dem tiefen Wunsch, in der Mitte der eigenen Welt „furchtlos und voll Vertrauen“ zu stehen und das eigene Leben zu leben.
Wohin diese sehr persönliche Schatzsuche wie im Buchtitel angekündigt geht, wollte ich erkunden. Die Einleitung machte neugierig – das Liebhaben als Akt, die Liebe als Lebensgefühl sind zentral. Die Autorin führt gleich in der Einleitung den Begriff „Gottendes“ ein – dieses Gottende soll alles behüten, was in der vergänglichen Welt einmal verschwinden würde. Die Idee, dass es möglich ist, für jeden Menschen, in der eigenen Welt sich als gestaltungsmächtig zu erleben und die Autonomie zu genießen, fasziniert mich. Und ich folgte dem Rat der Autorin: nach jedem Kapitel eine Pause nehmen, um aus der dichten Landschaft des Abschnitts zu verschnaufen und wieder eintauchen zu können, vor jedem Abschnitt dann die Erinnerung: innehalten.
Das auf dem ersten Blick dünne Buch hat eine stimmige Struktur. Im ersten Abschnitt führt die Autorin ein Selbstgespräch, sich selbst dabei provozierend und ironisierend, um dann die Ideen im Buch als Antworten auf die eigenen Fragen zu zeigen.
Das folgende Kapitel „Wildgehen“ befasst sich mit der Idee, dass ein menschliches Wesen grundsätzlich in der Lage ist, Verantwortung für sein Denken und Handeln zu übernehmen und sich dabei grundsätzlich frei zu fühlen – wenn auch diese Position erst nach gewissen Erfahrungen eintritt. Es braucht Mut, suggeriert die Autorin, sich auf einen wilden Pfad zu begeben und abseits der ausgetretenen Wege im Beziehungs- und Alltagsleben zu strampeln.
Beim „Wildgehen“ braucht es vielleicht einen „Kompass“ – als Modell stellt Sabine Klar eine Landkarte vor, ein Modell mit Fragen und mitredenden Stimmen. Dieser Ansatz verstehe sich als Kern des therapeutischen Handelns der Autorin. Mit dabei ist eine Palette grundlegender Fragen, alle mitredenden Stimmen im Leben jedes menschlichen Wesens interessieren. Sowohl die Viecher als auch die Geister haben ihren Platz im Erleben des Menschen, und durch diese Karte begleitet die Therapeutin – nachdem sie zuerst sich selbst mit wesentlichen Aspekten dieser Landschaft auseinandergesetzt hat. Und es bleibt eine dauernde eigene Auseinandersetzung, eine andauernde Suche, die das Ganze lebendig macht.
In den weiteren Kapiteln geht die Autorin genauer auf die einzelnen „Orts- und Wesensbezeichnungen“ dieser Karte ein und zwar auf die Viecher, Geister, Motive und auf das Gottende. Das Gottende speziell nimmt einen größeren Platz ein, wird in mehreren Abschnitten beschrieben und erkundet die Gottesbilder sowie das Verhältnis Gott-Welt in verschiedenen Religionen. Speziell geht Sabine Klar in diesem Abschnitt auf ihre eigene Wortkreationen „gotten“ und das „kleine gottende“ ein. Für mich als religionsferne Leserin war das Kapitel spannend um dem Religionsverständnis der Autorin auf die Spur zu kommen.
Im letzten Abschnitt „Steinbrüche“ führt die Autorin wieder ein Gespräch, diesmal mit allen ihren sogenannten „Gewährsleuten“, DenkerInnen und AutorInnen, die sie für die Entstehung dieses Buches inspiriert haben. Es sind die eigenen „mitredenden Stimmen“ der Autorin denen sie vertraut. Es kommen Vordenker zu Wort u.a. Nietzsche, Otto Koenig, Teresa von Avila (als einzige weibliche Person), Anthony de Mello, Adorno. Der Beitrag des Philosophen und langjährigen Wildgänge-Gefährten für ihr Denken, Franz Reithmayr, wird in einem Abschnitt speziell hervorgehoben. Ohne ihn, vermutet die Autorin, wäre sie auf den markierten Wegen geblieben – etwas unwahrscheinlich klingt das für Sabine Klar als experimentierfreudige, sich selber oft genug in Frage stellende Therapeutin und Lehrende.
Die nötige Selbstironie behält die Autorin auch im Abschlussteil des Buches: im Forum mit ihren „Gewährsleuten“ gibt es wieder einen „Störgeist“ (B.m.), diesmal nicht als ihr alter ego, sondern die sogenannte „Hüterin“, ihr behütendes Bewusstsein. Die Hüterin ist ironisch, stellt viele Fragen, zweifelt, piesackt. Das Ich (Die Stimme der Autorin) bemüht sich nicht, die Hüterin bei Laune zu halten, sondern überlässt die Bühne ihren weisen Gefährten.
Das Buch wird mit einem hilfreichen Glossar und mit Literaturempfehlungen abgerundet. Besonders das Glossar, das u.a. speziell auf die Wortkreationen eingeht, ist für die bessere Lesbarkeit sehr nützlich.
Sabine Klar versteht es, trotz eines dichten Ideennetzes und theoretischer Überlegungen eine packende Geschichte zu erzählen – nämlich ihren Glauben, dass es dem Menschen hauptsächlich um „das Innewerden der eigenen Lage in der Welt“ geht, um das Erkunden des eigenen sehr speziellen Platzes in der Welt, da wo die eigene menschliche Welt ein Teil der großen Welt der Vielfalt ist. Sie geht davon aus, dass nur wenn der Mensch sich und seine eigene Welt begreift und akzeptiert, er sich sein Leben wirklich „schmecken lassen“, in allen Dimensionen leben und fühlen kann. In einer an Metaphern reichen Sprache vermittelt sie die Idee, dass die Welt des Menschen mit ihren „Rissen, Beulen und Brüchen“ einen Riesenschatz darstellt. Hier geht die Schatzsuche zu Ende, in diesem Buch. Es ist eine sehr hoffnungsgeladene Idee, die Mut macht, einiges auf den Seitenpfaden des Lebens auszuprobieren.
Für jede Jahreszeit geeignet, in der es Zeit zum Lesen gibt. Und wirklich Stück für Stück lesen.
(Mit freundlicher Genehmigung aus: Systemische Notizen 1/2018)
Leseprobe aus „Kleine Götter …“
Sabine Klar (2018): Kleine Götter und ihre Viecher: Eine Schatzsuche. Berlin (AAVAA-Verlag)
191 S., Taschenbuch
ISBN-10: 3845925507
ISBN-13: 978-3845925509
Preis: 11,95 €
Verlagsinformation:
Dieses ungewöhnliche Buch regt zum Denken an – auf metaphorische Weise beschreibt es einen Menschen- und Gotteszugang, der ideologisch in keiner Weise einengt. Es ermuntert dazu, sich vom Druck externer Normen zu befreien und zu seiner eigenen Autorität zu werden. Letztlich ist es eine Liebeserklärung an den Schatz in jeder einzelnen Person und die Bestärkung, die Suche danach niemals aufzugeben. Darüber hinaus eröffnet der Text ein Psychotherapieverständnis, das neue Perspektiven schafft – Therapie wird als eine umfassende Auseinandersetzung mit Menschen begriffen, die sowohl ihre leiblich-animalischen Aspekte als auch ihre sozialen, geistigen und spirituellen Ebenen umfasst.
Über die Autorin:
Dr. Sabine Klar, Verhaltensforscherin (Zoologie, Humanethologie), Religionspädagogin, Psychotherapeutin (systemische Therapie), Supervisorin, Lehrtherapeutin (ÖAS); tätig am IPF (Institut für Paar- und Familientherapie) und am IAM (Institut für angewandte Menschenkunde), das sie gemeinsam mit dem Philosophen F. Reithmayr gegründet hat. Sie engagiert sich im Projekt TIRAM – Therapeut_inneninitiative für Randgruppen und andere Menschen.