systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

Humanistische Psychotherapie in Deutschland. Report einer Blockade

| 1 Kommentar

In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Psychotherapie-Wissenschaft, die online frei verfügbar ist, resümiert Jürgen Kriz, der unermüdliche Kämpfer für die Anerkennung der Systemischen Therapie und der Humanistischen Psychotherapie als „Wissenschaftlich anerkannte Verfahren“ die Blockade der Anerkennung der Humanistischen Psychotherapie in den letzten Jahrzehnten durch den sogenannten „Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie“. Im Abstract heißt es: „Vor fünf Jahren hat der deutsche «Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie» (WBP) in einem Gutachten nicht nur die Humanistische Psychotherapie als «wissenschaftlich anerkanntes Verfahren» abgelehnt, sondern sogar der 2002 vom WBP bereits anerkannten Gesprächspsychotherapie die «Empfehlung zur vertieften Ausbildung» entzogen. Nach anfänglichen Protesten vieler Wissenschaftler:innen und Institutionen gegen diese Bewertung ist ein Stillstand zu verzeichnen, zumal sich der WBP Diskursen über diese Kritik und die beanstandeten Bewertungen entzieht. Dieser Beitrag nimmt das 5-Jahres-Datum zum Anlass, einen Report der Kontexte und Umstände dieser Blockierung der Humanistischen Psychotherapie in Deutschland zu erstellen. Denn dieses deutsche administrative Regelwerk ist vielen nicht vertraut. Der Report fokussiert dabei auf Veröffentlichungen nach 2018. Zunehmend wird deutlich, dass die deutsche Ideologie von gegeneinander abgeschotteten Psychotherapieverfahren, deren «Wissenschaftlichkeit» ausschliesslich durch experimentelle RCT-Studien in Bezug auf spezifische Wirkfaktoren nachgewiesen werden muss, Befunden der internationalen Psychotherapieforschung nicht standhält. Immer mehr spricht für die vor allem von Wampold seit 2001 vorgetragene Sicht, dass kontextuelle Faktoren wesentlich zum Therapieerfolgt beitragen – also Aspekte, die in der Humanistischen Psychotherapie eine zentrale Rolle spielen. Der Beitrag schliesst mit der Hoffnung, dass der WBP den Diskurs aufnimmt und zu einer veränderten Bewertung der Humanistischen Psychotherapie kommt.“

Es handelt sich hier um ein ziemlich dunkles Kapitel von wissenschaftlich verbrämter Berufspolitik, die weder den selbstdeklarierten wissenschaftlichen Standards noch dem gegenwärtigen wissenschaftlichen Diskurs der Psychotherapieforschung Rechnung trägt, sondern in erster Linie den Zugang unerwünschter Konkurrenz der etablierten Therapieverfahren blockieren soll. Die Systemische Therapie, die lange ebenfalls unter der Praxis des Wissenschaftlichen Beirates zu leiden hatte, ist mittlerweile als wissenschaftlich begründetes ebenso wie sozialrechtlich akzeptiertes Verfahren anerkannt. Dass sich die Vertreter der systemischen Verbände mit ihrer Kritik an der Anerkennungspraxis während der Dauer der Antragstellung und -prüfung zurückgehalten haben, kann man unter strategischen Gesichtspunkten noch nachvollziehen. Oft war in dieser Zeit zu hören, dass man die systemische Kritik am herrschenden medikalisierten Psychotherapie-System wieder freier vertreten könne, wenn man einmal die Eintrittskarte zum psychotherapeutischen Versorgungssystem gelöst habe. Davon ist aber leider nichts mehr zu merken, seit man damit beschäftigt ist, sich selbst im Versorgungssystem einzurichten.

Um so wichtiger sind Stimmen wie die von Jürgen Kriz, der dieses Thema seit Jahrzehnten sowohl wissenschaftlich wie berufs- und fachpolitisch kritisch begleitet. Sein lesenswerter Artikel ist hier online zu finden.

Ein Kommentar

  1. Stefan Beher sagt:

    „Oft war in dieser Zeit zu hören, dass man die systemische Kritik am herrschenden medikalisierten Psychotherapie-System wieder freier vertreten könne, wenn man einmal die Eintrittskarte zum psychotherapeutischen Versorgungssystem gelöst habe. Davon ist aber leider nichts mehr zu merken, seit man damit beschäftigt ist, sich selbst im Versorgungssystem einzurichten.“

    Da der Prozess der sozialrechtlichen Anerkennung noch gar nicht abgeschlossen ist, wäre es, wenn man dem im Satz zuvor präsentierten Argument ernsthaft folgt, auch wenig überraschend, dass man davon derzeit eben weiterhin „nichts merkt“ – oder jedenfalls auf offizieller Ebene ein Verfahren nicht angegriffen wird, in dem man aus verständlichen Gründen gerne bestehen möchte und in dem man nach Stand der Dinge eben auch gut bestehen kann.

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.