Am Dienstag, dem 8. Oktober 2019, ist Hans Schindler in seinem Haus in der Toscana unerwartet und unerwartbar gestorben. Er starb aufgrund eines Hornissen-Angriffes an einem anaphylaktischen Schock mit Herzstillstand. Das systemische Feld verliert einen wichtigen Wegbegleiter und Vertreter des Systemischen Ansatzes, viele von uns verlieren einen guten Freund.
Hans Schindler war Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut und früherer Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Bremen, seit 1989 arbeitete er als Lehrtherapeut am Bremer Institut für systemische Therapie und Supervision. Er war lange Zeit im Vorstand der Systemischen Gesellschaft tätig und Redaktionsmitglied der Zeitschriften Systhema und Psychotherapeutenjournal. Seine Bemühungen um die Anerkennung der Systemischen Therapie als Kassenleistung wurden zuletzt durch seine Wahl zum Präsidenten der Bremer Psychotherapeutenkammer gekrönt.
Wir vermissen Hans als einen klugen, zugewandten, humorvollen und immer vermittelnden Kollegen und Freund.
Arist von Schlippe, der Hans Schindler auch privat eng verbunden war, hat für systemagazin einen Nachruf geschrieben.
Arist von Schlippe: How fragile we are …
Diese Liedzeile von Sting geht mir seit gestern morgen nicht aus dem Kopf. Es war nur eine kurze Nachricht: Hans Schindler ist am 8.10. in Folge einer allergischen Reaktion auf einen Hornissenangriff gestorben. Er wurde 67 Jahre alt.
Ein Schock. Das ist unmöglich, kann nicht sein! Vor vier Wochen hatten wir noch in Bremen zusammengesessen, uns unsere Geschichten erzählt, gut gegessen und von den besonderen Flaschen aus dem unerschöpflichen Weinkeller getrunken. Wir hatten Spaß und haben viel gelacht, denn im Humor waren wir uns besonders nah. All das, was doch noch so viel Gegenwart in sich zu bergen schien, ist nun vergangen.
Wir waren enge Freunde und gute Kollegen. Ich kannte Hans noch aus seiner familientherapeutischen Ausbildungszeit am IF Weinheim, war später mehrfach auch im Bremer Institut zu Gast. Gemeinsam waren wir lange Jahre in der Systemischen Gesellschaft im Vorstand (1999-2005). Ich schätzte damals seine in langer Zeit des politischen Engagements gewonnenen Erfahrungen im Umgang mit schwierigen Konstellationen, etwa in Mitgliederversammlungen und ich bewunderte sein strategisches Denken, wenn es um die Weiterentwicklung der Verbandes ging. Selbstverständlich wurden die Vorstandssitzungen regelmäßig mit sehr gutem Essen und sehr gutem Wein beendet.
Auch privat hatten wir viel miteinander zu tun, unsere Familien waren und sind eng verbunden, wir verbrachten mehrfach die Ferien gemeinsam. Seine Mühle in der Toskana, die die Familie 1986 im baulich sehr schlechten Zustand gekauft hatte, war seine große Leidenschaft (sicher lag es auch daran, dass dort in den Jahren zuvor die PCI getagt hatte, die kommunistische Partei Italiens, der Hans sich nahe fühlte). Sein Ferienhaus wurde zum zweiten Leben, sämtliche Ferien spielten sich dort ab. Unermüdlich war er hier tätig, wir erlebten das Wachsen mit, ein Reitplatz entstand, ein Weinberg – zu dem brauchte es natürlich auch einen kleinen Traktor, dann einen Bagger. Und der Wein „Molino di Possera“ schmeckte – nach einigen Versuchsjahren – wie ein echter italienischer Landwein; ein Rosengarten und ein zweites Nachbarhaus entstanden. Es war ein alter Schuppengewesen, den er mit seinen Söhnen zum „Palazzo“ ausgebauthatte. Dieser wurde nun sein Schicksal, als er dort nichtsahnend eine Terrassentür öffnete, hinter der sich ein noch nicht entdecktes Hornissennest befand.
Und er hatte doch noch so viel Leben vor sich! Eine größere Krankheit war gut überwunden, ein wenig Schonung war angesagt, aber er war auch gerade zum Präsidenten der Psychotherapeutenkammer in Bremen gewählt worden. Der erste Systemiker als Chef einer Kammer! Es war nicht nur für ihn ein Sieg nach jahrzehntelangen Kämpfen, auch wenn er ihn natürlich persönlich sehr genoss – es war auch eine Genugtuung für die darin liegende Anerkennung für die systemische Therapie, der er aufs Engste verbunden war. Ich erinnere mich noch, wie er mir sagte, wie leicht nun auf einmal alles geworden sei: Nach der Anerkennung und mit der neuen Position nahm mit ihm die systemische Therapie nun ganz selbstverständlich Platz zwischen den anderen Verfahren, gehörte dazu. Seine Praxis betrieb er reduziert weiter, aber nur noch zur Hälfte, nachdem seine Tochter dort mit eingestiegen war.
Alle Kinder waren „unter der Haube“, die elf Enkelkinder in Bremen, zum Teil im Nachbarhaus. Eigentlich war nun die Zeit zum Innehalten gekommen, seine Frau Nina und er hatten Zeit und freuten sich, ihre engsten Lieben so nah zu wissen. Alle Zeichen standen auf positiv. Das Schicksal wollte es anders. Ich weiß nicht, wie wir alle, die ihn kannten und schätzten, mit dem Verlust fertig werden, aber am meisten denke ich jetzt an Dich, liebe Nina, und an Euch liebe Schindler-Familie.
How fragile we are…
Rudi Klein und Barbara Schmidt-Keller
How fragile we are… Wie wahr, lieber Arist
Wir haben mit Hans einen lieben Kollegen und engen Freund verloren. Das Gewebe unserer Erinnerungen verbindet Begegnungen in Bremen und im Saarland, an der Mosel, in der Bretagne und in der toskanischen Mühle , umfasst Diskussionen, Witze, gemeinsames Lachen, Trinken, Essen, Genießen und auch ernste und nachdenkliche Gespräche über Krisen und körperliche Bedrohungen. Wir erinnern uns an Autofahrten, in denen 3 von 4 Insassen lautstark alte Abba-Songs mitgeschmettert haben, unterbrochen von gelegentlich heftigem Luftholen und einiger verkehrsbedingter Stoßgebete. Über alles eben, was zum Leben gehört.
Hans war ein wunderbarer Kollege und warmherziger Freund. Ich (Rudi) verdanke ihm in beider Hinsicht viel. Seine Freude, Neugierde und Kraft waren ansteckend. Ich habe mit ihm sogar Beton gemischt und Mauern gebaut, obwohl ich in jeder anderen Beziehung um jedwedes Handwerken riesige Bögen gezogen habe und ziehe. Ich habe von ihm gelernt, gute von sehr guten Weinen zu unterscheiden, wie man ganze Seezungen (vier Stück) in einer riesigen Pfanne brät, wie man Zucchiniblüten füllt. Kurz: wie man das Leben genießt und welche Möglichkeiten es noch gibt, die eingefahrenen Prioritäten über den Haufen zu werfen und mit alternativen zu experimentieren.
Und wir sind dankbar für die letzte gemeinsam verbrachte Woche in Italien. Das Foto zeigt den Tisch, von dem wir gerade alle aufgestanden waren. Es war ein Mittagessen zu seinem 65. Geburtstag und das folgende Gedicht von Luigi Nono bringt für uns zum Ausdruck, was Hans uns bedeutet hat und weiter bedeuten wird.
Lebendig ist, wer wach bleibt
Sich den anderen schenkt
Das Bessere hergibt
Niemals rechnet
Lebendig ist, wer das Leben liebt
Seine Begräbnisse, seine Feste
Wer Märchen und Mythen aus den ödesten Bergen findet.
Lebendig ist, wer das Licht erwartet
in den Tagen des schwarzen Sturms
Wer die stilleren Lieder
ohne Geschrei und Schüsse wählt
Sich zum Herbst hinwendet
und nicht aufhört zu lieben
In Verbundenheit mit Nina und der Familie und den Freunden
Rudi und Barbara
Ich war eine alte Freundin aus unserer Schulzeit in Hessisch Lichtenau und auch etwas mehr. Während meiner Zeit 1985 bis 1993 in Umbrien wollten wir uns treffen, in seinem Haus in der Toskana. Jetzt erst lese ich das, sein Ableben, da, wo er, wie auch ich glücklich waren. Ich bin tief betroffen, traurig, es sollte nicht sein. Ich hätte gern auch seine Familie kennengelernt. Eine Träne und ein liebevolles Gedenken.
Annette Wolter
Für Hans
Am Morgen des 8. Oktobers rief Arist mich an: „Hast Du schon gehört…“ Ich bin noch immer geschockt und traurig. Ich hatte gerade einen engen Freund zu seiner letzten Ruhe begleitet, ich kann das Unbegreifliche noch immer nicht fassen.
Ich kenne Hans seit 1983. Er nahm an meiner ersten Ausbildungsgruppe teil, die ich für das IF Weinheim mit Barbara Brink leitete. Seither sind wir Freunde, die Freundschaft vertiefte sich über die Begegnung unserer Familien in unseren Ferienhäusern in der Toskana und Provence und in Bremen und Köln. Die Begegnungen waren auch immer kulinarische Höhepunkte, wir tauschten uns mit großem Vergnügen über die feinen Unterschiede der toskanischen und provençalischen Weine aus.
Hans hat zusammen mit Arist mich zu meinem 60. Geburtstag mit dem Buch „Anwendungsfelder systemischer Praxis“ überrascht. Mit besonderer Freude konnte ich auf Einladung seiner Tochter Rose und mit ihr und Arist zu seinem 60. Geburtstag das Buch „Vom Gegenwind zum Aufwind“ herausgeben. Die illustre Zahl der systemischen Kolleginnen und Kollegen, die auf unsere Anfrage, ein Geburtstagsgeschenk für Hans, zu editieren, ihre Beiträge lieferten, zeigt die besondere Wertschätzung, die er im systemischen Feld genießt.
Ich fühle mich seiner Frau Nina und seinen Kindern, deren Wachsen und Gedeihen ich miterleben durfte tief verbunden. Mir ist noch gut in Erinnerung mit welchem Glücksgefühl Nina und Hans von der wachsenden Schar ihrer Enkelkinder berichteten.
Ich vermisse Hans als liebevollen Wegbegleiter meines beruflichen und privaten Werdegangs, er bleibt für mich lebendig.
„Nein, schlaft nicht, während die Ordner der Welt geschäftig sind!
Seid misstrauisch gegen ihre Macht, die sie vorgeben, für euch erwerben zu müssen!
Wacht darüber, dass eure Herzen nicht leer sind, wenn mit der Leere euerer Herzen gerechnet wir!
Tut das Unnütze, singt die Lieder, die man aus eurem Mund nicht erwartet!
Seid unbequem, seid Sand nicht das Öl im Getriebe der Welt!“
Diese Zeilen von Günter Eich, die wir dem „Geburtstagsbuch“ vorangestellt haben, charakterisieren Hans vortrefflich und sind sein Vermächtnis.
Haja (Johann Jakob) Molter