Heft 2 des 5. Jahrgangs des Online-Journals Psychotherapie-Wissenschaft ist gerade veröffentlicht worden und kreist um das Thema Emanzipation in Psychotherapie, Erziehung, Seelsorge, Politik etc. Im Editorial heißt es dazu: „Der Gesetzgebungsprozess rund um den Psychotherapie-Beruf tendiert dazu, die Wahrnehmung und die Praxis dieses Berufs einzuschränken – dabei wirft namentlich seine Interpretation als reiner Heilberuf im Dienste der Krankenkassen Fragen grundsätzlicher Art auf. Das Psychotherapieverständnis der Schweizer Charta macht jedoch bei einer Medizin-zentrierten Fokussierung der Psychotherapie nicht Halt. Denn die Psychotherapie hat nicht nur ein kuratives, sondern auch ein emanzipatorisches Interesse: Angesichts stetig wachsender psychopathologischer Befunde, psychiatrischer Diagnosen und störungsspezifischer Behandlungsweisen erscheint es zwingend, unter dem Stichwort der Emanzipation an die Entwicklung und Entfaltung von Persönlichkeit zu erinnern. Dieses emanzipatorische Interesse teilt die Psychotherapie mit vielen anderen kultur- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen.
Zum Psychotherapieverständnis der Schweizer Charta gehört nach wie vor dessen interdisziplinäre Verortung. Auch wenn nun die Studiengänge der Medizin oder der Psychologie zwingende Voraussetzungen sind, um psychotherapeutisch tätig werden zu dürfen, verfolgt die Charta in ihrem Wissenschaftsverständnis weiterhin einen interdisziplinären Ansatz. Philosophie, Theologie, Soziologie, Ethnologie, Pädagogik, Literatur-, Kunst- und andere Sozialwissenschaften etc. bilden ebenso den Reigen des Wissens- und Erfahrungsschatzes für das Psychische wie die Medizin und die Psychologie.
Der Zeitpunkt scheint daher günstig zu sein, drei Desiderate zu verbinden: erstens, die Verankerung der Psychotherapie in der aufklärerischen Emanzipation in Erinnerung zu rufen, zweitens, ihre interdisziplinäre Verbundenheit mit den erwähnten Wissenschaften abzurufen und produktiv zu machen, und drittens, auf eigene Wege der genannten kultur- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen zur Entwicklung der Psyche aufmerksam zu machen. Alles mit dem Ziel, die gemeinsamen Interessen verwandter Disziplinen öffentlichkeitswirksam zu diskutieren und zu stärken sowie voneinander zu lernen.“
Auch Jürgen Kriz hat einen Text beigesteuert, in dem er sich mit „Sozialisation und Emanzipation in der Psychologie und Therapeutenbildung“ beschäftigt. In seinem abstract heißt es: „Dieser Beitrag zeigt, wie für die Emanzipation in Psychologie und Psychotherapie die Überwindung des mechanistisch-kausalen Weltbildes wichtig wäre. Dieses Weltbild hat in unserer Kultur dafür gesorgt, dass enorme technologische Errungenschaften das Alltagsleben des Menschen bereichert haben. Dieser Erfolg hat allerdings zu einer Übergeneralisierung verführt, welche versucht, den Menschen nach denselben technischen Prinzipien zu verstehen und zu behandeln. Dies umso mehr, als die Globalisierung und zunehmende Komplexität der Prozesse, in die wir eingebettet sind, Verunsicherung und Angst fördern, auf welche schon immer mit Reduktion und rigidem Festhalten an bisherigen Mustern reagiert wurde. Dies wiederum behindert eine kreative Adaptation an die sich rasch ändernden Bedingungen. Als Kontrast wird dem mechanistisch-kausalen Weltbild ein entwicklungsorientiertes, dynamisches und selbstorganisiertes gegenübergestellt. Die hierfür essentiellen Prinzipien liegen sowohl humanistischer Psychotherapie als auch moderner Naturwissenschaft zugrunde. Zur Emanzipation bedürfte es somit einer Überwindung des Weltbildes des 19. Jahrhunderts und einer Zuwendung zu humanistischen Ansätzen und einem neueren interdisziplinärem Verständnis der Welt.“ Der vollständige Text ist hier zu lesen, das Inhaltsverzeichnis der gesamten Ausgabe finden Sie hier…