Als das im Juni erschienene Heft 2 des aktuellen Kontext-Jahrgangs geplant wurde, war die Corona-Pandemie noch nicht absehbar, die so viele Lehrende und Lernende, BeraterInnen und KlientInnen, Coaches und Coachees unerwartet mit der Notwendigkeit konfrontiert hat, die neuen digitalen Kommunikationsmedien intensiver nutzen zu müssen, als sie sich hätten vorstellen können (und wollen).
Die Auseinandersetzung mit der Digitalisierung durch Professionelle in Beratung, Therapie, Supervision, Coaching und Weiterbildung hat damit eine neue Dringlichkeit erfahren, insofern ist dieses Heft (auch wenn es nur in einem Beitrag außerhalb des Themenschwerpunktes explizit um die Folgen der Pandemie geht) mehr als aktuell – Marc Weinhardt hat es als Gastherausgeber betreut. In seinem Editorial schreibt er: „Was bedeutet Digitalisierung für (systemische) Beratung und Therapie? Die Frage ist komplex, und ein Themenheft wie das vorliegende kann sicherlich nur eine erste Orientierung geben. Diese halte ich allerdings für dringend geboten, um allfälligen Verkürzungen in der Diskussion um Digitalisierungsphänomene in der systemischen Community zuvorzukommen – einerseits lässt sich nämlich eine Intensivierung des Fachdiskurses beobachten (…), die aber andererseits in der Fläche noch nicht wahrgenommen wird.
Dies mag auch daran liegen, dass Digitalisierung, um es mit dem Medienwissenschaftler Uwe Pörksen auszudrücken, ein Plastikwort (…) geworden ist, das wenig zur intensiven Beschäftigung reizt: Mit ihm können nahezu beliebige gesellschaftliche Praktiken als innovativ oder gar revolutionär semantisch aufgeladen werden: E-Learning, Onlineberatung, Zusammenarbeit mittels elektronischer Medien, Industrie 4.0, gesteigerter Smartphonegebrauch, Künstliche Intelligenz, die Massenausbreitung neuer Geräteklassen wie Smarte Lautsprecher oder Wearables, agiles Arbeiten – all das und noch viel mehr ist mit Digitalisierung gemeint.
Eine andere Lesart, die sich gerade nicht in der additiven Aufzählung einzelner digitaler Gerätschaften und Praktiken erschöpft, ist die eines umfassenden kulturellen Wandels. (…) Akzeptiert man eine solche Auffassung von Digitalisierung als kulturellem Wandel, der sich als Mediatisierung in der Lebenswelt zeigt, so können drei klassische Ebenen unterschieden werden: Auf der Mikroebene beraterischer Interaktion geht es dann um veränderte Medienpraxen, die Onlineberatung dürfte das sofort einleuchtende Beispiel sein, aber auch veränderte und erweiterte Mensch-Maschine- Schnittstellen, beispielsweise in der Nutzung von Algorithmen in der Entscheidungsfindung, wie sie international bereits im Kinderschutz eingesetzt werden (…), aber auch Phänomene wie das Grinding, bei dem junge Menschen sich digitale Medien jenseits des Medizinsystems implantieren und so mit neuen Existenzweisen experimentieren (»Biohacking«, »Bodyhacking«, »Grinding«, Lukyanov, 2019; Brickley, 2019; »do-it-yourself science«, Ferretti, 2019). Auf der Mesoebene zeigen sich durch die Mediatisierung einerseits Phänomene der Ent-Örtlichung und Ent-Zeitlichung mit ihren stellenweise gravierenden Auswirkungen auf bereits bestehende organisationale Routinen (…), andererseits neue Möglichkeiten durch Big Data und Predictive Computing. Und schließlich bleiben auch Makroprozesse wie Sozialpolitik und die damit einhergehende Institutionalisierung nicht unberührt und werden, aktuell z. B. im Bereich der Telemedizin, stark technologiegetrieben verändert.“
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