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Online-Journal für systemische Entwicklungen

Die Suche nach Biomarkern zur Diagnostik psychischer Störungen

| 2 Kommentare

Hans Peter Michels, Psychologe und Hochschullehrer an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus–Senftenberg, hat in Heft 1/2017 der Zeitschrift Verhaltenstherapie & psychosoziale Praxis einen informativen und interessanten Text veröffentlicht, der die aktuellen Trends der Durchsetzung eines biologisch-medizinischen Paradigmas in der psychiatrischen und psychotherapeutischen Diagnostik kritisch nachzeichnet. Im abstract heißt es: „Bei der Erforschung der Ursachen „psychischer Störungen“ wird in Psychiatrie und Klinischer Psychologie immer stärker auf biologische Faktoren fokussiert. Seit der Publikation des DSM-III im Jahre 1980 sind die nachfolgenden Revisionen dieses Klassifikationssystems zwar mit biologischen und neurowissenschaftlichen Formulierungen angereichert worden. Allerdings hat man – trotz vollmundiger Ankündigungen – bis zur aktuellen Version DSM-5 keine Biomarker für die Fundierung der Diagnosekategorien präsentieren können. Dies hat eine Abkehr vom bisherigen DSM-Konzept „psychischer Störungen“ eingeleitet: Einflussreiche Wissenschaftler wie Manager proklamieren neue biomedizinische bzw. neurowissenschaftliche Rahmenrichtlinien – wie die Research Domain Criteria (RDoC), die „Hirnschaltkreise“ zum Ausgangspunkt für Forschungen festlegen. Im vorliegenden Beitrag wird eine kritische Analyse dieser Entwicklungen präsentiert.“ Michels’ Fazit: „ Die Initiativen laufen, wenn sie planmäßig umgesetzt werden sollten, auf eine noch stärker biologisch-neurowissenschaftlich orientierte psychiatrische Forschung hinaus. Es ist zu befürchten, dass psychologisch und sozialwissenschaftlich begründete Ansätze noch weiter ins Hintertreffen geraten.“

Den vollständigen Text kann man hier lesen…

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2 Kommentare

  1. Lothar Eder sagt:

    Das ist doch ein weiterer Beleg dafür, wie wichtig es ist, das Projekt Psychotherapie zu stärken und nicht – wie z.T. aus systemischen Zirkeln gefordert wird – von “posttherapeutischen Zeiten” zu fantasieren. Die posttherapeutischen Zeiten sind nämlich schon im Anbruch: biologische Erklärungsansätze (von deren Griffigkeit die Entscheider im Gesundheitsmarkt begeistert sind) und nachfolgende Medikalisierung der Versorgungslanschaft. Wer die eigene Domäne schwächt, indem er beständig kommuniziert, dass es das, was der Fall ist, gar nicht gibt, schwächt das Projekt Psychotherapie.

    • Rufer Martin sagt:

      Dem schliesse ich mich gerne an, obwohl der im Artikel auch zitierte Insel (Ex Direktor director des NIMH) das bisher geltenden Diagnostikmodell (DSM) zurecht kritisiert:”Former NIMH head Insel acknowledges that the RDoC funding priority has not resulted in moving the field closer to his hoped-for goal of “precision medicine for psychiatry.”… “I spent 13 years at NIMH really pushing on the neuroscience and genetics of mental disorders, and when I look back on that I realize that while I think I succeeded at getting lots of really cool papers published by cool scientists at fairly large costs—I think $20 billion—I don’t think we moved the needle in reducing suicide, reducing hospitalizations, improving recovery for the tens of millions of people who have mental illness,” Insel says. “I hold myself accountable for that.” (zit aus. einem Mail von Franz Caspar bzw. M.Goldfried).
      Die uns allen gemeinsame Sorge ist, dass die Medizinalisierung/Biologisierung der Psychotherapie weiter voran schreitet und unklar ist, wie sich die Kassenzulässigkeit (Krankheitswertigkeit) auf das “Projekt Psychotherapie” längerfristig auswirken wird. Die Geschichte der VT und die Etablierung von Methode und Anbietern (Psychotherapeutinnen) im medizinischen System stimmt allerdings wenig zuversichtlich…

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