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Die Expo als Liebestank

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Immer wieder kommen Paare zu mir, die im Abnützungskampf des Alltags erschlafft sind. Ihre Energie verwenden sie auf die Frage, wer schuld sei am Unglück, und damit füllen sie die Leere. Du bist nur noch mit dem Beruf verheiratet, klagt Doris mit belegter Stimme, und Georges giftet zurück: Und du mit den Kindern und deiner Familie. Meine Frage, wann sie es zum letzten Mal als Paar schön hatten miteinander, zärtlich und erotisch, erzeugt Verlegenheit. Oder ist es ärger?
Wenn ein Paar zu einem Vorschlag bereit ist – was ich stundenlangem Klagen vorziehe –, greife ich gern auf eigene Erfahrungen zurück. Wir selber haben uns damals alle paar Monate ein Paar-Wochenende genommen, unter Wehgeschrei unserer Kinder, die bei Freunden mit Jungmannschaft einquartiert wurden. Das schlechte Gewissen, mit dem wir jeweils wegschlichen, muss ihnen ungeheuer gut getan haben! Zehn Minuten nach der Abreise der Rabeneltern habe jedes Mal der gemeinsame Spass begonnen, und genau so war es im umgekehrten Fall, wenn die Kinder der Freunde schimpfend zu uns kamen. Ich erzähle Doris und Georges diese Geschichte. Sie gucken skeptisch. Ist das alles?, fragen sie, und soll das die Lösung sein? Ist doch nur ein Schrittchen auf dem Weg! Missmutig geben sie der Idee eine Chance und fahren mit der Bahn nach Yverdon ins Thermalbad und an die Expo. Kenne ich nicht. Als sie in bester Stimmung in die nächste Stunde kommen, von Swiss Love, dem Liebestempel, schwärmen, und wie sie am Sonntagmorgen in «Wer bin ich?» auf einem Paarsofa unter bewegtem Himmel lagen, kluge Fragen hörten und sich Antworten ausdachten, weiss ich: Da muss ich hin.
Yverdon bei strahlendem Wetter: zwei Tage driften, ohne Programm. Schönheit, Sinnlichkeit und Technik ergänzen sich wunderbar. In unseren blauen Plastic-Hüllen, drei Franken das Stück, sehen wir ein bisschen lächerlich aus. Tropfende Nasen und Haare rundum, im Sprühnebel der Wolke, vor dem allerschönsten Panorama der Schweiz. Gesprächsfetzen im Nebel: Regenwald! Kuaui, weisst du noch, flüstert einer. Aletschgletscher, Nebel und Schiss, eine junge Walliserin; aber wir haben überlebt. Appenzellerhund Bobi, erzähle ich, der klügste aller Hunde, liess sich jedes Mal auf dem geparkten Leiterwagen nieder, sobald in der Waschküche der Kupferkessel eingeheizt wurde. Von dort war er den ganzen Tag nicht wegzubewegen. Dampf muss eine archaisch sinnliche Erfahrung sein, auch für Hunde.
Swiss Love ist mir zu klischeehaft. Aber Doris und Georges liebten die Liebesgeschichten. L’amour est revenu, erzählen sie.

Im Jahre 2002 hat die im vergangenen Jahr verstorbene systemische Paartherapeutin Rosmarie Welter-Enderlin allwöchentlich Sonntags in der Neuen Zürcher Zeitung eine Kolummne mit dem schönen Titel„Paarlauf“ veröffentlicht, in der sie kleine Beobachtungen und Geschichten aus ihrer paartherapeutischen Praxis für ein größeres Publikum zugänglich machte. Rudolf Welter hat aus diesen Beiträgen eine kleine Broschüre zum Andenken an Rosmarie Welter-Enderlin gestaltet. Mit seiner freundlichen Erlaubnis können die LeserInnen des systemagazin an diesen Sonntagen die Texte auch online lesen.

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