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Die Befehle des Alltags. Glosse von Hartwig Hansen

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„Vertrauen Sie Ihrem Bauchgefühl!“
Nein, das ist keine ermutigende Aufforderungsformulierung, die ich in der letzten Beratung verwendet habe, sondern steht mit großen Lettern auf einer Plakatwand, an der ich gestern auf dem Weg zur Arbeit vorbeifuhr.
Ach, wieder so ein Imperativ, was wir zu tun und zu lassen haben.
Diesmal also „Vertrauen Sie Ihrem Bauchgefühl!“ Und darunter „Vertrauen Sie uns! Schauinsland Reisen“.
Mein Bauchgefühl sagt: Das ist dreist! Ich kenne die doch gar nicht … Wieso befehlen sie mir, dass ich ihnen vertrauen soll?
Vor Weihnachten waren mir die Plakate der „Hamburger Tafel“ aufgefallen. Darauf das Motiv eines strengen Nikolaus und der Slogan: „Schauen Sie nicht weg!“
Übersetzt: Anderen geht es nicht so gut wie Ihnen – Schauen Sie nicht weg, spenden Sie für die Tafel! Boah, fehlte nur noch die Rute des Nikolaus’ auf den Plakaten und die Mahnung: „Warst du denn auch immer artig?“
Besonders auf die Nerven gehen mir diese permanenten „Jetzt wechseln!“-Aufrufe, die einen geradezu anschreien im Alltag. Wechseln Sie jetzt Ihren Mobilfunktarif, Ihren Pay-TV-Anbieter, Ihre Haarfarbe usw. Eine große Hamburger Bank wirbt mit dem Slogan: „Mit dem offiziellen HSV-Konto ist der HSV immer an Ihrer Seite. Jetzt wechseln!“
Will ich den HSV immer an meiner Seite? Nicht dass ich wüsste.
Was soll ich bitte schön noch alles ändern in meinem Leben? Und zwar sofort!
„Hier aussteigen für die Karriere!“, schlägt eine Zeitarbeitsfirma in der S-Bahn vor.
Den Sicherheitshinweis: Aber bitte nicht während der Fahrt … suche ich allerdings vergebens.
Dafür fehlt in den Waggons nicht das Warnschild über den Türen: „Kommen Sie nicht auf die schiefe Bahn!“ Das meint nun allerdings die schiefe Bahn des Schwarzfahrens.
Im Grunde werden wir jeden Tag angeschrien und gemaßregelt: Befehle, Imperative, Ausrufezeichen im öffentlichen Raum, wo man hinschaut. Von der leidigen Werbung im Fernsehen ganz zu schweigen.
Mir gefällt das nicht, genauso wenig wie im privaten Telefongespräch, wenn ich dann mal wieder höre: „Mach’s gut!“ oder „Werd schnell wieder gesund!“ – Das ist anstrengend.
„Erfüllen Sie sich Ihre Träume!“ Raten Sie mal, wer mir das entgegenschleudert.
Das kann alles sein, da haben Sie recht. Diesmal ist es ein Synonym für: Notleidende Banken bitten um Ihre Hilfe bei ihrer Rettung. Nehmen Sie jetzt Ihren persönlichen Privatkredit auf! Sonst verdienen wir nichts mehr. „Erfüllen Sie sich Ihre Träume!“ Logisch.
Das beste Imperativ-Plakat fand ich allerdings vor ein paar Wochen in einem Einkaufszentrum. Das Schild im Schaufenster war schlicht, aber deutlich: „Jetzt stricken lernen!“
Ich schaute durchs Fenster in den Verkaufsraum: Die Wandregale voll von Wollknäueln und Strickzeitschriften. Ich fühlte mich nicht wirklich angesprochen, musste aber kurz überlegen, was passieren würde, wenn ich nicht sofort diesen Laden betreten und kundtun würde: „Sie haben recht. Ja, ich muss heute noch stricken lernen!“
Wahrscheinlich würde ich sofort den Weltuntergang auslösen.
Dann vielleicht doch lieber sofort stricken lernen!
Wie war das noch? Vertrauen Sie Ihrem Bauchgefühl!
Meins sagt: Lasst mich doch alle in Ruhe!!!

Hartwig Hansen

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