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Online-Journal für systemische Entwicklungen

Familiendynamik 1994

Heft 1

Helm Stierlin & Josef Duss-von Werdt (1994): Editorial: Zwischen Theorie und Praxis. In: Familiendynamik  19 (1), S. 1-2.

Jürgen Hargens & Stefanie Dieckmann (1994): Von der Theorie zur Praxis und zurück. Sprache, Lösungen und Zeit oder: Wie kann ich das tun, was meine Theorie fordert? In: Familiendynamik  19 (1), S. 3–14.

abstract:  Die Unterscheidung zwischen systemisch und konstruktivistisch spricht für eine andere Definition aller am sog. therapeutischen Prozess Beteiligten im Sinne unterschiedlicher Kundigkeit. Es werden drei Übersetzungen dieser Konzeptualisierung in praktisches Handeln vorgestellt: 1) systemisch fragen – konstruktivistisch sprechen, 2) Lösungs-Frage und 3) Vergangenheit -Zukunft-Frage.

Rudolf Klein (1994): Innenbeschreibungen und Außenbeschreibungen. Überlegungen zur Nutzung der System/Umwelt-Differenzierung sozialer Systeme in der systemischen Therapie. In: Familiendynamik  19 (1), S. 15–26.

abstract:  In Anlehnung an die Arbeiten Luhmanns geht der Autor von der Idee aus, Menschen und psychische Systeme als Umwelten sozialer Systeme zu begreifen. Er versucht in der vorliegenden Arbeit darzustellen, welche Möglichkeiten sich eröffnen, wenn dieses Konzept der System/Umwelt-Differenzierung auf therapeutisches Handeln übertragen wird.

Christian Spengler (1994): Der Blick des Therapeuten. In: Familiendynamik  19 (1), S. 27–49.

abstract:  Der erste Teil skizziert Strukturen der Augensprache. Im zweiten Teil werden eine Reihe von Fragestellungen aus der Diskussion über systemische Therapie von einem Standpunkt aus neu gesichtet, der aus dem Werk Jean-Paul Sartres entwickelt wurde. Es wurde psychologisch gelesen, vor allem einige Kapitel aus seinem Hauptwerk „Das Sein und das Nichts“. Die Bedeutung des Sehens für die Beziehung zwischen Menschen wurde in der Literatur über Therapie vernachlässigt. Eine Reihe psychologischer Implikationen von Sartres Analyse des Blicks werden auf therapeutische Situationen hin befragt: Die Bedeutung der Tatsache, gesehen zu werden, zum Beispiel von einem Therapeuten angeschaut zu werden oder von einer Therapeutin; die Bedeutung des Blicks in der Situation des zirkulären Fragens; ein Fallbeispiel soll die therapeutische Kraft des Blicks veranschaulichen. Unmöglich, Sartre ohne Achtung für seine Philosophie zu lesen; vergleichende Bemerkungen führen in eine kritische Reflexion des Konstruktivismus, u.a. zu den Themen: Das Problem der Realität, das Leben als Entwurf und Entscheidung, die Funktion der erzählten Geschichte, die Unmöglichkeit instruktiver Interaktion und der Machtausübung, der „Skandal der Pluralität der Bewusstseine“.

Dorothea Waßmer (1994): Konsequentes Verhalten – oder: was interessiert mich mein Geschwätz von gestern? In: Familiendynamik  19 (1), S. 50–63.

Heike Döpp-Müller (1994): Ist der Radikale Konstruktivismus inhuman? oder: Die Philosophie des »Trotzdem«. In: Familiendynamik  19 (1), S. 64–66.

abstract:  Der folgende Artikel setzt sich mit den Vorwürfen auseinander, die von KritikerInnen des Radikalen Konstruktivismus immer wieder formuliert werden: D ieser theoretische Ansatz zeichne sich durch Beliebigkeit und Leerformelhaftigkeit, sogar durch Ungerechtigkeit und Inhumanität aus, da er keine verbindlichen Kriterien für ethische Entscheidungen zur Verfügung stelle. Aus sozialarbeiterischer Sicht werde ich versuchen, die m.E. implizit durchaus vorhandenen ethischen Maßstäbe, gewissermaßen die Grenzen des »anything goes«, zu bestimmen; daraus leitet sich parteiliche Sozialarbeit, eine radikal-humane Haltung so wie eine »Philosophie des Trotzdem « ab, die Entscheidungsmöglichkeiten auch in den schwierigsten Umständen nutzt.

Susan Scharwiess (1994): Familienbilder der deutschen Einheit. In: Familiendynamik  19 (1), S. 67–74.

Andreas Manteufel (1994): «Selbstorganisation in Psychologie und Psychiatrie – Empirische Zugänge zu einer psychologischen Synergetik«. Dritte Herbstakademie vom 4. bis 7. Oktober 1993 in Bern. In: Familiendynamik  19 (1), S. 75–76.

Hans-Peter Heekerens (1994): Rezension – Luitgard Brem-Gräser (1993): Handbuch der Beratung für helfende Berufe. München/Basel (Ernst Reinhardt). 3 Bände. In: Familiendynamik  19 (1), S. 76-77.

Manfred Cierpka (1994): Rezension – David S. Freeman (1991): Multigenerational Family Therapy. New York (The Haworth Press). In: Familiendynamik  19 (1), S. 78-78.

Christoph Morgenthaler (1994): Rezension – Klaus Kühlwein (1991): Familienbeziehung und Bergpredigtweisungen. Kommunikatives Handeln nach den Antithesen (Mt 5, 21-48 mit 6, 14f + 12b; 7, 1-5) und ihre Bedeutung aus der Sicht des Heidelberger familiendynamischen Modells. Frankfurt/ Bern (Peter Lang). In: Familiendynamik  19 (1), S. 78-79.

Christine von Passavant (1994): Rezension – Monica McGoldrick, Carol M. Anderson und Froma Walsh (Hrsg:) (1991): Feministische Familientherapie in Theorie und Praxis. Freiburg im Breisgau (Lambertus). In: Familiendynamik  19 (1), S. 79-79.

Werner Kirst (1994): Rezension – Gaby Moskau u. Gerd F. Müller (Hrsg.) (1992): Virginia Satir – Wege zum Wachstum: Ein Handbuch für therapeutische Arbeit mit Einzelnen, Paaren, Familien und Grup pen. Paderborn (Junfermann). In: Familiendynamik  19 (1), S. 79-80.

Matthias Lauterbach (1994): Rezension – Ricarda Müssig (1991): Familien-Selbst-Bilder. Gestaltende Verfahren in der Paar- und Familientherapie. München/Basel (Ernst Reinhardt Verlag). In: Familiendynamik  19 (1), S. 80-81.

Dagmar Hosemann (1994): Rezension – William F. Nerin (1989): Familienrekonstruktion in Aktion. Virginia Satirs Methode in der Praxis. Paderborn (Junfermann). In: Familiendynamik  19 (1), S. 81-82.

Hans-W. Saloga (1994): Rezension – Jürgen Schaltenbrandt (Hrsg.) (1992): Familienorientierte Drogenarbeit. Berichte aus der Praxis. Heidelberg (Asanger). In: Familiendynamik  19 (1), S. 82-82.

Michael B. Buchholz (1994): Rezension – Walter Schwertl, Elke Rathsfeld & Günther Emlein (Hrsg.) (1992): Systemische Theorie und Perspektiven der Praxis. Was leistet systemisches Denken im Bereich der Sucht. Eschborn (Dietmar Klotz). In: Familiendynamik  19 (1), S. 83-84.

Andreas Manteufel (1994): Rezension – Wolfgang Tschacher, Günter Schiepek, Ewald Johannes Brunner (Hg.) (1992): Self-organization and Clinical Psychology. Empirical Approaches to Synergetics in Psychology. Berlin (Springer). In: Familiendynamik  19 (1), S. 84-85.

Günter Reich (1994): Rezension – Rosmarie Welter-Enderlin (1992): Paare – Leidenschaft und lange Weile. Frauen und Männer in Zeiten des Überganges. 2. Aufl., München (Piper). In: Familiendynamik  19 (1), S. 86-87.

Franz Ebbers (1994): Rezension – Carl A. Whitaker & W.M. Bumberry (1992): Dancing with the Family. Mainz (Matthias-Grünwald). In: Familiendynamik  19 (1), S. 87-88.

Jürgen Hargens (1994): Rezension – Thorana S. Nelson & Terry S. Trepper (Hrsg.) (1993): 101 Interventions in Family Therapy. New York/London/Norwood (Haworth). In: Familiendynamik  19 (1), S. 88-88.


Heft 2

Helm Stierlin & Josef Duss-von Werdt (1994): Editorial: Familienmedizin. In: Familiendynamik  19 (2), S. 99-100.

Arnold Retzer (1994): Compliance, Krankheitstheorien und familiäre Interaktion. In: Familiendynamik  19 (2), S. 101–121.

abstract:  Das Behandlungsproblem der Non-Compliance wird unter dem Gesichtspunkt der familiären Interaktion und der Interaktion des Patienten mit dem Gesundheitssystem betrachtet und neu bewertet. Dazu wird die ärztliche Behandlung als eine Interaktion beschrieben, in der sich bestimmte Überzeugungen des Patienten mit denen anderer Familienmitglieder und dem medizinischen System verschränken und zu verschiedenen Dilemmata führen können. Die Überzeugungen von Patienten werden als Bestandteile von Lebenserzählungen und Krankheitstheorien betrachtet. Abschließend sind einige klinische Implikationen zusammengefaßt.

Beatrice L. Wood (1994): Jenseits der »psychosomatischen Familie«: Biobehaviorales Familienmodell bei kranken Kindern. In: Familiendynamik  19 (2), S. 122–147.

abstract:  In diesem Aufsatz soll ein systemisches Mehrebenenmodell der interaktiven biologischen, psychischen und sozialen Prozesse, die bei Krankheiten von Kindern ablaufen, dargestellt werden. Dieses heuristische Modell ermöglicht eine strukturierte Untersuchung der Pfade und Mechanismen, über die diese Ebenen einander beeinflussen. Ein Kernpunkt dieses biobehavioralen Modells der Familie ist das Konstrukt der Empfänglichkeit, das sowohl auf der Ebene der Familie (interpersonelle Empfänglichkeit) als auch auf der Ebene des Individuums (biobehaviorale Reagibilität) konzeptualisiert wird. Die individuelle biobehaviorale Reagibilität wird als Zweiwegpfad aufgefaßt, über den die Muster der Familie und die Krankheitsprozesse einander beeinflussen. Es werden klinisches Anschauungsmaterial und einschlägige Forschungsergebnisse vorgelegt und Vorschläge für künftige Untersuchungen gemacht. Dieses Modell integriert Theorien auf der Ebene des Individuums und der Familie und kann so zwischen den Gebieten der Psychosomatik, der Pädiatrie, der Verhaltensmedizin und der Familiensystemmedizin eine Brücke schlagen.

Michael Wirsching (1994): Alte Menschen und ihre Familien im medizinischen Alltag. Eine systemische Betrachtung. In: Familiendynamik  19 (2), S. 148–159.

abstract:  Veränderte Lebensbedingungen und Fortschritte der modernen naturwissenschaftlichen Medizin haben einen in unserer Geschichte noch nie erreichten Anstieg der Lebenserwartung bewirkt. Die Grenzen des auf diesem Wege Möglichen sind erreicht. Heute, am Ausgang der Moderne, finden in unserer Medizin die gleichen Umwälzungen statt wie in unserer übrigen Kultur, Gesellschaft und Wissenschaft. Dieser Umbruch verändert derzeit schnell und nachhaltig unser medizinisches Denken und unsere Arbeitsweisen und die Verteilung des verfügbaren Geldes. Alle wissen um die unauflösbaren Wechselbeziehungen biologischer, psychologischer und sozialer Prozesse, bei der Erhaltung der Gesundheit, wie bei der Entwicklung aller Arten von Krankheiten. Begonnen hat ein Umbau der Medizin, von einem ausschließlich auf Heilung körperlicher Krankheiten zu einem auf Lösung von Patientenproblemen gerichteten System. Problemen, die immer körperliche, seelische, familiäre und soziale Anteile haben, welche immer und in jedem Fall unlösbar verwoben sind. Längst überfällig ist die Schaffung von mehr Ausgewogenheit durch eine aufgabengerechte Gewichtung der in der Krankenversorgung, der Forschung und der Lehre verfügbaren Mittel. Die Situation alter Menschen und ihrer Familien im medizinischen Alltag zeigt, wie unverzichtbar diese heute laufenden Veränderungen unserer Medizin sind und daran werden wir am besten erkennen, wieweit der anstehende Umbau unserer Medizin bereits heute gediehen ist.

Marco Vannotti & Helene Rey (1994): Psychiater, behandelnder Arzt und Familie. Inhaltsanalyse eines gemeinsamen Gesprächs mit einem Jugendlichen mit psychosomatischen Problemen. In: Familiendynamik  19 (2), S. 160–174.

abstract:  Es wird anhand eines klinischen Beispiels berichtet über die Zusammenarbeit von behandelndem Arzt und Psychiater, im Falle eines Jugendlichen mit psychosomatischen Problemen und seiner Familie. Anhand wörtlicher Auszüge aus einem Erstgespräch mit der Familie, dem Psychiater und dem behandelnden Arzt wird gezeigt, welche Vorstellungen die beteiligten Personen von den Problemen haben. Diese werden als erweiterte Sicht der Probleme des Jugendlichen zur Grundlage einer kombinierten somatischen und psychotherapeutischen Behandlung.

Alfred Drees (1994): Kurztherapie einer türkischen Familie. Cosinnlich-metaphorische, soziale und edukative Elemente. In: Familiendynamik  19 (2), S. 175–181.

abstract:  Es wird die Kurztherapie einer depressiven türkischen Familie beschrieben. Anlaß war ein Schluckauf-Symptom der 50jährigen Mutter, welches ein „gräßliches Ausmaß“ angenommen hatte. Im Verlauf der Gespräche wurden verschiedene Methoden angewendet: Kulturspezifische und familiäre Gesprächsbarrieren konnten mittels metaphorischer Elemente verringert werden. Gespräche klärten Zusammenhänge zwischen sozialer und psychischer Situation mit körperlichen Symptomen auf dem Hintergrund aktueller Ausländerprobleme. Sie dienten der vertrauensvollen und sicherheitsschaffenden Verständigung im Dienste therapeutischer Kooperation.

Wolfgang Herzog & Jochen Schweitzer (1994): Anorexia nervosa – Ergebnisse und Perspektiven in Forschung und Therapie. In: Familiendynamik  19 (2), S. 182–187.

Katharina Ley (1994): Rezension – Günter Burkart & Martin Kohli (1992): Liebe, Ehe, Elternschaft. Die Zukunft der Fami­lie. München (Piper). In: Familiendynamik  19 (2), S. 188-188.

Katharina Ley (1994): Rezension – Steve de Shazer (1992): Muster familientherapeutischer Kurzzeit-Therapie. Paderborn (Junfermann). In: Familiendynamik  19 (2), S. 188-189.

Wilfried Hosemann (1994): Rezension – Willard Gaylin (1993): Die Helden sind müde. Das männliche Ich. Düsseldorf (Econ). In: Familiendynamik  19 (2), S. 189-189.

Wolfgang Mayrhofer (1994): Rezension – Dagmar Greitemeyer (1992): Systemische Trennungsberatung. Tübingen (Schöppe & Schwarzenbart). In: Familiendynamik  19 (2), S. 189-190.

Josef A. Rohmann (1994): Rezension – M. Hofer, E. Klein-Allermann & P. Noack (1992): Familienbeziehungen. Eltern und Kinder in der Entwicklung. Ein Lehrbuch. Göttingen (Hogrefe). In: Familiendynamik  19 (2), S. 190-190.

Katharina Ley (1994): Rezension – Insoo Kim Berg (1992): Familien-Zusammenhalt(en). Ein kurztherapeutisches und lösungs-orientiertes Arbeitsbuch. Dortmund (verlag modernes lernen). In: Familiendynamik  19 (2), S. 191-191.

Katharina Ley (1994): Rezension – Marianne Krüll (1992): Freud und sein Vater. Die Entstehung der Psychoanalyse und Freuds ungelöste Vaterbindung. Frankfurt (Fischer). In: Familiendynamik  19 (2), S. 191-191.

Roberto Frigg (1994): Rezension – Andrea Lanfranchi (1993): Immigranten und Schule. Opladen (Leske & Budrich). In: Familiendynamik  19 (2), S. 191-192.

Bernhard Burchert (1994): Rezension – Richard L. Meth, Robert S. Pasick u.a. (1992): »Mut zur Veränderung: Männer in der Therapie«, Mainz (Matthias-Grünewald-Verlag). In: Familiendynamik  19 (2), S. 192-193.

Dagmar Hosemann (1994): Rezension – Michael Mitterauer & Reinhard Sieder (1991): Vom Patriarchat zur Partnerschaft. Zum Strukturwandel der Familie. München (Beck). In: Familiendynamik  19 (2), S. 193-193.

Martin Sieber (1994): Rezension – Rudolf H. Moos, John W. Finney & Ruth C. Cronkite (1990): Alcoholism Treatment. Context, Process, and Outcome. New York (Oxford University Press). In: Familiendynamik  19 (2), S. 194-194.

Martin Lauterbach (1994): Rezension – Günther Teubner (1989): Recht als autopoietisches System. Frankfurt a.M. (Suhrkamp). In: Familiendynamik  19 (2), S. 194-195.


Heft 3

Helm Stierlin & Josef Duss-von Werdt (1994): Editorial: Sexualität und Familie. In: Familiendynamik  19 (3), S. 203-204.

Rachel T. Hare-Mustin (1994): Diskurse im verspiegelten Raum. Eine postmoderne Analyse der Therapie. In: Familiendynamik  19 (3), S. 205–232.

abstract:  Es wird ein postmoderner Ansatz verwendet, um die Diskurse zu untersuchen, die im Therapieraum in Umlauf sind. Die dominanten Diskurse stützen und reflektieren die in der Gesellschaft herrschenden Ideologien. Drei Beispiele, die immer wieder Vorkommen, betreffen die Beziehungen zwischen den Geschlechtern: der Diskurs über den männlichen Sexualtrieb, der Diskurs über die Freizügigkeit und der Diskurs über die Ehe zwischen gleichberechtigten Partnern. Ich lege dar, daß der Therapieraum ein verspiegelter Raum ist, der die Diskurse, die von der Familie und vom Therapeuten in ihn hineingetragen werden, lediglich reflektieren kann. Das therapeutische Gespräch hat einen vorbestimmten Inhalt, der durch die dominanten Diskurse in der jeweiligen Sprachgemeinschaft und Kultur vorgegeben wird. Ich behaupte, daß Therapeuten ein reflektierendes Bewußtsein entwickeln müssen, wenn unterdrückte Diskurse in den verspiegelten Raum gelangen sollen.

Rosmarie Welter-Enderlin (1994): «Glut unter der Asche«. Leidenschaft und lange Weile bei Paaren in Therapie. In: Familiendynamik  19 (3), S. 233–251.

abstract:  Es gibt Hinweise aus Praxis und Forschung, daß etwa 2/3 aller Paare häufig oder gelegentlich unter sog. Appetenzstörungen leiden. Auf dem Hintergrund des traditionellen Mythos, wonach leidenschaftliche Sexualität unvereinbar sei mit einer verbindlichen Paarbeziehung, fragt die Autorin, warum systemische Therapietheorien Sexualität und insbesondere Lust und Lustverlust kaum thematisieren. Es werden gesellschaftliche Machtverhältnisse sowie sozialisatorische und biografische Rahmenbedingungen für die Gemeinsamkeiten und Unterschiedlichkeiten des sexuellen Begehrens von Frau und Mann aufgezeigt. Die Frage, ob beim Thema Lustverlust eher eine fokale Sexualtherapie oder eine allgemeine Paartherapie indiziert sei, wird mit dem Hinweis auf den Vorrang des Fallverständnisses in einer emotional intimen (nicht sexuellen) therapeutischen Begegnung beantwortet und mit Beispielen aus der Praxis zu zwei kritischen Übergängen im Paarzyklus ergänzt: Wenn Paare Eltern werden sowie in und nach der Lebensmitte.

Ulrich Clement (1994): Sexuelle Skripte. In: Familiendynamik  19 (3), S. 252–265.

abstract:  Der Triebbegriff der psychoanalytisch orientierten Sexualwissenschaft läßt sich nur im Spannungsfeld sexueller Unterdrückung verstehen. Dieses Unterdrückungsparadigma der Sexualtheorie ist heute in den Hintergrund gerückt und hat die Sexualwissenschaft in eine „interparadigmatische“ Situation gebracht, in der auch konstruktivistische Ansätze diskutiert werden. Die vorliegende Arbeit verbindet Skripttheorie mit systemischen Überlegungen und schlägt ein Modell vor, demzufolge sexueller Skriptentwurf, Skriptinszenierung und Skriptkonsequenz zirkulär miteinander rückgekoppelt sind. Über diese selbstrekursiven Verbindungen bildet sich sexuelle Identität. Erregung wird als sexualisierte Angstlust verstanden, die dann entsteht, wenn in einer sexuellen Interaktion Vertrautheit verbunden wird mit Fremdheit und Unberechenbarkeiten der Skriptinszenierung. Diese Überlegungen werden auf die Ätiologie der sexuellen Inappetenz angewendet.

Claus Buddeberg, Barbara Bass & Ruth Gnirss-Bormet (1994): Die lustlose Frau – der impotente Mann. Zur sexuellen Beziehungsdynamik in ehelichen Zweierbeziehungen. In: Familiendynamik  19 (3), S. 266–280.

abstract:  Der Beitrag befaßt sich mit Überlegungen zum Wandel der Sexualität in ehelichen Zweierbeziehungen. Frauen suchen heute vor allem wegen Libido- und Männer wegen Erektionsstörungen therapeutische Hilfe. Die Zunahme dieser Störungen wird als Hinweis auf eine Psychologisierung der weiblichen und eine Medikalisierung der männlichen Sexualität gewertet. In der Genese dieser Störungen können vielfältige somatische und psychosoziale Faktoren eine Rolle spielen. In der Behandlung des Lust- und Erektionsverlusts zeigen sich einige gemeinsame Grundmotive, welche durch die Symptombildung symbolisch dargestellt werden: Ein Widerstand gegenüber einem übersteigerten Beziehungsideal, eine sanfte Inszenierung eines ehelichen Machtkampfes und eine Reaktion gegen tradierte Klischees von männlicher und weiblicher Sexualität. Abschließend wird die Frage nach einem möglichen Zusammenhang zwischen der „Pazifizierung“ ehelicher Zweierbeziehungen und der öffentlichen Gewaltdiskussion gestellt.

Laura M. Markowitz (1994): Die Suche nach Intimität: Gespräche über Sex. In: Familiendynamik  19 (3), S. 281–294.

Manfred Cierpka, K. Ratzke, Günter Reich, B. Armbrecht et al. (1994): Familien in Ost- und Westdeutschland. In: Familiendynamik  19 (3), S. 295–307.

Werner Kirst (1994): Rezension – Heidi Neumann-Wirsig & Heinz J.  Kersting (Hrsg.) (1993): Systemische Supervision. Aachen (Kersting). In: Familiendynamik  19 (3), S. 308-308.

Werner Kirst (1994): Rezension – Tom Andersen (Hrsg.) (1991): Das ReflektierendeTeam. Dortmund (verlag modernes lernen). In: Familiendynamik  19 (3), S. 308-309.

Eric D. Lippmann (1994): Rezension – Karin Klees (1992): Partnerschaftliche Familien: Arbeitsteilung, Macht und Sexua­lität in Paarbeziehungen. München (Juventa). In: Familiendynamik  19 (3), S. 309-310.

Josef A. Rohmann (1994): Rezension – E. Witte, J. Sibbert & I. Kesten (1992): Trennungs- und Scheidungsberatung. Grundlagen – Konzepte – Angebote. Göttingen, Stuttgart (Verlag für Angewandte Psychologie). In: Familiendynamik  19 (3), S. 310-311.

Hans-W. Saloga (1994): Rezension – Katharina Zimmer (1992): Versteh mich doch bitte! München (Kösel). In: Familiendynamik  19 (3), S. 311-311.


Heft 4

Helm Stierlin & Josef Duss-von Werdt (1994): Editorial: Beziehungen und Familien in der Belletristik. In: Familiendynamik  19 (4), S. 321-322.

Aleida Assmann (1994): Verhaltenslehren der Kälte in T. S. Eliots Drama »The Cocktail Party«. In: Familiendynamik  19 (4), S. 323–341.

abstract:  Einer Relektüre zeigt sich Eliots Drama „The Cocktail Party“ im Lichte antiliberaler Strömungen der Zwischen- und Nachkriegszeit. Trotz dieser historischen Distanz enthält das Stück, dessen einer von drei Akten in einer psychotherapeutischen Praxis spielt, bemerkenswerte Ansichten über die Dynamik zwischenmenschlicher Beziehungen. Diese treffen, wie der Aufsatz zu zeigen versucht, ins Zentrum einer aktuellen Diskussion um Vertrautheit und Fremdheit.

Amy Colin (1994): Mord, Totschlag und Phantome: Die Geheimnisübertragung in Arthur Schnitzlers „Der Sohn“. In: Familiendynamik  19 (4), S. 342–353.

abstract:  Die Geheimnisübertragung zählt zu den Leitmotiven der Weltliteratur. Von Shakespeares Hamlet bis Henrik Ibsens Gespenster haben Schriftsteller immer wieder die Wirkung der Geheimnisse eines Protagonisten auf das Denken und Fühlen anderer, nichts ahnender Gestalten beschrieben, die sich verhielten, als hätten sie die verborgen gehaltene Untat entdeckt; in Wirklichkeit wissen sie jedoch nichts von ihr. Arthur Schnitzlers Prosafragment „Der Sohn“ ist ein eindrucksvolles Beispiel für die literarische Verarbeitung dieses psychoanalytischen Phänomens, das in der Studie L`écorce et le noyau (1987) von Nicolas Abraham und Maria Torok die erste umfassende theoretische Deutung erfährt.

Rolf Göppel (1994): Zürns Töchter. Jugendpsychologische und familiendynamische Aspekte in den Romanen »Seelenarbeit«, »Das Schwanenhaus« und »Jagd« von Martin Walser. In: Familiendynamik  19 (4), S. 354–382.

abstract:  Der Beitrag versucht den familiendynamischen und jugendpsychologischen Gehalt der genannten Romane Martin Walsers zu erschließen. Dabei wird zunächst auf einige Bemerkungen Martin Walsers eingegangen, die Auskunft über die Anlässe und Beweggründe seines Schreibens geben. Dann werden die Romanhandlungen in Grundzügen skizziert und die Mitglieder und Konfliktkonstellationen der jeweils im Mittelpunkt stehenden Familie Zürn vorgestellt. In allen Romanen sind die Verhaltensweisen und Probleme der Töchter Julia und Magdalena besonders ausführlich und genau dargestellt. Sie werden als zwei konträre Versuche interpretiert, die typischen Entwicklungsaufgaben des Jugendalters, die darin bestehen, „Abschied von der Kindheit“ (Kaplan) zu nehmen und die kindlich idealisierten Beziehungen zu den Eltern in reifere, realistischere Beziehungen umzuwandeln, zu bewältigen. Die Dynamik der adoleszentären Ablösungskämpfe und die dadurch ausgelösten familiären Entwicklungsprozesse werden schließlich mit Hilfe von Stierlins Konzepten der „bezogenen Individuation“, der „Ablösungsmodi“ und der „Delegation“ näher analysiert.

Carsten Rummel (1994): Das »isolierte Ich« als Erbhof der etablierten Helfer – oder: Das gescheiterte Psychotherapeutengesetz. In: Familiendynamik  19 (4), S. 383–403.

abstract:  Das gescheiterte Psychotherapeutengesetz wollte das Berufsrecht und die Integration psychologischer Psychotherapie in die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) regeln. Wäre es zustandegekommen, hätte es die erdrückende Dominanz individuenzentrierter Verfahren im Bereich der GKV verfestigt. Damit hätte der gescheiterte Gesetzesentwurf Verfahren privilegiert, die in ihrem Setting vernachlässigen, daß die seelische Befindlichkeit eines Menschen immer in Wechselwirkung zu seinem real gelebten sozialen bzw. familialen Beziehungsgefüge steht. Gerade aber die Ausblendung der gelebten Beziehungen bewirkt, daß die mit den Therapien einhergehenden Eingriffe in das Leben des Patienten mit unkalkulierbaren Risiken verbunden sind. Durch den gescheiterten Gesetzesentwurf wären andere Verfahren benachteiligt worden, die weniger aufwendig, weniger riskant und aufgrund ihres realistischen Umweltbezuges überschaubarer sind. Damit hätte dieses Gesetzesvorhaben gegen das sozialstaatliche Prinzip der Subsidiarität bzw. gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit der Mittel verstoßen. Der hohe Professionalisierungsgrad der Vertreter der etablierten Verfahren, nicht zuletzt aber das mangelnde Bewußtsein über die Bedeutung der Familie als unabdingbare soziale und sozioemotionale Voraussetzung für die Existenz des „autonomen Individuums“, macht es möglich, daß diese Probleme im Zusammenhang mit dem Psychotherapeutengesetz erst gar nicht thematisiert werden. Das Scheitern des Gesetzes in dieser Legislaturperiode könnten die Vertreter der nicht etablierten Verfahren als Chance für sich und für die im Entwurf nicht berücksichtigten sozialen Aspekte nutzen.

Hannelore Wernitznig (1994): Drei systemische Märchen aus der psychologischen Praxis. Problembereiche Adoption, Einkoten, Trennungsangst. In: Familiendynamik  19 (4), S. 404–413.

Hans-W. Saloga (1994): Rezension – Rainer Balloff (1992): Kinder vor Gericht. München (C. H. Beck). In: Familiendynamik  19 (4), S. 414-414.

Tom Levold (1994): Rezension – David Campbell, Ros Draper & Clare Huffington (1991): Teaching Systemic Thinking. London New York (Karnac Books); Ros Draper, Myrna Gower, & Clare Huffington (1991): Teaching Family Therapy. London New York (Karnac Books). In: Familiendynamik  19 (4), S. 414-415.

Tom Levold (1994): Rezension – Kurt Hahn & Franz-Werner Müller (Hrsg.) (1993): Systemische Erziehungs- und Familienberatung. Wege zur Förderung autonomer Lebensgestaltung. Mit einem Vorwort von Fritz B. Simon. Mainz (Mathias-Grünewald). In: Familiendynamik  19 (4), S. 415-416.

Christoph Eichhorn (1994): Rezension – Klaus Menne, H. Schilling & M. Weber (1993): Kinder im Scheidungskonflikt. Beratung von Kindern und Eltern bei Trennung und Scheidung. Weinheim, München (Juventa). In: Familiendynamik  19 (4), S. 416-417.

Matthias Krüger (1994): Rezension – Arnold Retzer (1994): Familie und Psychose: Zum Zusammenhang von Familieninteraktion und Psychopathologie bei schizophrenen, schizoaffektiven und manisch depressiven Psychosen. Stuttgart (G. Fischer). In: Familiendynamik  19 (4), S. 417-418.

Andreas Manteufel (1994): Rezension – Günter Schiepek & Guido Strunk (1994): Dynamische Systeme. Grundlagen und Analysemethoden für Psychologen und Psychiater. Heidelberg (Asanger). In: Familiendynamik  19 (4), S. 419-419.