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Beratung und Beratungswissenschaft

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In der Reihe „Kompendien der Sozialen Arbeit“ ist 2015 der von Tanja Hoff und Renate Zwicker-Pelzer herausgegebene Band zur „Beratung und Beratungswissenschaft“ erschienen. Tanja Hoff ist Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin und Professorin für Psychosoziale Prävention, Intervention & Beratung an der Katholischen Hochschule NRW und dortselbst Kollegin von Renate Zwicker-Pelzer, die als Sozialpädagogin Professorin für Beratung und Erziehungswissenschaften an der KFH ist und seit 2008 den Studiengang Master of Counseling, Ehe-Familien-Lebensberatung leitet. 2004 war sie Gründungs- und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Beratung. Im Vorwort ihres Sammelbandes schreiben sie: „Beratung befand sich über lange Zeit hinweg im Schatten von Psychotherapie, manchmal missverstanden als „Schmalspur“-Therapie oder als Angebotsmöglichkeiten für Berufseinsteiger und -einsteigerinnen ohne therapeutische Qualifikation. Mit dem Einbezug internationaler Entwicklungen und insbesondere des Counseling-Ansatzes gelang es um die Jahrtausendwende insbesondere Nestmann, Engel, Sickendiek (2004), der Beratung auch in Deutschland zu mehr fachlichem Format, Profil und Eigenständigkeit zu verhelfen. In dieser Linie verstehen wir unser nun vorgelegtes Kompendium der Beratung und Beratungswissenschaft. Beratung ist nicht nur eines eigenen Formates würdig, sondern sie ist auch längst aus dem Schatten einer einseitigen Disziplinzuordnung herausgetreten. Wir möchten diesen Prozess der Herausbildung einer Beratungswissenschaft unterstützen und die Anregungen der verschiedenen Disziplinen nutzen, das Eigene der Beratung herauszukristallisieren. Wir möchten die professionelle Beratung zur eigenen Profilbildung herausfordern (unabhängig davon, ob Fachkräfte formalisierte Beratung anbieten oder ob Beratung eine Teilleistung des eigenen professionellen Handelns darstellt).“ Mathias Berg aus Köln hat das Buch gelesen, seine Beurteilung lesen Sie hier:

Mathias Berg, Köln:

Wo steht die Beratung als eigenständige Disziplin, Profession und Wissenschaft anno 2016? Darüber gibt der Ende letzten Jahres erschienene Herausgeberband von Tanja Hoff und Renate Zwicker-Pelzer, beide Professorinnen an der Katholischen Hochschule NRW in Köln, Letztere zudem stellvertretende Vorsitzende der DGSF, Auskunft. Das Buch ist in der Reihe „Kompendien der Sozialen Arbeit“ erschienen und legt damit nahe, dass Wesent lichste zum Thema prägnant und in Lehrbuchcharakter aufzubereiten.

Beratung ist sicherlich das breiteste Feld, in dem sich Systemiker hierzulande tummeln, und daher von grundsätzlicher von Relevanz. Das „Kompendium“ Beratung und Beratungswissenschaft fasst das mögliche Spektrum notwendigerweise zusammen und bezieht sich auf die gegenwärtigen Entwicklungen und historischen Dimensionen von Beratung, auf Formate und Orte von Beratung (z. B. formelle vs. informelle Beratung, akute vs. präventive Beratung usw.) sowie auf ausgewählte psychosoziale Arbeitsfelder. Außerdem enthält das Buch zwei größere Kapitel, in denen „Beratung aus interdisziplinärer Sicht“ und „Konzepte von Beratung“ vorgestellt werden.

Auf beides lohnt es sich hier kurz einzugehen, da auch praktische systemische Konzepte berührt (ggf. auch irritiert) werden. Das interdisziplinäre Beratungsverständnis wird dabei aus sieben verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet: Soziologie, Philosophie, Psychologie, Erziehungswissenschaft und die aus meiner Sicht seltener eingenommenen Perspektiven Theologie, Neurowissenschaften und Jurisprudenz. Interessant ist, dass jeder der sieben Beiträge nicht nur beschreibt, wie Beratung in der jeweiligen Disziplin verortet ist, sondern vielmehr, welche Impulse von ihr ausgehen, damit eine interdisziplinäre Beratungswissenschaft, gewissermaßen als „Querschnittswissenschaft“, weiter Gestalt annehmen kann. Im anderen großen Kapitel werden als Beratungskonzepte die tiefenpsychologisch orientierte, die personzentrierte, die verhaltensorientierte und die Systemische Beraturig präsentiert. Zuvor wird der Leser darauf aufmerksam gemacht, in welchem Verhältnis Beratung und (Psycho-)Therapie zueinanderstehen und dass schulenübergreifende Rahmenkonzepte für eine integrative Praxis entwickelt wurden.  In diesem Abschnitt wird dann zunächst die Psychotherapieforschung bemüht (Grawe, Orlinsky, Lazarus usw.), bevor der Selbstmanagement-Ansatz nach Kanfer et al. als ein übergeordnetes Strukturmodell für schulenübergreifende Beratung dargelegt wird. Da sowohl die einzelnen erwähnten (Beratungs-)Konzepte einer Therapieschule entspringen und auch der integrative Abschnitt von Entwicklungen in der Psychotherapie ausgeht, wird an dieser Stelle nochmal deutlich, wie sehr Beratung mit Therapie verknüpft ist, teilweise aus ihr entstanden ist und wie schwer es fällt, dass eine ohne das andere zu denken. Dies insbesondere, da es den Herausgeberinnen ein Anliegen ist, zur Profilentwicklung der Beratung selbst beizutragen und Beratung nicht im Schatten von Psychotherapie oder gar missverstanden als „Schmalspur“-Therapie zu diskutieren.

Insgesamt überzeugt der Band durch eine hohe Informationsdichte und einen gelungenen Überblick zum Thema. Das Buch eignet sich hervorragend für Studierende in Beratungsmasterstudiengängen, aber auch Systemische Berater, die sich für den konzeptionell-wissenschaftlichen Überbau ihrer Tätigkeit interessieren, über den systemisch-methodischen Tellerrand hinausschauen wollen, wären angesprochen. Ein durchaus spannender Vergleich im Übrigen, wie sich Beratung studieren (an Hochschulen) von Beratung lernen (an freien Instituten) unterscheidet und überschneidet und wie auf Qualität geachtet wird. Mich persönlich haben einige Beiträge nochmals anders nachdenken lassen über meine eigene Beratungstätigkeit. Insbesondere die soziologische Perspektive und die Ideen, inwieweit Berater versuchen, Probleme individuell oder systembezogen (z. B. familiär) zu bearbeiten und dabei die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen außer Acht lassen. Angenehm empfand ich es außerdem zu entdecken, dass die neurowissenschaftlichen Erkenntnisse für Veränderungsprozesse gut zu meinem Verständnis einer systemischen Praxis passen. Etwas gefehlt hat mir, dass neuere Ergebnisse der in Deutschland zugegebenermaßen noch ausbaufähigen Beratungsforschung kaum vorkommen.

(mit freundlicher Genehmigung aus systhema 2/2016)

 

 

 

Inhaltsverzeichnis als PDF

Eine weitere Rezension von Silvia Hamacher für socialnet.de

Und noch eine von Wolfgang Rechtien, ebenfalls für socialnet.de

 

 

Tanja Hoff & Renate Zwicker-Pelzer (Hrsg.)(2015): Beratung und Beratungswissenschaft. Baden-Baden (Nomos)

247 S., Broschiert
ISBN 978-3-8487-1422-3

Preis: 29,90 €

Verlagsinformation:

Der Band bietet eine multiperspektivische Sicht auf Beratung und umfasst fachwissenschaftliche und interdisziplinäre Beiträge zur wissenschaftlichen Fundierung von Beratung. Die verschiedenen Formate und Settings psychosozialer Beratung zwischen Sozialer Arbeit und Therapie werden entfaltet. Das Buch soll sowohl PraktikerInnen in der Beratung als auch Studierenden von Counseling/Beratung als Anregung zur wissenschaftlichen Reflexion über ihr Fach dienen. Beratung ist in hohem Maße auf Partizipation und Teilhabe hin angelegt. Das gilt besonders in Situationen, in denen Menschen Beratung aufsuchen, weil sie sich in Krisen erleben, aus denen sie allein nicht oder nur schlecht herausfinden. In diesen Notsituationen kann es leicht geschehen, dass Ratsuchende dem Berater oder der Beraterin eine Art von Übermacht zusprechen. Dann gehört es im Beratungskontext zur Fachlichkeit, die eigene Wirksamkeit permanent zu reflektieren. So verstanden leistet Beratung einen bedeutsamen Beitrag zur Individuation, Autonomie und insgesamt zur Weiterentwicklung von Menschen.

Autoren: Tanja Hoff, Renate Zwicker-Pelzer, Franz-Christian Schubert, Andreas Reiners, Armin G. Wildfeuer, Rainer Krockauer, Jörg Baur, Rolf Jox, Isabel Gonsior

Über die Herausgeberinnen:

Tanja Hoff ist Professorin für Psychosoziale Prävention, Intervention und Beratung an der Katholischen Hochschule NRW, Abteilung Köln und akademische Studiengangsleiterin des „Master of Counseling – Ehe-, Familien- und Lebensberatung“, Studienort Köln.

Renate Zwicker-Pelzer ist Professorin für Erziehungswissenschaft und Beratung an der Katholischen Hochschule NRW, Abteilung Köln. und akademische Studiengangsleiterin des Masterstudiengangs „Master of Counseling – Ehe-, Familien- und Lebensberatung“, Studienort Hildesheim/Hannover.

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