Am 11.11. saß ich zum beratenden Schulbesuch einer Referendarin im Klassenzimmer einer 2. Klasse. Die Referendarin las den Schüler_innen aus einem Bilderbuch vor, in dem ein Bär durch ein Fenster stieg, um auf den Marktplatz zu gehen, wo sich schon viele Kinder mit Laterne eingefunden hatten. Auf die Frage, worauf sie wohl warteten, kam von mehreren Seiten die erwartete Antwort: „Auf Sankt Martin, der auf einem Pferd kommt.“ Die Schüler_innen bekamen anschließend die Aufgabe, den vorgelesenen Text nun weiterzuschreiben. Viele waren zunächst beobachtbar überfordert, doch ein Junge schrieb gleich los. Er streckte auch zum Schluss des Unterrichts ganz eifrig seine Hand und wollte unbedingt vorlesen. Die Referendarin bat ihn, nach vorn zu kommen, und er las vor:
„Dann kam Sankt Martin auf einem Pferd auf den Marktplatz. Das Pferd rutschte auf einer Bananenschale aus, Sankt Martin flog im hohen Bogen runter und fiel direkt neben den Bettler. Der drehte sich zu ihm und sagte: „Na, auch Pech im Leben gehabt?“
Ich selbst musste sofort lachen, die Referendarin war sprachlos, die Klasse reagierte irritiert bis amüsiert. Die Mentorin ärgerte sich über das „provozierende Verhalten“.
Über Textqualität entscheidet der Text plus die Erwartungen von Leser_innen an den Text.
Der andere und völlig unerwartete Blick eines Siebenjährigen, der einen kreativen Text schreibt, hat doch was überraschend Irritierendes und Amüsantes.
Ich hätte den Jungen gerne gefragt, wie er auf die Idee gekommen ist. Vielleicht hätte er gesagt: „Weil ich die Klasse zum Lachen bringen wollte.“ (klar definiertes und adressatenbezogenes Schreibziel, wie es sogar im Bildungsplan verankert ist)
Diese Chance blieb vertan wie auch die, näher auf den Textinhalt einzugehen. Vermutlich hätte er auch was ganz überraschend anderes geantwortet. Vielleicht tragen im Unterricht interessante Fragen immer dann zur Qualität des Unterrichts bei, wenn auch die Lehrkräfte auf die gestellten Fragen noch keine Antwort wissen?