systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

„Disease Mongering“ – Krankheit als Geschäft

| Keine Kommentare

Im Jahr 2006 veröffentlichte das Online Journal PLoS MEDICINE der Public Library of Science eine Sammlung von Artikeln zum „Disease Mongering“. Das engl. „Mongering“ kann übersetzt werden mit: „Handeln, Schachern und dabei einschüchtern“. Die publizierten Beiträge lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Beschrieben und diskutiert werden vielfältige Versuche und Strategien, den Krankheitsbegriff verkaufsfördernd auszuweiten und auf der Basis entsprechend hervorgerufener Ängste die Nachfrage nach Hilfen zu maximieren. In ihrem Beitrag “Female Sexual Dysfunction: A Case Study of Disease Mongering and Activist Resistance” zitiert L. Tiefer ein von Lynn Payer herausgearbeitetes Muster des Disease Mongering:

  • eine normale Funktion so beschreiben, dass es klingt als sei etwas nicht in Ordnung und sollte behandelt werden
  • ein Leiden andichten, das nicht notwendig vorhanden ist,
  • einen Anteil der Bevölkerung so groß wie möglich definieren, der an der „Störung“ leide,
  • eine körperliche Verfassung als Störung im Sinne eines Defizits definieren oder als hormonelles Ungleichgewicht,
  • die richtigen Leute finden, die das streuen und pushen („spin doctors”),
  • die dazugehörigen Themen spezifisch rahmen,
  • selektiver Gebrauch von Statistiken, um den Nutzen der Behandlung aufzubauschen,
  • in die Irre führen (“Using the wrong end point”),
  • Technologie als risikofreie Magie promoten,
  • ein normales Symptom, das alles und nichts bedeuten kann, so darstellen, dass es wie ein Anzeichen einer ernsthaften Erkrankung wirkt.

Typische Beispiele für Disease Mongering finden sich etwa im Versuch, „Schüchternheit“ zu einer „Sozialphobie“ umzudefinieren, „Trauer“ zu „Depression“ zu machen oder „gelegentliche Lustlosigkeit“ zur „Female Sexual Dysfunction“ aufzubauschen. Als weiteres Beispiel werden bipolare Störungen aufgelistet: Im DSM seit 1980 geführt, erhöhte sich durch Erweiterungen der Krankheitskriterien die Zahl der Betroffenen von 0,1 auf fünf Prozent (vgl. den Beitrag von Healy in der aufgeführten Aufsatzsammlung). Zur Startseite der Aufsatzsammlung der PLoS geht es hier. Einen informativen Überblick zum Thema verschafft auch ein Beitrag von Sepp Hasslberger: Disease Mongering: Corporations Create New ‚Illnesses’“.

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.