systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

22. Oktober 2024
von Tom Levold
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Praxispreis der Systemischen Gesellschaft 2025

Die Systemische Gesellschaft vergibt alle zwei Jahre einen Praxispreis für ein herausragendes oder innovatives aktuelles Projekt, das die praktische Umsetzung der Grundsätze systemischen Denkens und Handelns in einem spezifischen Arbeitsfeld zum Ziel hat. Über die Vergabe des Preises entscheidet eine Jury. Mit dem Praxispreis leistet die Systemische Gesellschaft einen Beitrag, den systemischen Ansatz interdisziplinär weiter zu entwickeln und dieses Anliegen fachöffentlich und gesellschaftspolitisch zu fördern.
Um den Preis können sich Praxisprojekte in öffentlicher oder privater Trägerschaft bewerben, die systemische Vorgehensweisen in Bereichen wie z.B. Arbeiten, Wohnen, Bauen, Bildung, Ernährung, Erziehung, Internationalisierung, Klimaschutz, Recht etc. implementieren und anwenden. Dabei sollten die systemische Haltung und die Nachhaltigkeit des systemischen Ansatzes im Sinne von „next practice“ (zukunftsorientiert) und „best practice“ aufgezeigt werden. 
Publikationen und wissenschaftliche Arbeiten über systemische Praxis sind nicht Gegenstand des Praxispreises. 
Erfüllt keine der eingereichten Bewerbungen die Kriterien zur Vergabe des Praxispreises in überzeugender Weise, wird der Preis im betreffenden Jahr nicht vergeben. 
Das Preisgeld beträgt bis zu 1.500,- Euro, kann auf 1 bis 3 Preisträger verteilt werden und soll unmittelbar für die Zwecke des prämierten Projektes verwandt werden. 
Die SG veröffentlicht die Vergabe des Preises und unterstützt das Projekt bei der Bekanntmachung des Praxispreises. 

Bewerbungen für den Praxispreis sollten in Form einer Kurzbeschreibung sowie einer schriftlichen Konzeption von maximal 20 Seiten (andere Formen können akzeptiert werden; z.B. auditiv, kreativ etc.) eingereicht werden. 

Die Preisverleihung findet im Rahmen der Mitgliederversammlung am 13.06.2025 in Weinheim statt, die Preisträger_in/Preisträger_innen werden zwei Wochen vorher benachrichtigt.

Einsendungen bis zum 28.02.2025 an:

Systemische Gesellschaft e.V.

Damaschkestraße 4

D-10711 Berlin

E-Mail:  info@systemische-gesellschaft.de
                                              

11. Oktober 2024
von Tom Levold
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Psychotherapie und Wissenschaft

In Heft 1/2024 der Open Access-Zeitschrift Psychotherapie-Wissenschaft gibt es einen Artikel von Kurt Greiner, seines Zeichens Professor für Psychotherapiewissenschaft an der Siegmund-Freud-Universität Wien, in dem er sich mit den unterschiedlichen natur- bzw. geisteswissenschaftlichen Geltungsansprüchen der Psychotherapie (am Beispiel der Psychoanalyse) auseinandersetzt. Der Text ist mit „Psychotherapie als Textmedizin. Versuch über ein allgemeines Funktionsparadigma“ übertitelt. Seinem eigenen Verständnis von Psychotherapie liegt nämlich „die Prämisse zugrunde, dass der psychotherapeutische Gegenstand «subjektives Erleben» ist, das sich sowohl in verbalem als auch nonverbalem «Text» artikuliert, der wiederum verstanden werden will“. In dieser Perspektive versteht er „Psychotherapie als Textmedizin“: „Damit gewinnen wir Psychisches auch als wissenschaftliches Objekt. Denn als Objekt, auf das wir uns wissenschaftlich-forschend, d. h. methodisch-systematisch beziehen können, ist Psychisches stets Text. Was sich mit Dilthey als «Formen und Gestalten des Ausdrucks» bezeichnen lässt, das nennen wir schlicht Text und meinen damit sämtliche mehr oder weniger komplex strukturierten Sinngebilde, Mitteilungsfiguren, Objektivationen aller Art, die in verbaler, aber auch nonverbaler Form, d. h. mimisch, gestisch, ikonisch etc. in Erscheinung treten können. In diesem Sinne kann sich psychologisches Verstehen zwar nicht direkt auf das subjektive Erleben richten, dafür aber auf den Ausdrucks-Text, in dem sich ebendieses zur Sprache bringt“ (S. 14).

In Heft 2 derselben Zeitschrift gibt es eine Replik von Jürgen Kriz zu lesen, in der dieser die implizierte Medizinmetapher kritisch aufgreift und seinerseits die Frage der Bedeutung unterschiedlicher Wissenschaftskulturen für die psychotherapeutische Praxis aufgreift. Im Abstract schreibt er: „In dieser Replik auf einen Beitrag von Kurt Greiner über «Psychotherapie als Textmedizin» werden
zwei Aspekte zur Diskussion gestellt. Zum einen geht es um die Frage, ob in den gegenwärtigen Entwicklungen der Psychotherapie, die stark von einem medizinisch-technischen Weltbild dominiert wird, die durch die beiden Wortbestandteile «Text» und «Medizin» diese – auch von Greiner kritisierte – Sicht nicht noch verstärkt wird und diese beiden Begriffe daher eher unglücklich gewählt sind (auch wenn sie von Greiner anders interpretiert werden). Damit verbunden ist die Frage, ob nicht stärker unterschieden werden muss zwischen (a) Psychotherapie als Gegenstand der Wissenschaft – die damit im Bereich von kulturell-objektiven Symbolsystemen angesiedelt ist – und (b) Psychotherapie als beziehungsgestaltendes Handeln – das zunächst einmal oder zumindest auch den Fokus auf leiblich-vorsprachliche Erfahrung zu richten hat. Der zweite Aspekt, der zur Diskussion gestellt wird, ist das Verhältnis zwischen unterschiedlichen Wissenschaftskulturen. Der von Greiner vorgenommene Gegensatz von Geistes- und Naturwissenschaft wird zwar methodisch geteilt, inhaltlich aber infrage gestellt, da auch die Gegenstände und Prinzipien der von den Naturwissenschaften behandelten Phänomene letztlich Schöpfungen des menschlichen Geistes sind, wie dies bspw. im Pauli-Jung-Dialog betont wurde.“

In diesen Texten geht es um eine ebenso alte wie immer noch grundlegende Debatte, die auch in Zukunft weiter gehen dürfte. Die Lektüre ist zu empfehlen!

10. Oktober 2024
von Tom Levold
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Luc Ciompi wird 95!

(Luc Ciompi – Foto: Tom Levold 2024)

Heute feiert Luc Ciompi seinen 95. Geburtstag und systemagazin gratuliert von Herzen. Bereits zu seinem 90. Geburtstag haben sich im systemagazin zahlreiche Gratulanten eingefunden, um ihm Glück zu wünschen und zu seinem Lebenswerk zu gratulieren, das er über viele Jahrzehnte mit Beharrlichkeit entwickelt und erweitert hat. Mittlerweile sind wieder fünf Jahre ins Land gegangen und Luc Ciompi beeindruckt nach wie vor mit seiner Präsenz und Ausstrahlung in das systemische Feld hinein. Dem Thema der Affekte, das er mit seinem Konzept der Affektlogik seit über 40 Jahren bearbeitet, wurde lange in der systemischen Szene wenig Aufmerksamkeit geschenkt – dazu, dass sich das mittlerweile verändert hat, hat er sehr viel beigetragen.

Auch wenn ihm das Lesen mittlerweile größere Mühe macht, ist es eine Freude zu sehen, mit welchem Elan und welch großer Begeisterungsfähigkeit Luc immer noch den aktuellen Stand der Forschung rezipiert. Mit seinem Wissen und seinem enormen Gedächtnis ebenso wie mit seiner Präzision in seinen Formulierungen beeindruckt er auch im hohen Alter seine Zuhörer im Gespräch. Noch im Mai dieses Jahres konnten Arist von Schlippe und ich Luc und seine wunderbare Frau in ihrem schönen Anwesen bei Lausanne hoch über dem Genfer See besuchen und ihn für das aktuelle Heft der Familiendynamik zum Thema Kriegs- und Friedenslogik interviewen. Ihre Gastfreundschaft haben wir als großes Geschenk erlebt.

Im Jahre 1990 hat Luc Ciompi „Zehn Thesen zum Thema »Zeit in der Psychiatrie«“ veröffentlicht, die über die Frage nach dem Zusammenhang von psychischen Störungen mit Veränderungen des Zeiterlebens hinaus als ein eindrückliches Plädoyer für einen ganz anderen Umgang mit Zeit in unserer Gesellschaft gelesen werden können – Ein Thema, das in den seitdem vergangenen Jahrzehnten an Aktualität noch einmal deutlich zugenommen hat. Dieser Text ist 2012 dankenswerterweise im von Ulrike Borst und Bruno Hildenbrand bei Carl-Auer herausgegebenen Band „Zeit essen Seele auf. Der Faktor Zeit in Therapie und Beratung“ erneut publiziert worden und kann auf der Website von Luc Ciompi als PDF gelesen werden.

Lieber Luc, für die kommende Zeit wünsche ich dir alles Gute, Gesundheit und weiterhin die Energie und Schaffenskraft, die dein ganzes Leben ausgezeichnet hat. Ich bin sicher, dass sich viele Menschen aus dem systemischen Umwelt diesen Wünschen anschließen.

Sei herzlich gegrüßt, Tom

28. September 2024
von Tom Levold
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Kriegs- und Friedenslogik in Beziehungen

Screenshot

Das gerade frisch erschienene Heft 4/2024 der Familiendynamik ist von Arist von Schlippe und mir als Gastherausgeber betreut worden und beschäftigt sich mit der Frage, welche Logiken kriegerischen Konflikten (von zwischenstaatlichen bis hinunter zu familären Konflikten) unterliegen und welche Chancen bestehen, die Durchsetzungskraft von „Friedenslogiken“ zu stärken.
Im Editorial schreiben wir: „Wir Herausgeber gehören einer Generation an, für die trotz des Kalten Krieges ein offener Krieg auf europäischem Boden nur eine abstrakte Drohung war, doch nie konkrete Realität. Natürlich, es gab (und gibt) auf der Welt ununterbrochen Kriege, nur waren sie weit weg. Vietnam empörte uns, doch auch das war nicht so hautnah wie die gegenwärtigen Kämpfe in der Ukraine und in Palästina. Sie führen uns die Zerbrechlichkeit unserer friedenserhaltenden Strukturen vor Augen. Westeuropa wird beinahe unmerklich in die Logik des Krieges hineingezogen. Friedenslogik hat derzeit keine großen Chancen, sich durchzusetzen. Durch das Erstarken radikaler politischer und religiöser Bewegungen und Parteien in Westeuropa und den USA scheint sich der zivilisatorische Friedenskonsens in einem angsterregenden Tempo aufzulösen. Nicht zuletzt stellt sich die Frage, inwiefern das gesellschaftliche Klima von Hass, Gewalt, Verachtung und Dämonisierung des Gegners auch die persönlichen Beziehungen der Menschen untereinander, sei es in den gesellschaftlichen Institutionen und Organisationen, sei es im Alltag und bis in die Intimbeziehungen hinein, zu durchdringen vermag. Dieser »zeitdiagnostische Befund« brachte uns auf die Idee für ein Themenheft. Zunächst ging es uns darum, die paar- und familiendynamischen Aspekte zu untersuchen, die zu einem Umschlag von wohlwollenden in feindliche Interaktionen führen. Doch schnell wurde klar, dass wir es hier mit übergreifenden Mustern zu tun haben, die sich von privaten Beziehungen bis hin zu internationalen Konflikten skalieren lassen.
In Familien äußern sich diese Muster häufig in Form eskalierender Auseinandersetzungen und verhärteter Fronten. Oftmals erkennen Mitglieder nicht, dass ihre Konflikte ähnliche Grundmechanismen aufweisen wie Auseinandersetzungen auf globaler Ebene. Missverständnisse, alte Verletzungen und tiefsitzende Ängste führen zu Reaktionsmustern, die schwer zu durchbrechen sind. Das familiäre System leidet, ähnlich wie das internationale System, unter stereotypen Verhaltensweisen, die kurzfristig entlasten mögen, langfristig jedoch Schaden anrichten. Offensichtlich gibt es in sozialen Beziehungen Kipppunkte, die eine kompromissbereite, wohlwollende Friedenslogik relativ leicht in Kriegslogik umschlagen lassen. Umgekehrt ist dagegen ein »Kippen« von Feindseligkeit in ein friedliches Beziehungsmuster ungleich schwerer zu erreichen. In diesem Heft haben wir Beiträge versammelt, die das hier skizzierte Themenspektrum aus verschiedenen Blickwinkeln heraus betrachten. Wir laden dazu ein, aus der Vielfalt der »Beobachtungen erster Ordnung« (wer hat »Recht«, wer hat Schuld an diesem »verbrecherischen Angriffskrieg«, was will Putin »wirklich« usw.) auszusteigen und eine Beobachtungsebene zweiter Ordnung einzunehmen: Wie wird in unserer Gesellschaft – auf verschiedenen Ebenen – beobachtet? Wo erkennen wir blinde Flecken? Welche neuen Perspektiven lassen sich eröffnen (ohne dass wir den Anspruch haben, daraus einen Ausweg für die Weltlage abzuleiten)?“

Dazu finden sich Texte von Friedrich Glasl, Barbara Kuchler, Till Jansen, Almut Fuest-Bellendorf sowie ein Interview, das wir beide im Juni mit Luc Ciompi in Belmont sur Lausanne führen konnten. Zu allen bibliografischen Angaben und abstracts geht es hier…

17. September 2024
von Tom Levold
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Professionen und wie sie sich zugrunde richten 

Von der Lektüre des Klassikers The system of professions (Chicago University Press 1988) von Andrew Abbotts angeregt, hat Barbara Kuchler, Soziologin am Institut für Soziologie der Universität München, systemische Therapeutin, Bloggerin und Mitherausgeberin des Kontext einen Text für systemagazin verfasst, in dem sie sich mit den Gefahren von Professionalisierungs- und Professionsbildungsprozessen auseinandersetzt, eine Frage, die sich auch auf die Entwicklung des systemischen Ansatzes und seine Vertreter beziehen lässt.

Barbara Kuchler, München: Professionen und wie sie sich zugrunde richten 

Barbara Kuchler

Wie Professionen sich entwickeln, ist eine spannende Frage, und die Professionssoziologie hat dazu Interessantes zu berichten. Als jemand, der ein Neuling in der Systemikprofession ist, bisher in der Soziologie zu Hause war und sich gerade durch die Professionssoziologie liest, berichte ich hier ein paar Highlights. 

Professionen haben nicht nur ein komplexes Wissen, sondern sie müssen sich auch in einer komplexen gesellschaftlichen Umwelt positionieren. Ihr Platz in der Welt ist ihnen nicht göttlicherseits zugewiesen, sie müssen ihn selbst definieren und erobern und oftmals verteidigen. Sie können dabei erfolgreicher oder weniger erfolgreich sein, und nicht immer ist am Anfang absehbar, was die Konsequenzen einer bestimmten Strategie und Selbstpositionierung sein werden. Hier zunächst drei Möglichkeiten, wie eine Profession, langfristig gesehen, sich zugrunde richten oder sich selbst schaden kann. 

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16. September 2024
von Tom Levold
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Joseph Rieforth (5.1.1959 – 29.8.2024)

Priv.-Doz. Dr. phil. Joseph Rieforth

Am 29. August dieses Jahres ist Joseph Rieforth im jungen Alter von 65 Jahren gestorben. Seine langjährige Kollegin von der Universität Oldenburg hat für systemagazin einen Nachruf verfasst:

Astrid Beermann, Oldenburg

Am 29. August dieses Jahres ist Joseph Rieforth mit nur 65 Jahren verstorben – ein einfühlsamer Mensch und hochkompetente Fach- und Führungskraft mit herausragender Expertise, der sehr fehlen wird. 

1959 im Ruhrgebiet geboren und aufgewachsen, studierte Joseph Rieforth Psychologie in Münster, Wien und Oldenburg. Als wissenschaftlicher Leiter mehrerer Kontaktstudien im Bereich Therapie und Beratung sowie der Ausbildungsstätten und Hochschulambulanzen für Psychologische Psychotherapie und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie an der Universität Oldenburg leistete er über vier Jahrzehnte viel Aufbaubauarbeit und etablierte unterschiedliche berufsbegleitende Aus- und Weiterbildungsangebote im universitären Kontext.

Für Joseph Rieforth war der Beruf auch immer Berufung und er übte ihn mit Leidenschaft und Begeisterung aus. Als Tiefenpsychologe und Systemischer Therapeut ließ er diese beiden Richtungen im Sinne eines psychodynamisch-systemischen Modells miteinander verschmelzen. In seiner letzten Veröffentlichung (2020) „Wunschkompetenz. Von der Fähigkeit, das eigene Leben sinnvoll zu gestalten“ verdichtete er seine über die Zeit erworbenen Erkenntnisse und Erfahrungen.

Joseph Rieforth blieb selbst immer auch ein Lernender, ein in besonderem Maße interessierter, kreativer Mensch, der stets neue Impulse aus unterschiedlichen Disziplinen aufnahm und in seine Arbeit integrierte. Mit seinem Profil und seiner einfühlsamen Persönlichkeit als Therapeut, Berater und Lehrer bereicherte er viele Menschen und Organisationen und unterstützte ihre Ideen, Entwicklungswünsche oder Projekte. Es war ihm stets wichtig, eine warmherzige Atmosphäre zu schaffen und gute Arbeitsbündnisse herzustellen, um hilfreiche Bedingungen für entwicklungs- und veränderungswirksame Prozesse zu gewährleisten. Ihm gelang es in besonderer Weise, Menschen in ihrer Entwicklung zu stärken, ihre Potenziale zu wecken, Verbindungen zwischen ihnen herzustellen, abgebrochene Brücken zu erneuern oder neue zu bauen. 

Joseph Rieforth lehrte an zahlreichen Universitäten, Hochschulen und Instituten im In- und Ausland und war dort immer ein gern gesehener Gastdozent. 

Er war sehr offen dafür, ihm sinnvoll erscheinende fach- und berufspolitische Interessen zu unterstützen. 2003 wurde er als Mitglied der Sachverständigenkommission für Psychologische Psychotherapie am Institut für Medizinische und Pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP) in Mainz berufen. Seit der Gründung der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF) war er in diesem Fachverband aktiv, prägte jahrelang als Sprecher die DGSF-Fachgruppen Hochschulen und Mediation, veranstaltete 2005 und 2018 zweimal die wissenschaftliche Jahrestagung der DGSF und engagierte sich im noch jungen Verbund für Systemische Psychotherapie (VfSP). Ebenso wirkte er in der Deutschen Fachgesellschaft für tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (DfT) mit und arbeitete zudem mit Verbänden, Arbeitsgemeinschaften und Beiräten im Handlungsfeld Supervision, Coaching und Mediation zusammen. 

Immer wieder bot Joseph Rieforth mit wissenschaftlichen Fachtagungen, Symposien und Kongressen an der Universität Oldenburg einen zugleich inhaltlich hochwertigen wie sinnlich ansprechenden Rahmen für neue Inhalte, Diskurse und Vernetzung sowie Gelegenheiten des Wiedersehens und in Verbindung-Bleibens. 

Nun ist Joseph Rieforth am 29. August verstorben. Am 7. November dieses Jahres wollte er bei einem Festakt anlässlich des 40jährigen Jubiläums der entwickelten Aus- und Weiterbildungsangebote unter dem Motto „Beziehung über Qualität und Zeit gestalten“ die Eröffnungsrede halten, mit uns sein Lebenswerk feiern und sich allmählich in den Ruhestand verabschieden. Nun wird dieser Tag an der Universität Oldenburg ihm zu Ehren und ihn gedenkend gestaltet.

Mit Joseph Rieforth haben wir einen ganz besonderen Kollegen verloren, der mit seiner warmherzigen und zugewandten Art eine große Bereicherung war, uns auf vielfältige Weise geprägt hat und der uns als Freund sowie Fachkollege in guter Erinnerung bleiben wird. 

Dr. phil. Astrid Beermann

(Weitere Informationen über Joseph Rieforths Veröffentlichungen und Tätigkeiten finden Sie hier: https://uol.de/c3l/ueber-uns/rieforth-priv-doz-dr-joseph )

10. September 2024
von Tom Levold
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Jenseits von Macht und Kontrolle

Heute würde Lynn Hoffman (10.9.1924 – 21.12.2017) ihren 100. Geburtstag feiern, ein Grund, an diese wunderbare Pionierin der systemischen Therapie zu erinnern. Im systemagazin ist schon einiges zu ihr veröffentlicht worden, s. hier oder hier. In Heft 4/1985 der Zeitschrift Family Systems Medicine hat sie ihren eigenen therapeutischen Weg von der Begegnung mit der Palo Alto-Gruppe um Don Jackson über die Beschäftigung mit Gregory Bateson, Humberto Maturana und Francisco Varela, die Abgrenzung von strategischen Konzepten etwa von Jay Haley und den frühen Arbeiten der Mailänder Gruppe hin zur Kybernetik 2. Ordnung beschrieben, der Artikel ist auch heute noch sehr lesenswert.

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7. September 2024
von Tom Levold
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Encountering Silencing

Praktiken und Prozesse des Schweigens und zum-Schweigen-Bringen finden wir bei Missbrauchstätern, aber ebenso in totalitären Gruppen und Institutionen. Michael Buchholz, hierzulande bestens bekannt, und Aleksandar Dimitrijevic, PhD, Interimsprofessor für Psychoanalyse und klinische Psychologie an der International Psychoanalytic University Berlin, beschäftigen sich seit einigen Jahren mit Themen in Kultur, Gesellschaft und Therapie, die in der Regel nicht nur wenig offensichtlich sind, sondern durch etwas am sichtbar werden gehindert werden, was sie Silencing nennen. Schon 2021 erschien der von ihnen herausgegebene Band Silence and Silencing in Psychoanalysis. Cultural, Clinical, and Research Perspectives, 2022 From the Abyss of Loneliness to the Bliss of Solitude: Cultural, Social and Psychoanalytic Perspectives und in diesem Jahr nun Encountering Silencing: Forms of Oppression in Individuals, Families and Communities. Auch dieses Buch ist das erste von drei weiteren zu diesem Themenkomplex.

Neun Autorinnen und Autoren behandeln die „dunkle Seite“ der Kommunikation, die Opfer, Zeugen und Täter zum Schweigen bringt: Frauen, religiöse Häretiker, begabte Kinder, Opfer von Rassismus, psychoanalytische Dissidenten und Psychiatriepatienten, Einzelpersonen und Gruppen, völlig Fremde und Familienmitglieder sowie das eigene Ich. All diese Formen des Schweigens werden mit Hilfe von Literatur, Geschichtsschreibung, Interviews, Archivrecherchen sowie psychoanalytischer und familientherapeutischer Forschung analysiert.

Die sehr geschätzte Kollegin aus Wien, Evelyn Niel-Dolzer, die dem systemagazin-Publikum schon durch andere Beiträge (hier und hier) bekannt geworden ist, hat dieses Buch, dessen primäre Zielgruppe die psychoanalytische Community ist, als systemische Familientherapeutin für systemagazin gelesen und ist begeistert:

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6. September 2024
von Tom Levold
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Zahl der Kindeswohlgefährdungen im Jahr 2023 auf neuem Höchststand

WIESBADEN – Die Zahl der Kindeswohlgefährdungen in Deutschland hat im Jahr 2023 einen neuen Höchststand erreicht: Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, stellten die Jugendämter bei mindestens 63 700 Kindern oder Jugendlichen eine Kindeswohlgefährdung durch Vernachlässigung, psychische, körperliche oder sexuelle Gewalt fest. Das waren rund 1 400 Fälle oder 2 % mehr als im Jahr zuvor. Da einige Jugendämter für das Jahr 2023 keine Daten melden konnten, ist aber sicher, dass der tatsächliche Anstieg noch deutlich höher ausfiel: Werden für die fehlenden Meldungen im Jahr 2023 die Ergebnisse aus dem Vorjahr hinzugeschätzt (+3 300 Fälle), liegt der Anstieg der Kindeswohlgefährdungen gegenüber dem Vorjahr bei 4 700 Fällen oder 7,6 %. Wird zusätzlich der allgemeine Anstieg berücksichtigt, erhöht sich das Plus sogar auf rund 5 000 Fälle beziehungsweise 8,0 %. Nach dieser Schätzung läge die Gesamtzahl im Jahr 2023 bei 67 300 Fällen. Neben Fehlern bei der Datenerfassung und dem Cyberangriff auf einen IT-Dienstleister wurde als Grund für die fehlenden Meldungen im Jahr 2023 auch die Überlastung des Personals im Jugendamt genannt.

Der langfristige Anstieg der Zahl behördlich festgestellter Kindeswohlgefährdungen setzte sich damit auch 2023 fort. Mit Ausnahme des Jahres 2017 und des Corona-Jahres 2021 nahmen die Fallzahlen seit Einführung der Statistik im Jahr 2012 stets zu. Am höchsten waren die Anstiege von 2018 bis 2020 mit jeweils 9 % bis 10 % mehr Fällen als im Vorjahr. Gründe für diese Entwicklung können – neben einer tatsächlichen Zunahme der Gefährdungsfälle – auch eine höhere Sensibilität und Anzeigebereitschaft der Öffentlichkeit und Behörden beim Thema Kinderschutz sein. 

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3. September 2024
von Tom Levold
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Digitale Transformationen in Organisationen

Das aktuelle Heft von Organisationsberatung, Supervision, Coaching setzt sich mit einem Thema auseinander, dem schon in 2022 und 2023 Themenhefte der Zeitschrift gewidmet waren – ein Zeichen für die Dringlichkeit der Befassung auch auf Seiten der Berater, Coaches und Supervisoren. Im Editorial schreiben Silja Kotte und Thomas Webers: „Digitalisierung hat sich in Organisationen zum Dauerthema entwickelt. Schon mehrfach hat diese Zeitschrift sich mit den Auswirkungen beschäftigt. Das OSC-Heft 4/2022 hat die Auswirkungen der Digitalisierung auf virtuelles Arbeiten und Führung auf Distanz beleuchtet. „Digitalisierung in der Beratung“ lautete der Titel des OSC-Hefts 1/2023. Das aktuelle Themenheft „Digitale Transformation in Organisationen“ nimmt eine breitere organisationale Perspektive ein: Wie transformiert Digitalisierung Organisationen? Wie gestalten Organisationen die damit verbundenen Change-Prozesse? Welche neuen Formen der Kooperation bilden sich dadurch heraus? Wie kann digitale Arbeit gut gestaltet werden?

Digitalisierung ist ein Querschnittsthema, das alle Funktionsbereiche und Prozesse in Organisationen grundsätzlich transformiert – von der Produktion bis zum Controlling, von den Kern- bis zu den Unterstützungsprozessen. Auch das neuerdings People- statt HR- genannte Management und die Beratung sind davon nicht ausgenommen (Strohmeier 2022): Von der Personalauswahl über die Arbeitsgestaltung, die Zusammenarbeit in Organisationen, Führung, Personalentwicklung und -beurteilung bis hin zur Organisationsentwicklung – alle Bereiche sind von der Digitalisierung betroffen.

Organisationen müssen sich mit den technologischen Entwicklungen auseinandersetzen und sich positionieren. Sie sehen sich derzeit vielen Ideen und Initiativen gegenüber, von denen nicht immer absehbar ist, ob sie sich als nützlich herausstellen und einen Mehrwert generieren können. Neuen Möglichkeiten stehen auch Skepsis und Vorbehalte gegenüber. Nicht alles, was (technisch) machbar erscheint, ist auf den zweiten Blick betrachtet sinnvoll – und findet auch nicht immer Akzeptanz. Nicht zuletzt stehen Fragen des Datenschutzes und der Ethik auf der Agenda, die nicht immer angemessen beantwortet werden. Organisationen gehen diese Transformation mehr oder weniger strategisch an: Sie entwickeln Digitalisierungsstrategien, setzen zentrale Stabsstellen oder cross-funktionale Teams ein, die diese umsetzen sollen, und schreiben Stellen wie „Digital Transformation Manager“ oder „Digital Transformation Specialist“ aus, für die ein unternehmerisches Verständnis der Zusammenhänge zwischen Business, IT und Digitalisierung sowie Erfahrung in der Umsetzung von Transformationsprojekten gefordert wird.“

Die breite Palette interessanter Themen mit allen bibliografischen Angaben und abstracts gibt es hier…

26. August 2024
von Tom Levold
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Theoriebezüge in der systemischen Therapie

In einem sehr lesenswerten Beitrag, der als Open-Access-Artikel im Psychotherapie Forum erschienen ist, beschäftigt sich Elisabeth Wagner aus Wien mit der Relevanz systemtheoretischer Theorien für die klinische Praxis. Im Abstract heißt es: „Die enorme Binnendifferenzierung der Systemischen Therapie bietet zwar eine nützliche Vielfalt an Interventionsmöglichkeiten, führt auf der theoretischen Ebene jedoch zu Unvereinbarkeiten und Widersprüchen. Dies erschwert nicht nur die Vermittlung der systemtheoretischen Grundlagen in der Ausbildung sondern auch eine verlässliche theoretische Fundierung des professionellen Handelns von Praktiker:innen. Nach einer grundsätzlichen Diskussion des Theorie-Praxisverhältnisses in der Psychotherapie, soll in diesem Beitrag dargelegt werden, wie eine konstruktivistische Grundhaltung die absichtsvolle und reflektierte Nutzung verschiedener Systemtheorien erlaubt. Dabei werden die soziologische Systemtheorie sensu Luhmann und die Synergetik in Hinblick auf ihr Auflösungsvermögen und die Passung für verschiedene Phänomenbereiche gegenübergestellt und Anforderungen an eine klinische Theorie der systemischen Therapie definiert.“

der vollständige Text ist hier zu lesen…

21. August 2024
von Tom Levold
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Hermann Haken (12.7.1927 – 14.8.2024)

Hermann Haken 1995 (Foto: Jürgen Kriz)

Am 14. August ist der Physiker und Begründer der Synergetik Hermann Haken im Alter von 97 Jahren verstorben. Die Synergetik ist die Lehre vom Zusammenwirken von Elementen innerhalb komplexer dynamischer, nicht-linearer Systeme und befasst sich mit der spontanen Bildung synergetischer Strukturen in diesen Systemen (Selbstorganisation). Ursprünglich im Bereich physikalischer Phänomene entwickelt, zeigte sich, dass die zentralen theoretischen Konzepte wie das Prinzip der Ordnungsparameter, das  Versklavungsprinzip und die Theorie der Phasenübergänge auch auf Phänomene in der Chemie, Biologie, Psychologie und Soziologie angewendet werden konnten. Die Arbeit Hermann Hakens spielte auch in der Entwicklung des systemischen Ansatzes eine wichtige Rolle und wurde vor allem durch die Arbeiten von Günter Schiepek und Jürgen Kriz für die therapeutische und beraterische Arbeit fruchtbar gemacht.

Jürgen Kriz hat folgenden Nachruf auf Hermann Haken für das systemagazin und die Website der DGSF verfasst.

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16. August 2024
von Tom Levold
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Eine gelungene Begegnung von Bindungs- und Beziehungspsychotherapie

Heute würde Daniel N. Stern (16.8.1934 – 12.11.2012) 90 Jahre alt. Er war einer der führenden Säuglingsforscher des vergangenen Jahrhunderts, der die Ergebnisse seiner empirischen Untersuchungen in vielen Veröffentlichungen auf beeindruckende Weise in therapietheoretische und -praktische Modelle überführte. Auf der Website des John Bowlby-Centre ist eine Fallgeschichte von ihm zu finden, in der er beispielhaft zeigt, was er unter einem „Gegenwartsmoment“ versteht, und die erstmals im Band „Attachment: New Directions in Psychotherapy and Relational Psychoanalysis – Vol. 1 No.1” (Karnac) erschienen ist.

Darin heißt es: „This kind of moment is what the Boston Change Process Study Group calls a ‘now moment’. (…). It is a moment of Kairos when, all at once, many things come together and come to crisis in the therapeutic relationship. In that short time window if you act, you can change the destiny of what will happen. And if you don’t act, the destiny will be changed anyway because you didn’t act. Kairos is the ‘moment of opportunity’, like a ‘moment of truth’ or a ‘decisive moment’. Such ‘now moments’ cause much anxiety in the therapist, who is not sure what to do, and there is not an appropriate technical fall back position that is acceptable, clinically and perhaps morally. Therapist and patient both sense that something momentous is happening, that the ongoing therapeutic relationship has been threatened and put at risk. Also hanging in the air is the therapeutic framework or at least the traditional, personal way the patient and therapist have been working together, up until now. Such moments demand an alteration in the intersubjective field between the two. It is not important whether one wants to put this in terms of the transference–countertransference momentary stance. It is a two-person event involving a potentially perturbing change in the intersubjective field of the total relationship, transferential and real.“

Den vollständigen Text finden Sie hier …