Heute würde Eckhard Sperling 100 Jahre alt. Neben Helm Stierlin in Heidelberg und Horst-Eberhard Richter in Gießen leitete er ab den 1970er Jahren das dritte universitäre Zentrum der in diesem Jahrzehnt entstehenden familientherapeutische Bewegung in der BRD. Seine medizinische Ausbildung schloss er 1960 mit dem Facharzt für Nerven- und Gemütserkrankungen ab, 1962 kam der Zusatztitel Psychotherapie hinzu. Seine Habilitation erfolgte 1965 in Göttingen (mit einer Arbeit über die psychosoziale Situation von Hirnverletzten) und er erhielt die Lehrbefugnis für das Fach Psychiatrie, medizinische Psychologie und Psychotherapie, die er ab 1966 als Universitätsdozent der Universität Göttingen ausübte. 1970 schließlich wurde Eckhard Sperling Leiter der damals neu gegründeten Abteilung für Psycho- und Soziotherapie (Familientherapie) des Zentrums Psychologische Medizin (heute: Zentrum Psychosoziale Medizin) an der Universität Göttingen, eine Position, die er bis zu seinem Ruhestand 1990 innehatte. 1966 initiierte er den Aufbau einer ärztlich-psychologischen Beratungsstelle für Studenten und leitete sie als Direktor. An seiner Abteilung wurde vor allem der Mehrgenerationen-Ansatz der Familientherapie praktiziert und weiterentwickelt, der über ein gemeinsames Buch mit Günter Reich und Almuth Massing auch für ein weiteres Publikum populär wurde.
Im systemischen Feld ist Eckard Sperling ansonsten wenig in Erscheinung getreten, wohl auch, weil er sich Schulenzuordnungen eher widersetzte und sich in seiner eigenen Arbeit nicht nur sehr eklektizistisch aller möglichen Konzepte bediente, sondern dabei auch durchaus unkonventionelle Vorgehensweisen ausprobierte. Im Lehrbuch von Arist von Schlippe und Jochen Schweitzer heißt es in einem Absatz: „Eckard Sperling, eine wichtige Pionierfigur psychoanalytischer Familientherapie , nahm schwer gestörte Patienten zeitweise in seine Familie auf, ja, er nahm sogar einmal eine magersüchtige Patientin mit in den Familienurlaub: »ich werde nie vergessen, wie sie zum ersten Mal schmecken lernte, als wir ein Muschelgericht in St. Maries de la Mer aßen« (in Hosemann et al., 1993, S. 122). Von ihm stammt auch die erfrischende Aussage: »Ich glaube keiner Theorie, sondern ich benutze sie nur. Ich benutze von der Theorie jeweils das Teilstück, das mir hilft , […] solange es mir hilft « (S. 127).“ (Von Schlippe & Schweitzer 2012, S. 208).
Anlässlich seiner Emeritierung erschien in der Zeitschrift „System Familie“ ein kurzes Interview von Stella Reiter-Theil mit E. Sperling, in dem er seine Haltung noch einmal bekräftigte: „Ich habe mich mal gefragt, wozu Therapeuten ,Glaubensbekenntnisse’ brauchen. Das habe ich wirklich nie verstanden. Es gehört wohl irgendwie dazu – und es ist auch ein bißchen deutsch, daß die Identitätsbildung mit einer Vereinszugehörigkeit verbunden ist. Aber solange sich diese Vereine nicht gegenseitig anerkennen, hat es der einzelne schwer. (…) Wenn Sie mich nach meiner Person fragen, dann ist es für mich eines der Hauptanliegen, einfach die Integration zu machen, denn ich möchte in meiner Person möglichst alle psychotherapeutischen Methoden integrieren. Das klingt furchtbar vermessen, aber da alle Methoden letztendlich das gleiche Ziel haben, daß es dem Patienten besser geht, ist es gar nicht so vermessen.“
Das vollständige Interview finden Sie hier…
Leider gibt es kein öffentlich zugängliches Foto von Eckard Sperling. Aber vielleicht gibt es ja unter den Lesern jemand, der eines hat. Ansonsten bleibt es hier beim Text…
Literatur:
Dagmar Hosemann, Jürgen Kriz & Arist von Schlippe (Hrsg.) (1993). FamilientherapeutInnen im Gespräch. Freiburg (Lambertus)
Almuth Massing, Günter Reich & Eckard Sperling (2006). Die Mehrgenerationen-Familientherapie (5. Aufl.). Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht)
Eckard Sperling & Stella Reiter-Theil (1990): „Daß alle in einem Boot leben können…“. Interview mit Eckhard Sperling. In: System Familie 3 (3), S. 181-182.
Arist von Schlippe & Jochen Schweitzer (2012): Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung. Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht)