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Online-Journal für systemische Entwicklungen

Zitat des Tages: Peter Alheit

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„Ein mentalitäres Grundmuster dieser entmythologisierten Arbeitsgesellschaft setzt sich fest und wird zur kollektiven Identität der DDR-Bürger: die Standardisierung des Lebens, die Egalität der sozialen Reproduktion. Die „arbeiterliche“ Gesellschaft, wie immer unproduktiv sie vor sich hin wirtschaftet, ist eine Gesellschaft der Gleichen. Und Gleichheit war keineswegs nur eine Ideologie der Herrschenden. Die Herstellung egalitärer Strukturen im Alltag, der Kleidung, des Auftretens, des Gesprächs war ein interaktiver Prozess. Dieser Prozess ließ Exposition nicht zu, verpönte das Besondere, Außergewöhnliche, stieß auch das Fremde ab, wenn es sich dem Egalitätssog widersetzte. Der sympathische Zug dieses egalitären Habitus, die Akzeptanz des „anderen Gleichen“, hat eine dunkle Seite: die kollektive Ausgrenzung des Anderen, Widerspenstigen, Eigensinnigen. Selbst die privaten „Nischen“ können sich der Egalitätsnorm nicht entziehen. Die DDR-Gesellschaft hat einen Aspekt der systemischen Formierung verinnerlicht und zur eigenen Sache gemacht: die Konformität – keineswegs als ideologische Konformität, sondern als eine Egalisierung des kollektiven Habitus. Und auch diese mentale Disposition ist „modernisierungsresistent“ und sorgt für das Überdauern der „ostdeutschen“ Haltung, selbst nach der Wiedervereinigung. Denn nun machen alle nicht nur die Erfahrung der Überschichtung durch eine westdeutsche Pseudo-Elite, sondern zusätzlich noch die erzwungene Bekanntschaft mit Habituszumutungen, die den verinnerlichten egalitären Habitus notorisch entwerten. Dieses Gefühl führt nicht nur zu kollektiven Kränkungen, es fordert auch das Bedürfnis nach kollektiven Abgrenzungen gegen alles Fremde, von dem „das Westdeutsche“ nur einen Aspekt darstellt“ (In: Biographie und Mentalität: Spuren des Kollektiven im Individuellen [36]. In: Bettina Völter, Bettina Dausien, Helma Lutz, Gabriele Rosenthal (Hrsg.): Biographieforschung im Diskurs. VS-Verlag, Wiesbaden 2004, S. 21-45)

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