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Online-Journal für systemische Entwicklungen

Zitat des Tages: Niklas Luhmann

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„Man kann nicht unschuldig bleiben. Die Theorie hat nicht das letzte Wort. Wenn sie als Kommunikation Erfolg hat, verändert sie die Gesellschaft, die sie beschrieben hatte; verändert damit ihren Gegenstand und trifft danach nicht mehr zu. So hat die sozialistische Bewegung zu einer Marktunabhängigkeit der Arbeitspreise geführt – eine Tatsache, mit der wir nun leben müssen. So hat die Partizipationsbewegung der 68er, soweit sie sich auswirken konnte, zu riesigen Partizipationsbürokratien geführt und damit zu einem immensen Zuwachs an organisierten Entschuldigungen dafür, daß nichts geschieht, – einer Tatsache, mit der wir nun leben müssen. Die Wirklichkeit sieht anders aus als die Theorie, die sie herbeiführen wollte. Was ist aus dieser Affäre zu lernen? Zunächst und vor allem:„Die“ Gesellschaft hat keine Adressen. Was man von ihr verlangen will, muß man an Organisationen adressieren. (…) Auf der Ebene der theoretischen Beschreibungen muß man alledem entnehmen, daß es keinen Standpunkt außerhalb der Gesellschaft und in moralischen Dingen keine unschuldigen Positionen gibt, von denen aus man die Gesellschaft„kritisch“ beschreiben und Vorwürfe lancieren könnte. Wir haben keine Labyrinththeorie, die erforschen und dann voraussagen könnte, wie die Ratten laufen. Wir selbst sind die Ratten und können bestenfalls versuchen, im Labyrinth eine Position zu finden, die vergleichsweise bessere Beobachtungsmöglichkeiten bietet. Eine Gesellschaftsbeschreibung ist immer eine Beschreibung, die den Beschreiber selbst einbeziehen muß“ (aus: „Protest“, in: TAZ, 4.8.88)

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