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Online-Journal für systemische Entwicklungen

Zitat des Tages: Niklas Luhmann

| 1 Kommentar

„Unterscheidungen verstehen sich nicht von selbst. Sie müssen gemacht werden. Das heißt auch: sie können gewählt werden. Man macht die eine oder die andere Unterscheidung, um etwas bezeichnen zu können. Jede Bezeichnung setzt eine Unterscheidung voraus – auch dann, wenn das, wovon sie etwas unterscheidet, gänzlich unbestimmt bleibt. Sagt man Sokrates, so meint man Sokrates und niemanden sonst. In diesem Falle fällt das, wovon das Bezeichnete unterschieden wird, mit dem zusammen, wovon die Unterscheidung selbst unterschieden wird. In anderen Fällen kommt diese Unterscheidung der Unterscheidung hinzu. Zum Beispiel wird etwas als groß bezeichnet, um es von Kleinem zu unterscheiden, nicht dagegen von etwas Leisem (laut/leise) und oder etwas Langsamem (schnell/langsam). Ungeachtet dieses Unterschiedes von unterscheidenden Unterscheidungen und nichtunterscheidenden Unterscheidungen, den wir hier nicht weiter verfolgen wollen (Fußnote: Und zwar: um den Paradoxieverdacht zu vermeiden, der aufkommen könnte, wenn man fragt, ob dieser Unterschied selbst eine unterscheidende oder eine nichtunterscheidende Unterscheidung ist. »Unterschied« (in Unterscheidung von »Unterscheidung«) dient uns mithin als Paradoxieabwehrbegriff. Natürlich nur: im Moment), kommt eine Unterscheidung nur vor, wenn sie gemacht wird. Wenn sie nicht gemacht wird, wird sie nicht gemacht. Sie ist nur eine Operation, hat also einen über Zeit vermittelten Bezug zur Faktizität. Sie realisiert sich selber, allerdings nur für einen Moment, und sie muß sich dann am Bezeichneten ihrer Kontinuierbarkeit und ihrer Wiederholbarkeit versichern, um sich zu de-arbitrarisieren. Wir wollen eine Operation, die etwas unterscheidet, um es zu bezeichnen, Beobachtung nennen. Ohne Unterscheidungen sind Beobachtungen nicht möglich. Mit Unterscheidungen geraten sie unter die Bedingungen der Zeit, das heißt: in den Bann der Frage, ob eine De-arbitrarisierung gelingt oder nicht. Wenn sie gelingt, nimmt man an, daß die Operation der Beobachtung weltad-adäquat läuft. Wenn sie gelingt, nimmt man außerdem an, daß das Problem der Paradoxie geschickt vermieden ist. Sehr zu Unrecht, wie eine genauere Analyse immer wieder zeigen kann“ (In: Anfang und Ende: Probleme einer Unterscheidung. In: Luhmann, Niklas / Schorr, Karl Eberhard (Hrsg.): Zwischen Anfang und Ende. Fragen an die Pädagogik. Frankfurt a.M. 1990, Suhrkamp, S. 11f)

Ein Kommentar

  1. Rainer Göbel sagt:

    Systemagazin: Verherrlicht postum Luhmann und verdämlicht die Systemtheorie
    „Unterscheidungen verstehen sich nicht von selbst. Sie müssen gemacht werden. Das heißt auch: sie können gewählt werden.“ [Aus: Zitat des Tages: Niklas Luhmann – Donnerstag, 12. November 2009]
    …… _müssen_ gemacht und _können_ gewählt werden, um in dieser spezifischen Unterscheidungs-Form als *Begriff* einer Differenz-Einheit _müssen/können_ (= systemtheoretisch praktisch ein unteilbares Element, das nur aus zeitlichen Gründen theoretisch geteilt werden kann), so einen abstrakteren Zugriff auf die Differenzeinheit _herrlich/dämlich_ zu ermöglichen, um diese dann semantisch zu entpersonifizieren und z.B. weiter dann, eine Geschlechterdifferenzierung – weiblich/männlich – in einem bestimmten Gesellschafts-System zu beobachten, wie diese vom Gesellschaftssystem selbst beobachtet und bewertet wird (Beobachtung 2.Ordnung).
    Die Unterscheidung herrlich/dämlich wurde in diesem Kommentar gewählt, um einerseits deutlich zu machen, dass es Niklas Luhmann zu seinen Lebzeiten ein Gräuel war persönlich verherrlicht zu werden, was auch in dieser Zeit kein Psycho-System männlicher oder weiblicher Ausprägung gewagt hat, und andererseits, soll mit dem Begriff als Differenzeinheit *dämlich* (weiblich/blöd) deutlich gemacht werden, dass es im systemtheoretischen Denken explizit nicht! um die Personifizierung von Systemen geht, und wer das dennoch tut, hat das System der Systemdifferenzierung in (genau genommen paradoxen) Differenzeinheiten nicht verstanden.
    Luhmanns Haupt Sächliches Arbeits-Medium während seiner Lebzeiten ZETTELKASTEN, wird jetzt postum als Reliquie von „seinen“ Epigonen missbraucht, dem *Zeitgeist* entsprechend; will sagen, den/die *Menschen* in seiner/ihrer Ausformung als *human* die Gesellschaft bestimmend und nicht, dass es den _wachem_ Blick auf die gesellschaftliche Realität gerichtet, umgekehrt ist: die funktional strukturierten und danach geordneten Gesellschafts-Systeme bestimmen *inhuman* was human sein soll;
    Die selbstreferenzielle psychosoziale Hoffnung der Gutmenschen auf: Alles wird gut!
    Aber – „Die Hoffnung ist das übelste der Übel“ (Nietzsche) – weil sie den Blick auf die wahre Wirklichkeit verklärt statt sich selbst darüber aufzuklären.
    „Durch Kultur und soziale Bedingungen ist die Ausübung von Freiheit stark asymmetrisiert, daß dem Individuum nur noch belanglose Entscheidungen bleiben – oder Proteste, die nichts ändern.“ (Niklas Luhmann, in: *Modernität und Barbarei* 1996 – suhrkamp taschenbuch wissenschaft)

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