„Das Bewusstsein der Verantwortung für die zunehmend komplexeren Prozessabläufe der modernen Welt gehorcht ( ) vielfach einer besonderen Form der Verpflichtung. Es handelt sich um eine Verpflichtung zum Eingreifen, Gegensteuern und zur Schadensbegrenzung, die in einer weiten und unbestimmten Verbindlichkeit gründet. Was wir im Einzelnen zu tun haben, um soziale Notlagen zu mindern, ist nicht genau vorgeschrieben; wie wir organisatorische Prozesse verbessern können, damit klarere Zuschreibungen von Fehlern möglich werden, lässt sich nicht exakt regeln; mit welchen Mitteln und auf welcher Grundlage an Informationen und Kenntnissen sich Maßnahmen ergreifen lassen, um nachteiligen Klimaveränderungen vorzubeugen, können wir nicht präzise feststellen. Es gibt so gesehen reale Handlungsnöte, aber keine direkt korrespondierenden Handlungsgebote; es gibt einen dringlichen Bedarf an vorbeugenden Regulierungen, aber keine eindeutigen Erfüllungsregeln; es gibt empirisch beobachtbare Schadensverläufe, aber keine ursächlich Schuldigen. Die Übernahme von Verantwortlichkeiten für Vorsorge- und Folgeprobleme, die im Kontext moderner Gesellschaften entstehen, trägt somit nicht den Charakter unbedingter Pflichten, sondern bedingter Verpflichtungen. Bedingt sind diese Verantwortungspflichten, weil sie in einen epistemologisch und normativ offenen Raum eingelassen sind. Ihre weite Verbindlichkeit resultiert daraus, dass verschiedene Wege zur Verfügung stehen, um bestehenden Forderungen nachzukommen, aber keine eindeutigen Vorschriften existieren, wie dies geschehen soll. In komplexen Handlungssituationen, aber auch in Fällen unverschuldeter Notlagen wie Krankheit, Unglück und Unfällen, die uns gewissermaßen von außen zustoßen, sind die zu erfüllenden Verpflichtungen nicht aus einem vorgegebenen Regelwerk ableitbar, das in einer objektiven Ordnung der Dinge verankert ist. Wir müssen vielmehr von Fall zu Fall feststellen, welche Regeln gelten, wie die situativen Umstände beschaffen sind, in welchen sozialen und kulturellen Kontext die Handlungen eingebettet sind. wie weit die jeweiligen Verbindlichkeiten reichen und von welcher obligatorischen Art sie sind. Das bedeutet: Verantwortungspflichten grenzen einen Spielraum der Obligationen ein, der selbst unbegrenzt ist“ In: Handeln in der Ungewissheit. Paradoxien der Verantwortung. Berlin, Kadmos 2007, S. 181f.)
Zitat des Tages: Ludger Heidbrink
21. Juni 2009 | Keine Kommentare