„Voll erblühen kann Schizophrenie nur in einem psychiatrischen Krankenhaus. Wie eine Pflanze nur in gut gedüngtem Boden optimal wächst, so erreicht der Schizophrene seine vollste Blüte erst in der geschlossenen Abteilung psychiatrischer Institutionen. Merkwürdigerweise lehnt der Schizophrene diese Form der Unterbringung zuerst einmal vehement ab. Erst wenn er bereits eine Zeitlang eingesperrt ist, bedenkt er die Vorteile der Einrichtung. Dann ist es in der Regel jedoch schon zu spät, um zurückkzukehren. Nirgendwo sonst könnte er eine Umgebung finden, die seinem Zuhause so ähnlich ist und in der er gleichzeitig auf Gegner trifft, die den Mitgliedem seiner Familie deutlich unterlegen sind.
Das durchschnittliche psychiatrische Krankenhaus ist in der Fachliteratur ausführlich beschrieben worden. Diese Berichte lassen sich dahingehend zusammenfassen, dass psychiatrische Institutionen oft von einer vagen, bizarren Verzweiflung geprägt sind, überzogen von einer dünnen Schicht schimmernder Hoffnung und guter Vorsätze, die den erbitterten tödlichen Machtkampf zwischen Patienten und Personal verschleiert. Die Kunst der Schizophrenie besteht in erster Linie darin, mit Machtkämpfen umzugehen, und natürlich steht das Machtproblem in einem psychiatrischen Krankenhaus im Mittelpunkt. Die Vorstellung, dass der Kampf zwischen dem Patienten und dem Personal ungleich wäre, entspricht nicht ganz der Realität. Das Personal hat Medikamente, Wannen, Eispackungen, Schockterapien, Gehirnoperationen, Isolierzellen, die Kontrolle über das Essen und sämtliche Privilegien sowie die Möglichkeit, eine Gruppe zu formieren, die aus Helfern, Krankenpflegern, Sozialarbeitern, Psychologen und Psychiatern besteht. Der Schizophrene hat all dieses Machtzubehör nicht; auch ist ihm die Möglichkeit der Gruppentaktik versperrt, da er im Allgemeinen ein Einzelgänger ist. Er hat jedoch seine besondere Art, seine Worte sowie einen starken und fest entschlossenen Willen. Schließlich hat er ein langes Trainining in einer Familie hinter sich, die aus den schwierigsten Menschen der Welt bestand. Ein normaler Mensch würde angesichts organisierten Angriffe vonseiten des Personals eines psychiatrischen Krankenhauses die Flucht ergreifen oder kapitulieren, Der Schizophrene jedoch kann seine Situation und seine Möglichkeiten mit einem Blick einschätzen. Obwohl er durch die Einlieferung in die Klinik beunruhigt ist, wie er es immer ist, kann der Schizophrenedie die Familie und das Personal in einen Streit verwickeln, noch bevor man ihm seine Alltagskleidung, sein Geld und seinen Führerschein abgenommen hat“ („Die Kunst, schizophren zu sein“, in: Die Jesus-Strategie. Die Macht der Ohnmächtigen. Carl-Auer-Verlag, Heidelberg).
Zitat des Tages: Jay Haley
1. Juni 2009 | Keine Kommentare