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Wunder und Zauber

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Wie die Wunderfrage und andere lösungsorientierte Interventionen von einer Klientin nicht als Hilfe zur Selbsthilfe verstanden, sondern als echter therapeutischer Zauber erlebt wurde, schildert im heutigen Adventskalendertürchen Peter Kaimer, systemagazin-Lesern auch bestens bekannt:

Meine erste Therapie mit einer Angehörigen eines mir fremden Kulturkreises (wenn man davon absieht, dass ich aus Österreich stamme ;-)) hatte ich vor ca. 25 Jahren. Und ich hatte keine Ahnung von den kulturspezifischen Hintergründen dieser Frau, die erst vor wenigen Jahren nach Deutschland gekommen war. Auch muss ich zu meiner Schande gestehen, dass ich trotz einer damals bereits lösungfokussierten Haltung glaubte, mich nicht allzu intensiver mit diesem Hintergrund beschäftigen zu müssen. Ich hatte ja meine lösungsfokussierten Fragen und ergänzend mein kognitiv-verhaltenstherapeutisches Handwerkszeug. Und ich hatte ein engagiertes Team hinter dem Monitor, welches mich in dieser Arbeit begleiten wollte. Wir begannen unsere gemeinsame Arbeit und Schritt für Schritt (er)fanden wir kleine für die Klientin brauchbare Schritte in Richtung ihres persönlichen Wunders. Der Weg der Arbeit erwies sich – wie es wohl für die meisten von uns Psychosozialarbeiter(inne)n so üblich ist – als gewundener Verlauf mit Erfolgen, Rückschlägen sowie Lernprozessen aus beiden. In den Rückmeldungen vermittelten wir der Klientin im Rahmen der Komplimente immer wieder unsere Anerkennung für das, was sie alles geschafft und ausprobiert hatte. Und schlussendlich kamen wir zu dem Punkt, wo es gut sein sollte und konnte. Die Klientin hatte einen Großteil ihrer Ziele erreicht und wir versuchten eine gemeinsame Bilanz der Therapie zu ziehen. In der Vorbereitung überlegten wir sehr sorgfältig, wie wir die „Verantwortung“ für die Erfolge bei der Klientin lassen und unsere Rolle als Begleiter (oder wie Wolfgang Loth schreiben würde „Beisteuernde“) formulieren könnten. Doch dies erwies sich als vergebliches Unterfangen. Trotz all der Einzelpunkte, welche die Klientin bereit war als ihren Beitrag zu sehen, bestand sie darauf, dass wir „gezaubert“ hätten. Das wäre ihr ja schon bei der „Wunderfrage“ aufgefallen, dass sich da etwas geändert hätte, und die folgenden Schritte wären nur aufgrund dieses Beginns möglich gewesen. Und sie wisse auch, dass dieser „Zauber“ notwendig gewesen sei, um ihr einen Ausweg aus ihrer schwierigen Situation zu ermöglichen. Tja, wir verabschiedeten uns von ihr (mein Team und ich) höflich, irritiert, etwas sprachlos. Sechs Monate später berichtete sie beim Follow-Up, dass der „Zauber“ zwar etwas von seiner Wirkung verloren hätte, aber er würde nach wie vor ausreichen … die einzelnen erarbeiteten Bewältigungsstrategien wende sie gelegentlich an.

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