
Am 11.9.2005 starb Steve de Shazer in Wien, wo er sich wegen eines geplanten Workshops aufhielt. Eine vorherige Erkältung führte zu einer schweren Lungenentzündung, die er nicht überlebte. Er wurde nur 65 Jahre alt. Stefan Beher nimmt den heutigen Tag zum Anlass eines Gedenkens.
Stefan Beher, Hamburg:
„Was wäre anders, wenn Du schon erlöst wärst“? Zum 20. Todestag von Steve de Shazer
Der Tod ist ein Endpunkt, von dem aus das Leben sich auf seine Bedeutung befragt lässt. Vielfach ringen wir ihm eine solche Bedeutung ab. Nicht selten besteht sie – oder die Variante, die unsere Verwandten und Freunde in ihrer beinahe zwangsläufig unterschiedlichen Interpretation daraus extrahieren – noch über unseren Tod hinaus. In einigen Fällen können wir in den Erinnerungen anderer gar unsterblich werden. Oder in anderen auch davon er-löst.
Als Lösung wird der Tod jedoch, zumindest im Allgemeinen, eher nicht verstanden. Selbst Steve de Shazer, Erfinder der lösungsorientierten Kurzzeittherapie, die seit den 1980-er Jahren die systemische Therapie revolutionierte und folglich in ihrer Bedeutsamkeit weit über ihren Erfinder hinauslebt, hätte den Tod wohl eher nicht als Lösung betrachtet. Sein systemischer Blick war weniger an Ursachen interessiert und mehr an Mustern und Unterschieden, die einen Unterschied machen. Der Tod wäre für ihn vermutlich ein solcher Unterschied gewesen: als Übergang von einem Zustand in einen anderen. Oder, im Anschluss an seine Liebe zur Wittgenstein’schen Sprachphilosophie, auf deren Grundlage auch seine Therapien als eine Art Sprach-Spiel verstanden werden können: als das Ende eben dieses Spiels. Aber eben nicht der Sprache selbst. Realistisch wie er war, hätte er die Unausweichlichkeit des Todes wohl kaum verdrängt. Als Fiktionist von Nützlichkeiten hätte er allerdings für einen pragmatischen Umgang mit dieser geworben: „Was müssten Sie getan haben vor Ihrem letzten Atemzug, um in dessen Herannahen nicht bereuen zu müssen, es nicht getan zu haben?“, hätte er vielleicht gefragt. Und: „Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie viel von dieser Liste haben Sie bereits geschafft?“. Selbst auf eine Antwort im unteren Bereich hätte er uns anerkennend die Hand geschüttelt, wie nach dem Gewinn eines Pokals im Lauf auf mittlerer Strecke.
Was funktioniert nun, so könnten wir die Frage abwandeln, nach dem Tod de Shazers noch in der lösungsorientierten Kurzzeittherapie? Gab es einen Moment in Ihren letzten Therapiestunden, Coachingeinheiten oder Beratungsgesprächen, der ein wenig leichter war? Woran haben Sie diese Leichtigkeit erkannt? Und woran haben es vielleicht ihre Klienten erkannt? Die Antwort auf diese Fragen würde Ihren Blick gerade weglenken von allem Scheitern, Aufhören, vielleicht auch vom Tod – und hin zu dem, was gelingt und gelingen könnte. Was war an diesem Moment anders? Und was hat dieses Andere möglich gemacht? Die Auseinandersetzung mit solchen Fragen zielt gerade nicht darauf ab, was uns er-löst. Sondern darauf, was uns löst: von den Hemmungen und Blockaden nämlich vor dem nächsten, sinnvollen Schritt.
Vor genau 20 Jahren ist Steve de Shazer nun schon verstorben, im Alter von gerade einmal 65. Und doch ist er weiterhin am Leben. Selbst wenn es keine Hoffnung mehr gibt, fragen wir dank ihm noch heute, 20 Jahre nach seinem Tod, ob Hoffnung überhaupt nötig ist, um einen Kaffee zu trinken oder mit dem Hund rauszugehen. Und tun es dann vielleicht trotzdem. Angenommen, das Leben findet seinen Halt nur in sich selbst, ist das mehr als nur kühle Pragmatik. Es ist womöglich das Beste, was uns bleibt, so lange es uns gibt. Und darüber hinaus.