systemagazin proudly presents: Rezension Nr. 300! Vorgestellt wird heute ausführlich ein Buch, das bereits 2005 bei Suhrkamp erschienen ist und eine ganze Weile (gelesen) im Bücherregal des Referenten geruht hat. Irgendwie kam immer wieder anderes dazwischen, dabei ist es ein ausgesprochen schönes, leicht lesbares und kluges Werk. Warum sollen sich BeraterInnen und TherapeutInnen mit Kulturgeschichte auseinandersetzen? Die Antwort liegt auf der Hand. Die individuellen und sozialen Konstruktionen von Wirklichkeit können sich nur innerhalb kulturell vorhandener und vorfindbarer (Be-)Deutungsrahmen vollziehen, welche wiederum durch diese Konstruktionen im historischen Fortgang modifiziert werden. Wir haben es insofern nie mit geschichtslosen Problemen oder Anliegen a priori zu tun, sondern immer mit kulturell codierten Problembeschreibungen, die an spezifische soziale und historische Kontexte gebunden sind. Was auch immer unter Kulturgeschichte verstanden wurde und verstanden werden kann, der Leser wird von Peter Burke an ein reich gedecktes und appetitanregendes Büfett geführt, das die Reichhaltigkeit des Faches aufs Beste in Szene setzt. Wer sich an Kulturgeschichte sättigen möchte, wird schnell damit konfrontiert, dass es sich vor allem um Appetizer handelt, die Lust auf mehr machen. Das ist bei einem Buch von unter 200 Seiten kein Wunder. Bewundernswert ist aber, wie es Burke gelingt, ganz gelassen und entspannt, eigentlich im Plauderton, eine solche Fülle von Hinweisen und Anregungen zu geben, ohne den Überblick über das doch mittlerweile sehr umfangreiche Wissensgebiet zu verlieren. Hier erkennt man die Handschrift des erfahrenen Meisters seines Faches, der seine Schätze liebevoll auszubreiten versteht, ohne auf eine kritische Einordnung und Bewertung zu verzichten. Wer im Kontext von Beratung und Therapie arbeitet und für die Frage sozialer Praktiken in Organisationen wie in der alltäglichen Lebenswelt sensibel ist, wird von einer kulturwissenschaftlichen Perspektivenerweiterung im Sinne eines vertieften Kontextverständnisses profitieren und vielleicht Lust bekommen, sich mit dem einen oder anderen Thema intensiver auseinanderzusetzen. Auch Leser, die nicht gleich die Bibliotheken aufsuchen werden, um ihre Neugier zu befriedigen, werden in Burkes Zusammenschau ausreichend mit spannenden Material versorgt.
Was ist Kulturgeschichte?
28. November 2008 | Keine Kommentare