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Von der Leyens Bündnis für christliche Erziehung: Zum Tischgebet bitte!

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Nachdem uns Helmut Kohl 1982 eine geistig-moralische Wende angekündigt hatte, die dann allerdings doch hinter anderen, dringenderen Aufgaben (etwa die Parteikasse durch illegale Spendenpraktiken zu sanieren) zurückstehen musste, scheint uns mit dem neu ausgerufenen „Bündnis für Erziehung“ durch die Familienministerin Ursula von der Leyen eine Neuauflage dieser Wende bevorzustehen. Von der Leyen ist die Tochter des ehemaligen christdemokratischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht („Wenn jeder Politiker, der einmal bewußt die Unwahrheit gesagt hat, sein Amt niederlegen müßte, würde es ziemlich leer werden in den Parlamenten und Kabinetten“), der sich 1976 mit Hilfe dreier mutmaßlich bestochener Überläufer aus der SPD-FDP-Koalition zum Ministerpräsidenten in Niedersachsen wählen ließ. Von Ernst Albrecht stammt übrigens auch ein früher Versuch aus dem gleichen Jahr, das Folterverbot des Grundgesetzes auszuhebeln, um im Kampf gegen Terroristen besser gewappnet zu sein. Inwiefern diese Haltungen auch die Werte charakterisieren, die Frau Leyendecker in ihrer eigenen Erziehung kennengelernt hat, muss an dieser Stelle offen bleiben.


Nun ist ein „Bündnis für Erziehung“ sicherlich eine gute Idee in einer Zeit, in der die herkömmlichen pädagogischen Konzepte offensichtlich angesichts der komplexen Anforderungen der Gegenwart versagen, Familien vielfach mit ihrer Sozialisationsfunktion überfordert sind, ein immer größerer Teil der Kinder und Jugendlichen schlechte bis gar keine Aussichten hat, in unserem Wirtschaftssystem Fuß zu fassen, das auf der anderen Seite immer mehr Bereiche der Lebenswelt systematisch seinen ökonomischen Verwertungsinteressen unterwirft und die wertbezogene grundgesetzliche Rückbindung des Eigentums schon längst zur Wertfolklore im Heimatmuseum reduziert hat.
Die Grundfrage, wie wir eigentlich in unserem Land leben wollen, ist auf die die sozialen Werte gerichtet, die wir in einer pluralen, komplexen, säkularen, in ihrem Fortgang nicht mehr wirklich berechenbaren Gesellschaft benötigen, und auf ihre Vermittlung in Familie, Kindergarten, Schule, Vereinen und Verbänden, Religionsverbänden, Parteien, Gewerkschaften, Unternehmen und anderen Organisationen. Hier eine offene, wertschätzende und multiperspektivische Debatte zu eröffnen, die einen zivilisierten, d.h. friedlichen Umgang mit Unterschieden als höchsten Wert kultiviert, ohne einseitige Rangordnungen zu errichten, wäre mehr als verdienstvoll.
Dass Frau von der Leyen dieses im Sinn hat, darf bezweifelt werden. Auch wenn vielleicht die Mehrheit der Christen (innerhalb und außerhalb der Kirchen) genau dieses Anliegen verfolgen dürften, geht es dem „Bündnis für Erziehung“ um etwas anderes, nämlich um die Vermittlung der Inhalte christlicher Religion im frühesten Kindesalter.
In einer von der Bundesregierung am 20.4. veröffentlichten Presseerklärung heißt es unter der Überschrift „Christliche Werte als Grundlage der Erziehung“: „Von der Leyen unterstrich, dass auf christlichen Werten die gesamte hiesige Kultur basiere. In einer pluralen Gesellschaft müsse zunächst die eigene Position klar sein. Erst dann könne man sich gegenüber anderen Werten öffnen“. Das ist doch klar gesprochen.
Die Zurückweisung der Kritik an der Zusammensetzung des Bündnisses durch Gewerkschaften, Religionsgemeinschaften und Parteien durch von der Leyen macht auch deutlich, dass es sich nicht um einen konzeptuellen Fehler gehandelt hat: „Die Kirchen und ihre Verbände sind nicht nur starke Partner mit einem dichten bundesweiten Netz an Betreuungs- und Bildungseinrichtungen. Sie verknüpfen auch in besonderer Weise soziale und moralische Ansprüche. Werte wie Respekt, Verlässlichkeit, Vertrauen und Aufrichtigkeit sind Leitplanken, die unseren Kindern helfen, ihren Weg ins Leben zu finden“.
Wie die jüngste Debatte über die christliche Pädagogik in kirchlichen und staatlichen Heimen in den 50er und 60er Jahren zeigt, fangen die Kirchen aber gerade erst einmal an, sich mit dem von ihnen in der Erziehung Minderjähriger begangenen Unrecht auseinanderzusetzen – und zwar nur auf massiven äußeren Druck hin. Insofern ist es mit den sozialen und moralischen Ansprüchen der Kirchen, jedenfalls was die Vergangenheit betrifft, nicht weit her.
Aber für diese Reflexion scheint im „Bündnis für Erziehung“ kein Platz. In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 19.3.06, ebenfalls auf der website der Bundesregierung veröffentlicht, macht die Ministerin deutlich, wo es für sie langgehen soll:
FAS: Sie wollen mit den beiden Kirchen ein„Bündnis für Erziehung“ schließen. Die religiöse Bindung nimmt aber immer mehr ab.
von der Leyen: Zahlen, etwa über die Kirchenzugehörigkeit, mögen das nahe legen. Aber in einer Welt, die unsicherer und unbeherrschbarer wird, werden zwei Dinge wichtiger, die man persönlich beeinflussen kann: die Familie und die Religion.
So selbstverständlich, wie wir den Kindern die Muttersprache mitgeben, müssen wir ihnen Religion mitgeben.
FAS: Sollten Eltern mit Kindern beten?
von der Leyen: Ja. Religion vermittelt Rituale, die praktische Lebenshilfen sind, bei Geburt und Tod, aber auch im Alltag. Wir beten zu Hause immer ein Tischgebet. So warten alle, bis der letzte sitzt, und das erste Kind springt nicht auf, wenn ich gerade anfange zu essen.“

Guten Appetit!

Ein ausführliches Interview (7:24 min.) mit der Familienministerin können Sie in der Online-Ausgabe der Tagesschau hören.

Eine ausgezeichnete Kritik von Katharina Rutschky, Herausgeberin des Buches „Schwarze Pädagogik“ findet sich in der heutigen Frankfurter Rundschau unter dem Titel „Kein Geld, keine Ideen. ‚Bündnis für Erziehung‘: Werte als Mauersteine gegen Zukunft“. Sie führt aus:
„Die pädagogische Bilanz des Christentums ist historisch gesehen, düster. Wer heute den kinder- und frauenfeindlichen Islam kritisiert, muss nicht weit zurückschauen, um im Christentum dieselben Praktiken zu entdecken. Die biblische Kinderliebe Jesu hat sich jahrhundertelang mit dem Unverständnis und der Grausamkeit gegenüber Kindern gut vertragen. Oft genug war der Glaube war ein Quell von Sadismus bis in die jüngste Zeit.
Es hat also viel gekostet, das Christentum so zu zivilisieren, wie wir es heute vom Islam erhoffen. Kein Pädagoge, kein Lehrer kann sich vom Aufruf christlicher Werte etwas versprechen. Wenn überhaupt, haben wir es in den Schulen mit einer Verwahrlosung zu tun, die als Reaktion auf ein autoritäres Regime allzu verständlich ist. Die Kuschelpädagogik ist am Ende – aber eine christlich motivierte Werteerziehung bietet keinen Ausweg. Sieht man davon ab, dass das Christentum diese Werte nicht einmal erfunden hat, so gilt noch mehr, dass Werte keine Backsteine sind, die man sammeln kann, um sie gegen die Zukunft aufzumauern.“
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