Lina Nagel ist Autorin des Buches „Kybernetik, Kommunikation und Konflikt“, in dem es um „Gregory Bateson und (s)eine kybernetische Konflikttheorie“ geht. Im Magazin des Carl-Auer-Verlags erscheint seit kurzem ein neuer Podcast von ihr über die Theorie und Geschichte der Kybernetik mit dem Titel „Cybernetics of Cybernetics“. In der zweiten Folge, die am 15. November erschienen ist, geht es um die Frühgeschichte der kybernetischen Bewegung in den 1940er Jahren, an der Gregory Bateson und seine erste Frau, Margaret Mead, aktiv beteiligt waren. Margaret Mead war die einzige weibliche Teilnehmerin an den Macy-Konferenzen, die für den transdisziplinären Diskurs der Kybernetik von größter Bedeutung waren. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde sie eine der bekanntesten und einflussreichsten Wissenschaftlerinnen in den USA.
Bateson und Mead waren von 1936 bis 1950 miteinander verheiratet und trennten sich 1947, blieben aber in einem wohlwollenden Kontakt. Interessanterweise fällt die Veröffentlichung dieser Podcast-Episode zufällig mit dem 45. Todestag von Margaret Mead zusammen, die am 15.11.1978 im Alter von 76 Jahren in New York gestorben ist. Nagel zitiert als Quelle ein ebenso unterhaltsames wie lesenswertes (Streit-)Gespräch zwischen Mead und Bateson, das von Stewart Brand moderiert und im Juni 1976 in der Zeitschrift CoEvolutionary Quarterly veröffentlicht wurde. Zwei Jahre vor Meads und vier Jahre vor Batesons Tod (1980) rekapitulieren beide ihre Erinnerungen an die ersten Macy-Konferenzen, ihre damaligen Kollegen und streiten über ihre Konzepte von Forschung und (u.a.) den Einsatz von Stativen in der ethnografischen fotografischen Dokumentation.
In Brands Einleitung zum Gesprächstranskript heißt es: „Margaret is now 75 [74!], Gregory 72. They meet seldom though always affectionately. Gregory has a son John, 23, by his second wife, and a daughter Nora, 9, by Lois Bateson his present wife. This meeting with Margaret took place at Gregory’s home near Santa Cruz, California, in March of this year [1976].“ Der vollständige Text ist im Internet hier zu finden…
Grandioser Text, vielen Dank, Tom und Frau Nagel! Er ist besser als die etwas effekthascherische Überschrift vermuten lässt. Sie macht aus einem Zusammenspiel eine Einzelaussage, und gibt dieser in der leichten Veränderung des Originals eine andere Färbung als die Originalstelle im Text (Bateson: „Nobody’s talking about that, Margaret, for God’s sake“. Mead: „Well“.) Ungewollt trifft das wohl einen Punkt, der diese wunderbare Geschichte eines Beginns von etwas eben nicht (nur) als einen „Blick zurück“ erscheinen lässt, sondern als eine immer noch aktuelle Angelegenheit: Was passiert, wenn eine Aussage nicht trennend gemeint ist (etwas aussagen „über“), sondern als committment? An einer späteren Stelle im Text kommt das noch einmal sehr schön auf den Punkt. Als die Society for General Systems Research gegründet werden sollte, hatte Mead Ross Ashby vorgeschlagen, die allgemeine Systemtheorie auf die sich gründende, diesem Thema ja dienende Gesellschaft selbst anzuwenden (S.13). Ashby fragte zurück: “You mean we should apply our principles to ourselves”? Die reine Wortzusammenstellung läuft auf eine Anekdote raus. Was das jedoch von einer puren Anekdote unterscheidet, ist die unmittelbar folgende Frage, die Bateson stellt: „In what tone of voice?“ – Sofort auf den Kontext.
Wie schön es wäre, einen solchen Text (ein solches Gespräch) ohne Wehmut lesen zu können. Es war einmal möglich, zur Sache zu kommen.