systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

Trialogie 2016 – Am Rande der Wüste. Ein Gespräch

| Keine Kommentare

sand-trees-water

Vom 18.-25. Februar 2017 wird in Zagora/Marokko die vierte Trialogie-Tagung stattfinden. Im Heft 2/2016 des Kontext ist als eine Art alternativer Tagungsbericht zur Trialogie-Tagung 2016 in Zagora ein Beitrag von Susanne und Anna Altmeyer erschienen. Beide, Mutter und Tochter, haben diesen Bericht als Gespräch entwickelt, das mit freundlicher Genehmigung auch im systemagazin an dieser Stelle veröffentlicht wird.

Susanne und Anna Altmeyer: Am Rande der Wüste

Systemisch tagen in einem Riad am Rande der Sahara – seit 2014 bieten Liane Stephan, Mohammed el Hachimi und Tom Levold im Februar die Gelegenheit dazu auf ihren einwöchigen Trialogie-Tagungen. re-source hieß die erste, re-connect die zweite, re-mind die diesjährige dritte. Fokus sollte diesmal sein die Verbindung zu ungenutzten oder verlorenen Ressourcen oder Ideen und die Vernetzung mit denen von Kollegen und Kolleginnen.

Das Vorhaben fand statt an einem Ort, der ein soziales Projekt beinhaltet: Mohammed el Hachimi hat das Riad mit einem Freund vor Ort vor über 10 Jahren gebaut und lässt es nach und nach in die Selbstorganisation der Menschen vor Ort übergehen. Ziel ist es, die vorher ungenutzten Ressourcen des Ortes zum Wachsen und Blühen zu bringen. Der Gewinn fließt an die Angestellten, die Instandhaltung und in soziale Projekte vor Ort wie Brunnenbau und Beschulung von Mädchen.

Und diesmal endlich passte die Zeit für mich und ich reagierte schon im August auf die ansprechende Ausschreibung und meldete mich an. Und nicht nur mich, sondern auch meine 21jährige Tochter, die interessiert an Marokko und systemischer Therapie ist. Ich nutze die Chance, Informationen über diese Woche aus der Perspektive einer Neu-Einsteigerin ins systemische Feld zu bekommen und stelle ihr einige Fragen zu ihren Erfahrungen bei der Tagung.

desert-cityLiebe Anna, mit welchen Erwartungen bist Du nach Zagora gefahren?

Puh, schwer zu sagen. Ich hab mich total auf die Woche gefreut, da ich einerseits schon viel von Marokko gehört hatte und große Lust hatte, dieses Land endlich mal selbst kennenlernen zu können und andererseits war ich gespannt mehr über systemische Therapie/Beratung zu erfahren.

Was wusstest Du vorher von systemischer Therapie und Beratung?

Ich wusste, dass sich diese spezielle Form von Beratung und Therapie, wie der Name schon verrät, mit dem System des zu behandelnden oder beratenden Menschen auseinander setzt. Sei es das System Familie, Freundeskreis, Arbeitskollegen oder auch der Mensch an sich als funktionierendes (bzw . nicht funktionierendes) System.

Was waren Deine ersten Eindrücke?

Also meine allerersten Eindrücke hatten eigentlich wenig mit der Tagung an sich zu tun, da wir einen Tag früher nach Marrakesch angereist sind, um dort noch einen Tag zu verbringen. Da das auch der Plan einiger Mit-Tagenden war, haben wir schon in Marrakesch viele neue/bald bekannte Gesichter kennengelernt und zusammen auf dem Djemaa el Fna gegessen und unsere Erwartungen und unsere Spannung auf die bevorstehende gemeinsame Woche ausgetauscht. Das war direkt sehr witzig und nett und ich fand es spannend neue Leute aus so verschiedenen Berufsrichtungen kennen zu lernen. Wobei man dazu sagen muss, dass ich (wohl schlecht informiert) eigentlich ausschließlich Psychotherapeuten erwartet hatte. Mir war vorher nicht bewusst, dass man auch ohne Therapeut zu sein, systemisch beraten kann.

Wie wurdest Du in die Gruppe aufgenommen? Immerhin warst Du von den rund 40 Teilnehmern (Frauen: Männer 3,5:1) mit Abstand die jüngste (die anderen waren 28 – 72 Jahre, – der Altersdurchschnitt lag bei 50)?

Die Gruppe war super! Ich hab mich ziemlich schnell sehr, sehr wohl gefühlt. Ich muss zugeben, dass ich kurz vor der Abreise Zweifel hatte, ob es vielleicht langweilig für mich werden könnte, diese Zweifel haben sich aber ziemlich schnell in Luft aufgelöst (Spätestens beim Morgen-Impuls „Zweifel“ :P). Ich war überrascht von der Offenheit aller Mitreisenden, habe zahlreiche spannende Gespräche führen dürfen und viel Spaß gehabt. Natürlich befand sich keiner der Mitreisenden in der gleichen Lebenssituation wie ich ( ich war die einzige Studentin), aber wann sonst bekommt man schon mal die Möglichkeit mit so vielen interessanten, intelligenten Menschen auf einem Haufen reden zu können, die einem zahlreiche Tipps fürs Leben geben können?

Gab es Dinge, die Dir besonders gut gefallen haben?

into-the-desertAlso spontan fällt mir als erstes der Dromedar-Ritt in die Wüste ein. Ich hätte stundenlang weiter reiten können.

Was fandest Du schwierig?

Also das einzige, was wirklich schwierig war, war wieder nach Hause zu fahren und diese marokkanische Traumblase zu verlassen. Hab mich auf der Rückfahrt extra ganz hinten in den Bus gesetzt, um noch möglichst lang da sein zu können (Dank an Mohammed für den guten Tipp!)

Hat Dich etwas überrascht?

Eine schöne Überraschung waren die Katzenbabys, die die ständig hungrige Katzenmami an unserem vorletzten Tag im Bett einer Teilnehmerin zur Welt brachte.

Gab es für Dich eine Entwicklung im Laufe der Woche?

Ja da gab’s definitiv mehrere. Mein Workshop beispielsweise hat sich für mich täglich entwickelt. Absolut zum Positiven. Ich war anfangs etwas skeptisch, ob ich wirklich den richtigen Workshop gewählt hatte, da ich es schwierig fand, mich komplett auf die Aufgaben einzulassen. Zum Glück hatten wir eine hervorragende Workshopleiterin ( Danke nochmal, Sabine!), die direkt auf unsere kleinen Bedenken und Zweifel eingegangen ist und es somit geschafft hat, dass jeder einzelne von uns spätestens am 3. Tag genau sein Thema gefunden hatte und täglich mehr Spaß am Töpfern hatte.

Abgesehen davon gabs auch eine sehr positive Entwicklung innerhalb der gesamten Gruppe, ähnlich einer Klassenfahrt, nach der man am letzten Tag heult und sich zu seinen Klassenkameraden in die Jugendherberge zurückwünscht. ( Und diesen Vergleich hab nicht nur ich gezogen).

Wir haben uns am ersten Tag in Triaden gefunden, die sich täglich miteinander austauschen sollten. Welche Erfahrungen hast Du dort gemacht?

Ich hatte eine 3-Generationen-Triade.  Unsere „älteste Generation“ war seit ca. einem Jahr in Rente, die „mittlere Generation“ stand mitten im Beruf und ich war die jüngste, gerade mitten im Studium. Das war toll und total hilfreich. Mir hat es die Möglichkeit gegeben meine „Studentenprobleme“ mit zwei Menschen zu besprechen, die diese Phase im Leben auch schon „durchgemacht“ haben und meine Situation von einem ganz anderen Standpunkt aus sehen. Und ich glaube, ich behaupte da jetzt nichts Falsches, wenn ich sage, dass auch die anderen beiden von unseren Triadengesprächen profitiert haben. Ich fand es toll, dass, obwohl wir uns alle drei noch nicht lange kannten, sehr persönliche und vertraute Gespräche entstanden. Es war unausgesprochen klar, dass die Triadeninhalte in die Triade gehören und da auch blieben.( Vielleicht hatte aber auch insbesondere ich dieses Gefühl, weil ich mich nur mit systemischen Beratern/Therapeuten umgeben hab, deren Alltag ja schließlich solche Vertrauensgespräche sind ). Ich hab mich jedenfalls immer sehr auf diese Dreiviertelstunde am Tag gefreut und ich bin mit meinem persönlichen Thema ein gutes Stück weitergekommen!

zagoraWie fandest Du Unterkunft und Verpflegung?

Beides hervorragend! Also eigentlich hatte ich mir ja vorher überlegt, in der Woche in Marokko vielleicht ein oder zwei Kilo zu verlieren ( Mohammeds Joggingprogramm jeden Morgen hatte ich mir fest vorgenommen), aber das war dann wohl eine absolute Fehlvorstellung. Das Essen war sehr, sehr lecker!

Und auch das Riad Lamane ist traumhaft. Du hast es selber mal als „1000 und eine Nacht“ beschrieben und das kommt dem ganzen schon ziemlich nahe.

Wie war Dein Eindruck von den Veranstaltern, also Tom und Mohammed – Liane war ja leider aus privaten Gründen kurzfristig verhindert?

Ich war von Anfang an sehr ehrfürchtig den beiden gegenüber, da ich sowohl Mohammed als auch Tom für sehr bewundernswerte Personen halte. Umso spannender fand ich es, neben beiden jeweils mehrmals beim Abendessen zu sitzen. Es entwickelten sich sehr interessante Gespräche , welche meine Ehrfurcht weiter haben wachsen lassen. Gleichzeitig gaben beide mir aber nicht das Gefühl irgendwie unterlegen zu sein, was eine Unterhaltung umso angenehmer machte.

An drei Tagen wurden Menschen aus Zagora eingeladen: der Direktor einer Schule, ein Unternehmer und die Lehrerin einer Schule, die von ihren Tätigkeiten in Marokko erzählten. Welchen Eindruck hattest Du von diesen Gesprächen?

Ich fands toll, dass wir die Möglichkeit hatten ins Gespräch zu kommen mit Marokkanern vor Ort, sodass wir mehr über das Land und seine Menschen erfahren konnten. So hatte ich weniger das Gefühl, einfach nur „Urlaub“ in der Ferne zu machen und es mir gut gehen zu lassen. Durch unsere zahlreichen Fragen konnten wir einerseits viel lernen, auch über die Einstellungen der Marokkaner ( Im Hinblick auf verschiedene Themen wie Schulsystem, Klimawandel, Flucht nach Europa etc.) und andererseits signalisieren, dass wir uns interessieren für die Menschen dort und auch gerne helfen wollen bei Problemen, wenn irgend möglich.

Was würdest Du sagen, sind die wichtigsten drei Dinge, die Du von dieser Woche mitnimmst?

Typische Systemikerfrage! Hab schon drauf gewartet, dass endlich eine Skalen-Frage kommt, aber die Drei-Dinge-Fragen sind fast genauso gut 😉

  1. Ich muss unbedingt nochmal auf einem Dromedar reiten.
  2. Ich muss Systemiker werden.
  3. Ich muss nochmal zur Trialogie.

Würdest Du diese Tagung auch anderen Studenten empfehlen? Warum oder warum nicht?

Also mir fallen 2 Freundinnen ein, die ich direkt mitnehmen würde. Mir fallen aber auch genug Leute in meinem Alter ein, für die Tagung nichts wäre. Ich glaube, das hängt davon ab, wie sehr man sich auf die angebotenen Workshops einlassen möchte oder kann.

Was war an dieser Tagung jetzt im Nachhinein für Dich systemisch?

Ich hätte ehrlich gesagt mehr Theorie über systemische Beratung und Therapie erwartet. Theoretisch hab ich eigentlich nichts dazugelernt, was ich nicht vorher schon gewusst hätte. Was ich aber sehr beeindruckend fand, war die Offenheit und Bereitwilligkeit aller Teilnehmer, sich auf – vielleicht auf den ersten Blick abstrus wirkende – Gedankenexperimente, Bewegungen, Ideen etc. einzulassen. Das habe ich als extrem angenehm empfunden. Ich hatte das Gefühl, einfach so sein zu können, wie ich bin, und mich auch bei den Workshops einfach meinem Gefühl überlassen zu können, ohne darüber nachdenken zu müssen, was irgendwer denken könnte.

Hast Du Ideen oder Vorschläge, was die Veranstalter an dieser Tagung noch verbessern könnten?

Selbst nach längerem Überlegen fällt mir tatsächlich nichts ein, was hätte besser sein können.

Was mir, Susanne Altmeyer, noch zu ergänzen bleibt:

Außer Annas Workshop „Skulpturen aus Ton“ mit Sabine Menken wurden parallel noch drei andere täglich stattfindende dreieinhalbstündige Workshops in festen Gruppen angeboten: „Theater on the Spot – Moving from Inside Out“ mit Steve Clorfeine, „Beyond Words – Tanz und Bewegung“ mit Elisabeth Clarke-Hasters, „Querdenken und -schreiben“ mit Matthias Ohler.

Ich hatte das Vergnügen, an dem Theaterworkshop teilzunehmen und zu erleben, wie meine Intuition wacher wurde und mit der der anderen Kontakt aufnahm – es entstand wie von selbst eine große Vertrautheit und Freude aneinander. Neben „Zweifel“ waren die Themen der anderen Impulsvorträge „Präsenz“, „Intuition“, „Entfaltung“ und „Wagnis“. Tägliche gemeinsame rhythm it–Musikevents mit Tobias Stürmer und re-mind-Transfergruppen schlossen die einzelnen Workshop-Tage ab. Besondere Highlights waren ein Ausflug mit Übernachtung in der Wüste und die Vernissage am letzten Tag, bei der alle Gruppen ihre Ergebnisse vorführten – ein intensives Ritual, das Erlebte zu konzentrieren.

An wenigen Orten auf der Welt sind Menschen so aufeinander angewiesen wie in der Wüste, das Leben dort ist extrem, die Erfahrungen sind intensiv und elementar. Das Eigentliche, was auch immer das sein mag, steht im Mittelpunkt, und es hat viel zu tun mit Zweifel, Präsenz, Intuition, Entfaltung und Wagnis. Dieser Rahmen, den die Veranstalter uns zur Verfügung stellten, hat einen ganz besonders intensiven Erfahrungsraum ermöglicht, der mich und ich denke auch viele andere Teilnehmer sehr bestärkt darin hat, die Einstellung zu Leben und Menschsein, die ich als Systemikerin einnehme, weiter zu vertiefen und zu entwickeln. Ich bin sehr dankbar dafür! Meine drei wichtigsten Dinge, die ich mitgenommen habe:

  1. Ich bleibe auf jeden Fall Systemikerin
  2. Ich muss nochmal zur Trialogie.
  3. Ich muss unbedingt nochmal auf einem Dromedar reiten!

Anna und Susanne Altmeyer, März 2016

 

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.