„Jugendliche, die einen nahe stehenden Menschen durch den Tod verlieren, brauchen sensible Unterstützung. Sie sollten mit ihren Gefühlen, Gedanken und Sorgen nicht allein gelassen werden. Im Alltag finden Jugendliche häufig wenige Möglichkeiten zu trauern. Zudem fühlen sie sich von Gleichaltrigen oder in der Familie oft nicht richtig verstanden. Sie ziehen sich zurück, können oder möchten ihre Trauer nicht zeigen, obwohl sie sich Trost und Beistand wünschen. Eltern und andere Bezugspersonen sind hilflos, unsicher und überfordert im Umgang mit trauernden Jugendlichen. So gestaltet sich das Leben miteinander, zusätzlich zum erlebten Verlust, für beide Seiten schwierig“. Diese Sätze stehen im Klappentext zu einem Buch von Stephanie Witt-Loers, das 2014 im Vandenhoeck & Ruprecht Verlag erschienen ist und sich mit dem Thema von Verlust und Trauer bei Jugendlichen auseinandersetzt. Guido Moelders aus Köln hat das Buch gelesen und empfiehlt seine Lektüre.
Guido Moelders, Köln:
Thema des Buches ist das Umgehen miteinander in Familien mit lugendlichen und jungen Erwachsenen, die durch den Tod einen nahe stehenden Menschen verloren haben. Zielgruppe sind betroffene Familien. Die Autorin möchte „Grundhaltungen vorstellen, die eine Unterstützung von trauernden Jugendlichen erleichtern können“, und praxisorientiertes Wissen vermitteln. Sie möchte „im Umgang mit Trauer und Verlust Verständnis füreinander schaffen … und zur Kommunikation in der Familie anregen“. Und so Familien ermutigen, auf die ihnen angemessene, individuelle Weise mit dem schmerzhaften Verlust leben zu lernen. Denn ein Aspekt, der im Umgang mit Trauernden kaum genug hervorgehoben werden kann, ist, ein Patentrezept gibt es nicht: „Was Sie nicht im Buch finden, sind allgemein gültige Methoden …, denn jeder Mensch, … jede Familie ist anders.“
Witt-Loers stellt zunächst kompakt grundlegende Gedanken zum Thema Trauer und Verlust sowie zur Jugend als besonderem Lebensabschnitt vor. Dann nimmt sie mögliche Trauerreaktionen von Jugendlichen in den Blick und beschreibt, welchen Ausdruck und welche Orte die Trauer der Jugendlichen finden kann. Sie erweitert anschließend den Rahmen im Kapitel „Trauer in der Familie“ (u.a. mit den Unterkapiteln „Wichtige Trauerthemen in der Familie“ und „Rituale“) und geht ebenso auf die Trauer und den Schmerz der Eltern ein. Die Autorin lässt betroffene Jugendliche und Eltern zu Wort kommen. Mit einem Kapitel zu speziellen Trauersituationen (z. B. in getrennten Familien, alleinerziehend nach dem Tod des Partners) und hilfreichen Literatur- und Filmempfehlungen schließt das Buch.
Die vielleicht größte Herausforderung, die eine Familie treffen kann, ist es, wie sie mit dem Tod eines geliebten Menschen (eines Familienmitglieds oder einer anderen nahe stehenden Person) umgehen soll, mit dem Schmerz, der Ohnmacht, der Sprachlosigkeit und damit, das Unfassbare zu begreifen. Der Autorin, selbst seit vielen Jahren Trauerbegleiterin und Leiterin eines Trauerinstitutes sowie durch zahlreiche einschlägige Veröffentlichungen hervorgetreten, gelingt es sehr gut, das Thema auf ebenso einfühlsame wie klare und orientierende Weise zu behandeln. Witt-Loers schreibt durchgehend praxisnah; ihre zahlreichen eigenen Erfahrungen und ihr fundiertes Wissen fließen auf sehr sensible und authentische Weise ein. Dies wird auch in den zahlreichen Hinweisen deutlich, in denen die Autorin für die Trauerbegleitung hilfreiche wie auch weniger hilfreiche Verhaltensweisen benennt. Das geschieht nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern wertschätzend und empathisch.
Witt-Loers informiert über die Besonderheiten der Trauer von Jugendlichen und sensibilisiert für ihr Verhalten: die Ambivalenz, sich gleichzeitig zurückzuziehen und doch auch Unterstützung haben zu wollen, das Gefühl von Überforderung und Hilflosigkeit in einer Phase der Identitäts- und Sinnfindung, der Wunsch, nach außen cool und souverän wirken zu wollen, während es innen ganz anders aussieht, manchmal (ungewollt) schroffes oder aggressives Auftreten, was bei den Eltern den Schmerz der Trauer noch verstärkt. Beeindruckend sind die Passagen, in denen die Jugendlichen selbst zu Wort kommen: Zum einen in einer ausführlichen Aufzählung, was ihnen in ihrer Trauer gut und was weniger gut getan hat, zum anderen in vier kurzen Fallvignetten „Jugendliche erzählen von ihrer Trauer“. Da die Autorin diese Abschnitte unkommentiert lässt, können die Aussagen der Jugendlichen eine besondere Kraft entfalten. Der Leserin wird deutlich: auch wenn der Schmerz scheinbar übermächtig ist, gibt es noch Dinge, die gut tun können.
Das ist eine weitere Stärke des Buches: aufzuzeigen, dass die Familie ihrer Trauer nicht hilf los ausgeliefert ist. Dass, so sehr sich die einzelnen Familienmitglieder auch in ihrer Art zu trauern unterscheiden mögen, Verständnis füreinander und Kommunikation untereinander möglich sind, auch wenn die Kommunikation manchmal darin bestehen mag, es irgendwie miteinander auszuhalten. Witt-Loers, die stets auch die Eltern und anderen erwachsenen Bezugspersonen gut im Blick hat, gibt hier wertvolle Anregungen, im Schmerz und im Chaos wieder handlungsfähig werden, den persönlichen Weg gestalten und neue Perspektiven entwickeln zu können.
Weit davon entfernt, die Trauer zu bagatellisieren oder den Verlust kleinzureden, macht die Autorin Mut, miteinander in der Familie Wege zu finden, der Trauer Raum zu geben, dem oder der Verstorbenen einen Platz im weiteren Leben zu geben. Ein empfehlenswertes Buch – sowohl für Eltern und andere familiäre Bezugspersonen als auch für Menschen, die in ihrer beruflichen Tätigkeit mit trauernden jugendlichen zusammenkommen.
(mit freundlicher Erlaubnis aus systhema 1/2015)
Eine Leseprobe als PDF
Stephanie Witt-Loers (2014). Trauernde Jugendliche in der Familie. Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht)
157
Seiten inkl. Downloadmaterial kartoniertPreis: € 14,99
ISBN: 978-3-525-40229-0
Verlagsankündigung:
Jugendliche, die einen nahe stehenden Menschen durch den Tod verlieren, brauchen sensible Unterstützung. Sie sollten mit ihren Gefühlen, Gedanken und Sorgen nicht allein gelassen werden. Im Alltag finden Jugendliche häufig wenige Möglichkeiten zu trauern. Zudem fühlen sie sich von Gleichaltrigen oder in der Familie oft nicht richtig verstanden. Sie ziehen sich zurück, können oder möchten ihre Trauer nicht zeigen, obwohl sie sich Trost und Beistand wünschen. Eltern und andere Bezugspersonen sind hilflos, unsicher und überfordert im Umgang mit trauernden Jugendlichen. So gestaltet sich das Leben miteinander, zusätzlich zum erlebten Verlust, für beide Seiten schwierig. Stephanie Witt-Loers greift diesen Konflikt auf und informiert über wesentliche Aspekte von Trauerprozessen. Dabei werden besonders Jugendliche in ihrer Entwicklungsphase mit ihren Bedürfnissen und Anliegen in den Blick genommen, denn sie trauern anders als Kinder oder Erwachsene und benötigen dementsprechende Unterstützung. Ziel ist es, ein gegenseitiges Verständnis in der Familie zu fördern das Trauern für alle zu erleichtern. Zudem geben Erfahrungsberichte Jugendlicher sowie ihrer Bezugspersoneneinen eindrücklichen Einblick in die Gefühls- und Gedankenwelt betroffener Familien.
Inhalt
Grundsätzliches zu Trauer und Verlust
Die besondere Lebenszeit: die Jugend
Jugendliche trauern – aber wie?
Jugendliche trauern
Trauer vor dem Hintergrund der Pubertät
Mögliche Trauerreaktionen
Wem und wo zeigen Jugendliche ihre Trauer?
Feiern und trauern – wie passt das zusammen?
Wohin mit der Trauer? Ausdruck und Orte der Trauer
Was wünschen sich Jugendliche in ihrer Trauer?
Jugendliche erzählen von ihrer Trauer
Meine Trauer – das ist so eine Sache! ‒ Ines (16 Jahre)
Ein Leben nach dem Tod meines Bruders ‒ sinnlos? ‒ Mareike (23 Jahre)
Sei der Autor deiner Lebensgeschichte und schreibe einen Bestseller ‒ Luisa (14 Jahre)
Plötzlich ist alles anders ‒ Sebastian (21 Jahre)
Trauer in der Familie
Nach dem Tod eines Familienmitglieds ‒ vorweg Grundsätzliches
Wer trauert? Und um wen wird getrauert?
Wichtige Trauerthemen in der Familie
Rituale
Warum zeigen wir in der Familie unsere Trauer nicht?
Wenn Eltern und Bezugspersonen trauern
Zwischen Leid und Verantwortung
Vom Schmerz im Schmerz
Nicht hilflos ausgeliefert, sondern handlungsfähig
Trauernde Eltern erzählen
Alles war gut – Andreas
Unsere Kinder sind nicht unsere Kinder ‒ Romy
Plötzlich alleinstehend und alleinerziehend ‒ Elke
Vom Weg ins Leben – Barbe
Weiterleben ‒ aber wie?
Persönliche Kraftquellen und Ressourcen
Jeder ist anders – vielfältige Unterstützungsangebote
Bestimmte Trauersituationen
Plötzlich alleinerziehend – nach dem Tod des Partners
Trauer in getrennten Familien
Trauer nach plötzlichem Tod
Trauer nach Suizid
Wünsche
Internetadressen
Literatur, Spielfilme und Musikstücke
Spielfilme
Musikstücke für Jugendliche
Literatur
Über die Autorin:
Stephanie Witt-Loers ist Trauerbegleiterin, Kinder- und Familientrauerbegleiterin, Dozentin, Buchautorin, Leiterin von Kindertrauergruppen sowie Trauerbegleiterin für ambulante Trauertherapie auch im Auftrag verschiedener Jugendämter und Kinderheime. Sie leitet das Institut Dellanima in Bergisch Gladbach, ist Initiatorin und Leiterin des Projekts „Leben mit dem Tod“ bietet Fortbildungen, hält Vorträge, berät und begleitet Schulen und Kitas in akuten Krisenfällen oder präventiv. In ihrer Praxis bietet sie Einzel- und Gruppentrauerbegleitung für Menschen jeden Alters an.