Die aktuelle Ausgabe von systeme spießt das gegenwärtige (Krisen-)Gerede von der Systemrelevanz auf, das ja nicht bedeutet, dass die Krise mal systemisch in ihren Kontexten und in ihrer Bedeutung für die globale Zukunft gedacht wird, sondern eher Systemrelevanz an der Größe einer Bank festmacht, die es erlaubt, Gewinne zu privatisieren und Verluste zu vergesellschaften. Es geht also auch die Suche nach Gerechtigkeit und Solidarität. Ein Thema für die systemische Fachöffentlichkeit? Die Herausgeber schreiben in ihrem Editorial:„Was soll uns das sagen? Vielleicht, dass Systemrelevanz etwas mit Institutionen zu tun hat, die per Masse, Netzwerk und Entscheidungsmacht ihre Dinge am Laufen halten und den Eindruck erwecken, dass es sich nicht nur um ihre, sondern um„die“ Dinge handelt, die sie am Laufen halten.„Die“ Dinge, sind dann wiederum vielleicht Menschen, die nicht mehr wissen, wohin vor Not. Und die sich dann vielleicht an Systemische BeraterInnen, TherapeutInnen oder Coaches wenden in der Hoffnung, im Wirren des Großen Ganzen ein irgendwie brauchbares Wirken herausfinden zu können, notfalls überzeugend erfinden tatsächlich? Auf wen treffen sie dann da? Wahrscheinlich auf solche, die den Folgen der Claimdiskussion ebenfalls ausgesetzt sind und die vermutlich versuchen, mit ihren eigenen Interessen nicht den Anschluss zu verlieren. Ihre Arbeit wird zunehmend ökonomistisch evaluiert und reglementiert. Das was viele von ihnen seinerzeit motivierte, sich auf diese (besondere) Weise für ihre Arbeit zu engagieren, wird als Sozialromantik abgetan, man muss sich halt nach der Decke strecken, times are a’changing, time is money, pecunia non olet, nolens volens und„systemisch“ hat nicht mehr das Ganze im Blick, sondern das den Systemrelevanten nützende Ziel. Ok, noch nicht ganz, noch gibt es Stimmen, die von anderem zeugen, von unerschrockenem Respektieren und sozialem Feingefühl. Vikky Reynolds ist jemand, die dafür steht. Ihr Aufsatz verdeutlicht in exemplarischer Weise die praktischen Konsequenzen einer Haltung, die sich an den Ideen von Gerechtigkeit und Solidarität orientiert. Reynolds setzt sich kritisch mit Individualismus und Neutralität in Bezug auf Burnout auseinander und bietet einen Ansatz zur Überwindung von Burnout an, der sich an der Idee einer kollektiven Zukunftsfähigkeit orientiert und dabei die Idee der Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellt. Das vorliegende Heft enthält des Weiteren zwei Beiträge, die sich auf unterschiedliche Weise mit Forschungsfragen beschäftigen. In ihrem Beitrag„Langfristige Wirkungen system therapeutisch erweiterter stationärer Psychiatrie im Erleben von PatientInnen, MitarbeiterInnen und externen KooperationspartnerInnen“ untersuchen Markus Haun, Henrike Kordy, Matthias Ochs, Julika Zwack und Jochen Schweitzer, was passiert, wenn in der Arbeit von Akutstationen allgemeinpsychiatrischer Kliniken ein strukturiertes systemtherapeutisch erwei tertes Behandlungskonzept eingeführt wird. Ein im Vergleich dazu umgrenzteres Thema loten Uwe Altmann, Thomas Simmich und Lutz Michael Alisch in ihrem Beitrag„Prozessdynamik stationär behandelter PatientInnen mit und ohne Behandlungskrise“ aus. Sie schildern dazu die Ergebnisse einer zeitreihenanalytischen Studie und geben dabei gleichzeitig einen Einblick in Möglichkeiten systemtheoretischer Forschung, die sich auf nichtlinear dynamische Prozesse ausrichtet. Last but not least nehmen wir den 70. Geburtstag von Kurt Ludewig im Dezember d. J. zum Anlass, ihm nicht nur zu gratulieren, sondern in 15 Short Cuts Lust darauf zu machen, sich seinen grundlegenden Arbeiten zu systemischen Leitmotiven immer wieder zuzuwenden. Kurt Ludewig gehört zu denjenigen, die zur Frage, was mit„systemisch“ los ist, profunde Anregungen für Antworten geben können, die sowohl die Möglichkeiten wie den Preis systemischer Perspektiven im Blick haben“
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Systemrelevanz
20. November 2012 | Keine Kommentare