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Online-Journal für systemische Entwicklungen

systemisch – was fehlt? Ein schnelles Pferd

| 3 Kommentare

Dörte Foertsch, Berlin:

15adventIn der Mongolei gibt es ein Sprichwort dass heißt: Ein ehrlicher Mensch braucht ein schnelles Pferd.

Die Haltung von Neutralität und Allparteilichkeit trägt in der systemischen Szene nicht unerheblich dazu bei, dass es kaum noch ernsthafte Diskussionen oder gar Streit um Positionen gibt. Neutralität und Allparteilichkeit, alle sind gemeinsame Beteiligte an einem System. Dabei wird immer mal wieder vergessen, dass diese beiden Prämissen sich auf Menschen auch unabhängig von ihrem Tun und Denken anwenden lassen. Neutralität oder auch Wertschätzung eines Menschen muss sich ja nicht auf sein Handeln beziehen. Ist das im Miteinander von Systemikern in Vergessenheit geraten?

Manchmal fallen die eigenen Prämissen einem selber auf die Füße oder wer anderen eine Grube gräbt fällt selbst hinein.

Systemiker schwimmen manchmal in einer gemeinsamen Suppe in der die einzelnen Bestandteile verrührt und verkocht sind, nichts dass ich etwas gegen gute Suppe hätte, aber der Mensch braucht auch etwas zum Beißen.
Dem Systemischen fehlt eine bissige Streitkultur. Es fehlt der Mut sich zu positionieren ohne die Konsequenz, als nicht systemisch plötzlich angezählt zu werden.

Dörte Foertsch

Dörte Foertsch

Da befinden wir uns in einer wahrlich paradoxen Situation. Alle sind im System Gleiche und somit am Konflikt gleichermaßen beteiligt. Der Systemiker befindet sich permanent in einer selbstreflexiven Habachtstellung das zu Diskutierende gleich wieder infrage zu stellen, die eigenen Anteile zu bedenken denn sonst gilt er oder sie als nicht so reflektiert wie erwartet. Aber andererseits gibt es das Bedürfnis, auf manch einen Ärger nicht verzichten zu wollen. Das soll übrigens gut für die Gesundheit sein, wie wir es den Klienten ermutigend nahe legen.
Wer wagt es einseitig Position zu beziehen und das androgyn gewordene Systemische zu kritisieren?

Jetzt brauche ich ein schnelles Pferd.
Die Fachverbände SG und DGSF wachsen und sind sinnvoll geworden in ihrer Außenpolitik in Bezug zur Anerkennung Systemischer Therapie, sie geben ein Forum für all die anderen Formate Systemischen Arbeitens und sind nach wie vor mir atmosphärisch angenehm unkonventionelle Vereine ohne überflüssige hierarchische Ambitionen.
Aber sie sind zur Zeit nicht hilfreich sich als Systeme bereit zu erklären ihre Selbstbestimmung gegenüber Instituten zu behaupten die abdriften in irgendeine systemische Beliebigkeit. Insofern tragen die Verbände auch zu dem Phänomen der Systemischen Moderne bei und trauen sich nicht genügend, mit den Unterschieden die einen Unterschied machen etwas zu machen. Da mögen finanzielle und Machtinteressen auch eine Rolle spielen.
Mein Pferd steht vor der Jurte und wartet noch.

Welche Kontroversen fehlen? Im Bereich der Theorien stellt sich die Frage welche der vielen Ansätze relevant geblieben sind und welche aber auch mittlerweile erweitert oder gar widerlegt wurden und werden. Was bedeutet das für Weiterbildungsinstitute und deren Fachverbände? Es gibt keine Diskussion über die Frage ob ein systemisch ausgebildeter Mensch Luhmann oder Watzlawick gelesen haben sollte, geschweige denn verstanden.
Wie sollte der Ansatz von Steve de Shazer über kurzzeitige Interventionen heute ein zu ordnen sein, wie steht es um das Mailänder Modell, wer gehört dazu und wer nicht? usw. usw. Mir fällt auf das in einer nächsten Generation neuer Lernwilliger über Systemisches das eine Rolle spielen muss.

Noch mehr frage ich mich, inwiefern auch über Methoden gestritten werden müsste. Methoden werden mittlerweile auch durch einen eigenen Markt befördert. Ein teures und stilvoll angefertigtes Familienbrett oder ein Methodenkoffer mit vielen Seilen und Fotos, der Sandspielkasten oder Handpuppen jedweder Art, outdoor- indoor Seminare im Kanu oder im Kletterpark mögen alle zur Kreativität beitragen und etwas fürs Miteinander Sprechen in Gang bringen. Mir kommt es manchmal allerdings so vor, als wären all die methodischen Angebote zum Ersatz für Beratung oder Therapie als miteinander Sprechen geworden und könnten einen Selbstzweck erhalten haben. Es entstehen mit dem systemischen Arbeiten viele kreative Ideen, allerdings auch ein eigener Markt um damit Geld zu verdienen, der sich verselbständigt hat. Genogrammprogramme in Internet, gehe zum Einkaufswagen und mach was Systemisches.
Mein Pferd steht bereit vor der Jurte.

Eine unvollendete öffentliche Diskussion mit stark kontroversen Meinungen fand statt, als es um die systemische Aufstellungsarbeit ging und die Abgrenzung zu Bert Hellinger. (Potsdamer Erklärung 2004). Damals ging es um die Frage, was zeichnet systemische Methoden aus, was könnte das Systemische bei dieser Methode sein?

Leider ist diese Diskussion in einer systemischen Öffentlichkeit zu früh beendet worden. Unterschwellig geht sie weiter, wie ich im Kontakt mit dem Wisl-Institut während der diesjährigen SG- Tagung und den Nachwirkungen dazu erlebte. Da braucht das Systemische eine anhaltende Streitkultur und manchmal eben auch schnelle Pferde. Mir erschien es während dieser Tagung nach wie ungeklärt, welchen Stellenwert die Methode der Aufstellungen als systemische Arbeitsmethode haben kann.

Die Diskussion um die Anerkennung der Systemischen Therapie ist eher ein Beispiel dafür, wie die verschiedenen kontroversen Standpunkte zur Weiterentwicklung einer Strategie beigetragen haben. Ich hoffe aber auch dass bei diesem Thema die Kontrahenten nicht müde werden und immer ein schnelles Pferd gesattelt vor der Tür steht. Möge die Diskussion und der Streit nicht aufhören, Systemiker sollten mehr Mut haben das Streiten um Positionen aufrecht zu erhalten und möglichst lange zu keinem Ergebnis kommen.

Natürlich gibt es oft genug Handlungsdruck von außen, aber ob die Diskussion vor oder nach einer Entscheidung geführt wird zeigt, dass in Entwicklungsprozessen so oder so Zeit für Reflexion notwendig bleibt.

Das schnelle Pferd gibt Gelegenheit in die Weite zu fliehen um mit guten Gedanken ans Feuer zurück zu kehren.

3 Kommentare

  1. Liebe Dörte Förtsch
    Dass Ihre Adventsgeschichte Kommentare auslöst, mag zuversichtlich stimmen. Aussitzen und totschweigen hat sich aber schon seit immer als wirksame Strategie gegen Störefriede bewährt. Allerdings geht diese Rechnung wohl nur dann auf, wenn man seiner Sache sicher ist und diese in der (Therapie-) Landschaft auch gut positioniert ist. Dass dem nicht so ist, beweist z.B. die Nicht-Präsenz des „Systemischen“ am soeben stattgefundenen grossen DGPPD Kongress in Berlin oder die Akzeptanz der Verschleppungstaktik im Hinblick auf die kassenärztliche Anerkennung Systemischer Therapie für Erwachsene (in Deutschland).

  2. Wolfgang Röttsches sagt:

    Liebe Dörte,

    ja die konstruktive Streitkultur, das Eintreten für die Schwachen und gegen das Unrecht, sich einzumischen in Politik und Gesellschaft alles das scheint mir unter Systemikern und in der SG (die DGSf kenne ich zuwenig) eingeschlafen zu sein. Wie ein Haufen alter lahmer Gäule auf der Wiese….so erscheinen mir manchmal die Akteure. Die Institute haben es sich bequem gemacht in der ersten Kammer der SG und der Verein lebt finanziell von den Einzelmitgliedern, die nicht wirklich mitbestimmen dürfen. Die Pferde stehen brav und festgezurrt im Stall und alle scheinen nur noch darauf zu warten, dass endlich der GBA die Türen öffnet. um sich dann an dem Trog der Krankenkassen satt zu fressen.
    Das systemische Beratung/Counseling mal den Anspruch hatte mehr als nur Krankenbehandlung zu sein scheint längst in Vergessenheit geraten zu sein.

    „Es fehlt der Mut sich zu positionieren …“
    Position beziehen, auch bei gesellschaftlichen und politischen Fragen, scheint mir mehr den je notwendig zu sein in Zeiten der vermeintlich undurchschaubaren komplexen Vorgänge und alternativlosen Entscheidungen.
    Themen und Anlässe gibt es genug, zu denen wir etwas zu sagen habe.

    Berater/Counselor sind unter anderem Experten
    • für Bildung, Lernen und Beruf
    • für die Begegnung und Beziehung in multikulturellen Gesellschaften
    • wir haben Wissen darum, wie Familien leben
    • wir kennen die Schnittstellen und Übergänge im
 Leben, in denen Menschen von Krisen erschüttert und
 aus der Bahn geworfen werfen
    • wir Wissen um die Möglichkeiten und Grenzen würdevoll zu altern
    • wir haben uns privat und professionell mit den Themen Geburt und Tod auseinandersetzt
    und wir sind meiner Meinung nach mehr den je dazu aufgefordert Position zu beziehen, zu benennen was falsch läuft, Lösungen einzufordern und daran mitzuarbeiten.
    In diesem Sinne wünsche ich uns heftige und streitbare Diskussionen und Auseinandersetzungen – Weihnachten kann zum Luft holen genutzt werden.

  3. Schmitz Claudia sagt:

    „Wer die Wahrheit sagt, braucht ein schnelles Pferd.“ Ist vielleicht noch treffender in der Formulierung – und ich hoffe nicht, dass die Pfeile der Feinde schon losgeschossen wurden, damit Sie schnell aufspringen und in die Weite fliehen. In meiner Jurte ist Platz für Sie 🙂 – ich teile Ihre Gedanken sehr.
    Ich hoffe, die Diskussion wurde angeregt und findet nicht online statt. Das ist oft gefährlich.

    Der heutige Beitrag in „Spiegel“ hat mich erschüttert. Da hat eine HR-Chefin auch die Wahrheit gesagt auf einem Kongress – nur für die Zuhörer in der Stimmung – und schon ging es per youtube als Video in die Welt und alle sind entsetzt. Sie hat kein schnelles Pferd vor der Tür. Das wird hart.
    Personalpolitik: Bahn-Managerin sucht Führungskräfte mit „Angststörungen“ Drama durch Social Media.http://spon.de/aeouy via @SPIEGELONLINE

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