Cornelia Tsirigotis, Aachen: Zwischen Allparteilichkeit und engagiertem Partei Ergreifen – Gedanken aus einem engagierten Kontext
Systemisches Engagement oder Engagement von systemisch denkenden und handelnden Menschen? Seit dem Erscheinen des diesjährigen Themas „systemisches Engagement“ druckse ich herum am Widerspruch oder der Gratwanderung zwischen Systemischen Haltungen wie Neutralität, Allparteilichkeit oder Multiperspektivität und Engagement. Aus meiner Sicht entspringt das sich Engagieren eher aus einer Haltung der Parteilichkeit: sich für etwas oder jemanden einzusetzen, sich über Missstände aufregen zu können und an ihrer Beseitigung arbeiten, sein Herz für jemanden zu erwärmen, der in Not ist, sich zugunsten von jemand, der das nicht so gut kann, einzumischen… Auch Engagement braucht eine Haltung, es entspringt aus den Fähigkeiten, sich über Missstände aufregen zu können, benachteiligungssensibel wahrzunehmen, sprungbereit zu sein und vieles mehr.
Der Arbeitskontext in meinem Hauptberuf als Sonderpädagogin zeichnet sich durch ein hohes Maß an Engagement aus. Die meisten der Kolleginnen haben den Beruf ergriffen, weil sie sich auf irgendeine Weise zu der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit Behinderung hingezogen fühlen. Sie haben Engagements-Gene, arbeiten mit Herzblut, sei es, dass sie Kindern und Jugendlichen mit Hörschädigung in inklusiven Settings Teilhabechancen eröffnen oder verbreitern, oder ob sie in der Förderschule mit solchen Kindern und Jugendlichen arbeiten, die anderswo keine oder weniger Chancen haben. Die Teilnahme an einem Stadtteillauf am Sonntag zu organisieren und dabei mitzumachen ist genau selbstverständlich wie der Großaufwand, mit Kindern und Jugendlichen auf einem großen Fest in einer andere Stadt am Wochenende eine Zirkusvorführung zu machen. Das klingt leicht, ist aber wochenlanger Übungs- und Organisationsaufwand. Von solchen Beispielen gibt es unzählige, genau wie Beispiele vom persönlichen Einsatz und einer besonderen Beziehungsgestaltung für einzelne Kinder und Jugendliche, die es besonders nötig haben. Selbstverständliches Engagement für meine Kolleginnen und Kollegen.
Dass in den meisten Förderschulen, vor allem im Bereich der komplexen Behinderungen, wo es auch um Pflege und Essenanreichen geht, zum Teil bis zu 20 freiwillige HelferInnen (Bundesfreiwilligendienst oder Freiwilliges Soziales Jahr) dafür sorgen, dass das System überhaupt funktionieren kann, zeigt, dass die öffentlichen Träger ihr Hilfesystem auf Engagement und engagierte Menschen aufbauen.
Dazu braucht es ein Sich-aufregen-Können über Benachteiligung, ein empathisches Verständnis dafür, dass Kinder, die in Schwierigkeiten sind, Schwierigkeiten machen und vieles mehr. Meine Kolleginnen und Kollegen ergreifen Partei für Kinder und Jugendliche mit Benachteiligungen.
Bei einer Fortbildung zur systemischen Auftragsklärung in inklusiven Settings zeigt der Referent „Allparteilichkeit“ als ein Prinzip systemischen Arbeitens auf. An der darauffolgenden Diskussion wird deutlich: das ist ungewohnt, fällt schwer. Der Perspektivenwechsel vom Kind in Not auf die Beteiligten drumherum erscheint sinnvoll, reibt sich jedoch mit der Parteinahme für das Kind, dessen Wohl oder dessen bessere Lernbedingungen im Blick zu haben SonderpädagogInnen als ihre Aufgabe ansehen.
Das persönliche Engagement und die Parteilichkeit können sich jedoch als fragil erweisen, wenn der Einsatz für ein Kind gegen Wände stößt, bei Eltern, Ämtern, Schul- und Unterrichtsbedingungen an allgemeinen Schulen. Die Burnoutrate ist nicht gerade niedrig. Dass die allparteiliche Perspektive das Engagement zuweilen auf solidere Füße stellen kann und dass systemische Perspektiven dem Engagement einen viablen Rahmen geben können, ist dann ein Erkenntnisprozess, der oft in Supervision oder kollegialer Beratung entsteht.
Engagement kommt von innen – systemische Perspektiven können es unterstützen auf seinem Weg.