Barbara Schmidt-Keller, Merzig: Sauerkraut und Ananas
Frühe und prägende positive Erfahrungen mit dem Fremden habe ich in meinem Elternhaus gemacht. Anfang der 70er Jahre suchte das Goetheinstitut deutsche Gastfamilien für ausländische Studenten, um diesen die deutsche Sprache und Kultur näherzubringen. Meine Mutter meldete unsere Familie an.
Der erste in einer langen Reihe war Rolando aus Mexiko. Meine Mutter kochte zur Begrüßung ein typisch deutsches Gericht, Sauerkraut mit Kassler, und verzierte es mit Dosenananas. Eine im vertrauten Sauerkrautbett unerwartete und überraschende Zutat, vermutlich als kulinarischer Brückenschlag gemeint, Rolando lebte bereits ein halbes Jahr in München, ernährte sich in der Mensa und seufzte beim Blick auf das Willkommens-Gastmahl „schon wieder Sauerkraut…“ Zu der Ananas sagte er nichts.
Ich muss etwa elf Jahre alt gewesen sein. Von da an kam in den folgenden 15 Jahren im Sommer und zu Weihnachten Besuch von jungen Erwachsenen aus einer anderen Welt. Sie kamen aus Asien, Afrika und Südamerika, aus Afghanistan und der Türkei.
Sie brachten neue Impulse mit, neue Wörter in fremden Sprachen, neue Gerichte und neue Gewürze. Fremde und aufregende Düfte zogen durch die Küche. Jeder wurde gebeten, einmal während des Aufenthalts ein Gericht aus seiner Heimat zu kochen. Von Zeit zu Zeit wurden angesichts dieser Herausforderung blaue Luftpostbriefe an die jeweiligen Mütter geschrieben, Rezepte und kochtechnische Instruktionen flatterten herbei. Es schmeckte fast immer gut, oft sehr gut und mindestens interessant…
Es sammelten sich die Gastgeschenke, ein buntes Potpourri aus vietnamesischen Lackbildern und südamerikanischen Flechtarbeiten, und – das beste aller Geschenke – ein rotes indisches knöchellanges Hippiekleid mit Stickereien und eingenähten kleinen Spiegeln, von dem ich mich die nächsten zehn Jahre nicht trennte.
Aus dem Kontakt mit einer jungen Vietnamesin entstand Kontakt mit ihren vietnamesischen Kommilitonen und Freunden, ein Baby wurde während des Aufenthalts bei uns geboren, eine Cousine kam aus Paris zu Besuch und ich besuchte deren Familie im nächsten Frühjahr zurück, mit Französischkenntnissen, die gleich null waren. Ich staunte über die drangvolle Enge der 3-Zimmer-Wohnung für eine 9-köpfige Familie in einer Hochhaussiedlung in der Banlieue und begriff erst Jahre später, dass die Eltern während meines 3-wöchigen Besuchs das Schlafzimmer für mich und eine der Töchter geräumt hatten und selbst in der Küche schliefen.
Das Fremde wurde schnell vertraut, ich aß zum Frühstück Pho, eine kräftige, mit Sternanis, Koriander und Ingwer gewürzte Rindfleischsuppe und sah der Gastmutter zu, die köstliche Frühlingsrollen, Wantans und kleine, nach Knoblauch duftende Fleischpasteten zubereitete, für die Familie und für verschiedene asiatische Restaurants in Paris.
Am letzten Abend, bevor ich mit dem Zug wieder nach Hause fuhr, führten die Eltern mich zum Essen in ein wunderbares asiatisches Restaurant aus. Der Vater sprach französisch und vietnamesisch, die Mutter vietnamesisch, ich sprach außer deutsch nur englisch. Die Kinder der Familie waren außer der kleinsten Tochter nicht dabei, wahrscheinlich wäre der Restaurantbesuch für alle zu teuer geworden. Am Nachbartisch saß eine mit einem Franzosen liierte Amerikanerin. Sie kam mit mir auf englisch und mit meinen Gasteltern auf französisch ins Gespräch. Aber das Essen war an diesem Abend unsere wichtigste gemeinsame Sprache.
Das Ritual des gemeinsamen Essens mit Gästen ist mir immer wichtig geblieben, genauso wie die Neugier auf neue Aromen und Geschmackserlebnisse.
Heute noch bin ich berührt und dankbar für diese Erfahrungen.