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systemagazin Adventskalender (Nachschlag 3): Eine Talkshow im Jahre 2028

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Rudolf Klein, Merzig: Eine Talkshow im Jahre 2028

Wir schreiben das Jahr 2028. Die sozialrechtliche Anerkennung der Systemischen Therapie feiert 10-jähriges Jubiläum. Vielerorts wird fleißig im sogenannten Gesundheitssystem systemische Therapie praktiziert. Natürlich haben sich die Mehrpersonensettings zugunsten von Einzelsettings zurückentwickelt. Warum sollte man mit mehreren Menschen reden, wenn es mit einem einzelnen genauso viel Geld einbringt? 

Dennoch beschäftigt sich in dem aus Kostengründen zusammengelegten Fernsehkanal ARDplusZDF eine Diskussionsrunde im Rahmen der Sendung mit dem etwas vieldeutigen Titel „Will Maischberger“ mit dem Thema: „Systemische Therapie – kann sie die Versprechungen halten?“

Da es aufgrund bahnbrechender technischer Fortschritte inzwischen möglich ist, per Schalte Direktkontakt zum Jenseits herzustellen, hat sich eine illustre Runde zur Diskussion eingefunden. 

Die Gäste sind: Helmuth Kohl (im Rollstuhl sitzend und von einem jungen und dynamischen Berater begleitet), Barack Obama (inzwischen in Ehren ergraut – leichte Assoziationen mit Nelson Mandela sind durchaus möglich), Jens Spahn (Bundeskanzler), Gerhard Schröder (noch immer dunkelhaarig wie eh und je) und eine Patientin namens Claudia Mustermann.

Will und Maischberger eröffnen die Diskussion mit der Frage: „Hat sich die sozialrechtliche Anerkennung der Systemischen Therapie in den letzten zehn Jahren ausgezahlt?“

Helmuth Kohl ergreift spontan und überraschend schnell das Wort und beginnt mit seiner typischen Intonation: „Blühende Landschaften …“, wird aber unmittelbar von seinem Berater unterbrochen mit den geflüsterten, dennoch sehr gut über den Sender hörbaren Worten: „Sie haben schon wieder die Rede zur Eröffnung der Bundesgartenschau mit einem aktuellen Thema verwechselt.“

Daraufhin meldet sich Gerhard Schröder und meint: „Ich habe schon immer gesagt, dass sich die Arbeit lohnen soll und daher gehört fordern und fördern unbedingt zusammen. Und so ist es auch in der Systematischen Therapie, oder wie die heißt.“

Barack Obama wird sofort von den beiden in die Jahre gekommenen Moderatorinnen ins Gespräch gebracht und die sonore Stimme des Dolmetschers übersetzt das erste Statement des ehemaligen Präsidenten der USA: „Mein Slogan war immer „Yes, we can“ und das ist auch das Motto der Systemischen Therapie und sollte es auch weiterhin bleiben“, woraufhin ein tosender Beifall das Studio in Wallung bringt.

Jens Spahn fühlt sich bemüßigt, nun doch endlich auch seinen Beitrag abzuspulen, indem er darauf hinweist, dass die Systemische Therapie unter seiner Ära als Gesundheitsminister den Weg ins Gesundheitssystem geschafft hat, und er nach wie vor von der absoluten Bedeutung dieses Verfahrens überzeugt ist. Wörtlich sagt er: „Die Systemische Therapie behandelt chronische Erkrankungen wie Psychosen, Sucht und ähnliches in nicht einmal 10 Sitzungen. Vor allem die lösungsorientierte, besser: die lösungsfokussierte Therapie, erspart den Krankenkassen langwierige und teure Behandlungen. Die Krankenkassen müssen nun auch nur noch maximal 10 Sitzungen bezahlen, weil die Systemische Therapie dies ja so versprochen hat. ‚Das‘ ist, und wenn ich darauf hinweisen darf, ‚ich‘ bin großartig.“ Bevor die Moderatorinnen eingreifen können, schiebt er nach: “Und ich habe es von Anfang an gewusst und durchgesetzt.“

„Great!“ ruft Barack Obama, woraufhin Helmut Kohl meint: “Blühende La…“, wobei er sofort von seinem jungen Berater etwas nach hinten gerollt wird. 

Gerhard Schröder schaltet sich ein, indem er sagt: „Nun wollen wir doch mal die Kirche im Dorf lassen, nicht wahr? In zehn Sitzungen lassen sich doch wohl nicht alle chronifizierten Erkrankungen heilen. Ich bin zum wiederholten Male verheiratet und keine systematische Therapie konnte auch nur eine Ehe retten, geschweige denn eine meiner Frauen nachhaltig geschmeidig machen. Auch wenn ich 11 und mehr Sitzungen zu zahlen bereit war – aus eigener Tasche.“

Eine der beiden Moderatorinnen verliert kurzfristig die Contenance und meint: „Na, ja, Herr Schröder, vielleicht sollte man da auch den Kontext berücksichtigen. Aber das ist ja nicht gerade eine Ihrer Stärken, wenn ich so an Gazprom und Ihren Freund Wladimir denke.“ 

Mächtige Unruhe macht sich unter den Zuschauern im Studio breit. Doch bevor Gerhard Schröder sich wehren kann und bevor Helmut Kohl noch einzuwerfen versucht, dass die zukünftige Entwicklung doch blühende Landschaften verspricht und Barack Obama erneut mit seinem Slogan auf die Möglichkeiten zu neuen Möglichkeiten verweist, wird Claudia Mustermann nun als dritte Frau im Bunde, aber einzige Frau unter den Diskutanten, durch die beiden Moderatorinnen ins Gespräch einbezogen: „Frau Mustermann – Sie sind ja nun Patientin einer systemisch orientierten Therapie gewesen oder sind es immer noch. Was sind Ihre Eindrücke und vor allem, was hat Ihnen geholfen?“ 

Frau Claudia Mustermann räuspert sich, schaut von Helmuth Kohl (inzwischen etwas abseits und v.a. vom Mikrofon entfernt) zu Barack Obama (noch immer schlank und lässig in seinem Sessel sitzend) zu Gerhard Schröder (eben an einer Fluse seines Brioni-Anzug nestelnd) und schließlich zu Jens Spahn (gerade eine SMS absendend) und sagt: „Also, mmh, ich habe ja eigentlich zwei verschiedene Therapeuten aufgesucht. Ob das, was in der ersten Therapie passiert ist, ob das systemisch war, weiß ich auch nicht so genau. Da saß mir einer gegenüber, schaute mich an, fragte über drei Ecken, interessierte sich für irgendwelche Wunder nach meinem Erwachen am nächsten Morgen, stellte Holzklötze im Raum auf, ließ mich an Hand, Gesicht und Brust klopfen, wackelte mit der Hand hin und her und schien zu glauben, er könne vom Haarausfall bis zum Fußpilz alles heilen. Also, wenn Sie mich so fragen, dann finde ich, dass der eigentlich reichlich komisch war und ich nach 10 Sitzungen gemerkt habe: Der kann es nicht und andere vielleicht auch nicht. Da muss ich wohl selber ran. Aber so richtig geglaubt habe ich mir das da noch nicht.“

Ein Zuschauer, der sich nicht mehr beherrschen kann, schreit lauthals: “Das war ein Tooligan! Die Typen kenne ich“, wird aber sofort von Studioaufsehern mit ein, zwei geschickten Spezialgriffen am Weiterreden gehindert und wegen Störung einer Fernsehdiskussion abgeführt.

Die Moderatorinnen lassen sich davon wenig beeindrucken und fassen sofort bei Claudia Mustermanns Aussage nach: „Und was haben Sie dann gemacht?“ Claudia Mustermann: „Ich bin zu einem anderen Therapeuten, der sich auch Systemiker nannte. Ich dachte, 10 Sitzungen, okay, die bezahle ich notfalls auch selber.“ 

Jens Spahn: „Sehen Sie die Einsparungen im Gesundheitssystem? Großartig!“ Obama: „Great!“ Schröder: „Fördern und Fordern!“ Kohl: „Blüh..“

Konsterniert schauen sich die Moderatorinnen an und stellen synchron die Frage: „Und? Hat das dann geholfen? Und wenn ja, was war denn dann hilfreich, um Gottes Willen?“ „Tja, ich glaube, dass da jemand saß, sich für mich interessierte und ich mich gesehen fühlte, sich Zeit nahm, und hie und da so harmlos sich anhörende Fragen stellte, die mich über Tage beschäftigten. Ob ich das Leben lebe, das ich leben will oder ob ich die Mutter bin, die ich sein möchte. Darüber habe ich dann nachgedacht. Und er gab mir einfach die Möglichkeit, mich so zu entwickeln, wie ich es für richtig hielt und mir dabei nicht im Wege stand.“  

„Wie bitte? Das soll alles gewesen sein? Kein zirkuläres Fragen, kein sicherer Ort, keine Augenbewegung, keine neuen neuronalen Verknüpfungen, keine meridianorientieren blockadeverflüssigenden Techniken, keine Aufstellungsexperimente und auch keine magischen und befreienden, von Ihren Eltern übernommenen Schuldgefühle zurückgebenden Rituale?“ Spätestens hier merkt der Zuschauer unmittelbar, dass sich die beiden Moderatorinnen echt intensiv auf diese Diskussion vorbereitet hatten.

Doch dann ertönt ein nicht zu überhörender Knall. Das Licht geht aus, die Mikrofone quittieren ihren Dienst, die beteiligten an der Diskussionsrunde inklusive der Moderatorinnen verschwinden in der Dunkelheit. Die Sendung wird abgebrochen.

Am nächsten Tag macht das Gerücht die Runde, einflussreiche Kreise der Systemischen Therapie hätten die Notbremse gezogen und dafür gesorgt, dass keine Märchen über die Systemische Therapie in Umlauf gebracht werden sollten. Es wird gemunkelt, es habe sich um die SG (subversive Gruppe) gehandelt. Die Systemische Therapie sei ein wissenschaftlich gut beforschtes Verfahren, das hoch effektiv im Bereich der Erwachsenen- und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie nützliche, kostengünstige Ergebnisse zeitigt.

Am Tag danach wurde in der Presse u.a. auch von dem Zwischenfall mit dem Studiozuschauer berichtet. Er sei wegen Ruhestörung eines geordneten Sendungsablaufs angeklagt worden. Aus Datenschutzgründen wurden lediglich die Initialen des Störenfrieds genannt: T.L. 

7 Kommentare

  1. Lothar Eder sagt:

    Lieber Rudi,
    „Tooligan“ – köstlich!!
    herzliche Grüße, Lothar

    (PS: da habe ich nicht mal Angela die Prächtige und ihr „Wir schaffen das“ in der Talgschau vermißt …)

    • Rudolf Klein sagt:

      Lieber Lothar,
      danke für Deinen Kommentar. „Tooligan“ ist keine Erfindung von mir – gerne würde ich mir diese Lorbeeren anheften. Das wäre aber Ideenklau. Ich habe es in dem Buch von Tom und Hans Lieb gelesen und auch dort war es von irgendwoher entliehen. Köstlich ist es dennoch.
      Schöne Grüße und einen guten Rutsch!
      Rudi

  2. Wolfgang Loth sagt:

    Lieber Rudi,
    da der willige Maischberg seinerzeit noch nicht davon Kenntnis haben konnte, berichte ich hier vom neuesten Stand der Heveluk-Forschung. Wie auf der Grundlage der bisherigen Heveluk-Rezeption vermutet werden konnte, beendete Hieronymus Heveluk sein Gedicht „Die alte Linde“ mit einem Limerick:

    Die Linde spürte im Laufe der Zeiten,
    dass die Winde von allen Seiten
    die Richtung vorzugeben schienen,
    als ob es galt, dem Wind zu dienen –
    Zeit, in Stille den Blick zu weiten.

    VG: W.

    • Rudolf Klein sagt:

      Lieber Wolfgang,
      vielen Dank für den Limerick. Deine Kommentare finde ich immer klasse und manchmal überfordern sie mich, was ich auch interessant finde;-)). Falls Du noch in der Eifel weilen solltest, sind wir nicht weit auseinander. Ich sitze hier an der Mosel, trinke einen guten Riesling und kommentiere die Kommentare. Was will man mehr? Na, ja. Mir fiele schon noch einiges andere ein.
      Ich wünsche Dir eine schönen Jahreswechsel, alter Montagearbeiter im Saarland
      Rudi

  3. Martin Rufer sagt:

    Lieber Rudolf Klein

    Lassen Sie mich Ihre heitere Geschichte zum Jahreswechsel mit einem Zitat von Y.D.Yalom quittieren (den ja auch Peter Müssen in seinem Nachschlag zu Worte kommen liess): „Inzwischen weiss ich nur eins mit Bestimmtheit: wenn ich ein authentisches und mitfühlendes Umfeld schaffe, werden meine Patienten die Hilfe finden, die sie brauchen, und da oft auf wundersame Weise, die ich niemals hätte Vorhersagen, geschweige denn mir vorstellen können.“
    Mag sein, dass dies mitunter eine Sichtweise von uns „Oldies“ ist (Yalom ist inzwischen ja mehr als 10 Jahre älter als ich..), sich nun aber sofort die „Youngsters“ zu Worte melden und betonen, dass dies keine Altersfrage, sondern….

    Mit herzlichem Dank auch für Ihre kreativen Beiträge und besten Wünschen für ein weiteres inspiriertes Jahr
    Martin Rufer

    • Rudolf Klein sagt:

      Lieber Martin Rufer,
      danke für das schöne Zitat von Yalom. Ob es nun eine Frage des Alters ist oder eher eine Frage der Lebenserfahrung, weiß ich nicht so genau. Meist hängt das zusammen, muss aber nicht. Sicher gibt es auch viele Menschen, die mit geringerem Alter als wir „Oldies“ eine Menge Lebenserfahrung sammeln durften, konnten, mussten…
      Ich freue mich sehr über Ihre anerkennenden Worte, grüße Sie (derzeit von der Mosel mit einem kühlen Glas Riesling neben mir) herzlich in dei Schweiz (sind Sie tatsächlich auf einer Hütte – habe ich das richtig verstanden?) und wünsche Ihnen einen guten Übergang in das neue Jahr!
      R. Klein

      • Martin Rufer sagt:

        Zu Ihrer Frage: Ja, ich bin in der Hütte, ohne fliessend Wasser zwar, aber mit Strom (und damit auch Internet)… und die gute Flasche intalienischen Weins selbstverständlich mit im Gepäck. Gehört doch zu einer auf Holzfeuer gekochten spaghettata, oder? Auch wenn ich deswegen nicht Heidegger heisse, die Freude am Pholosophieren und Diskutieren ist mir nun offensichtlich bis zum Jahresende geblieben…
        In diesem Sinne mit liebem Gruss aus luftigen Höhen unter sternenklarem Himmel
        Martin Rufer

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