Heute gibt es das Kalendertürchen Ferienanfangsbedingt ein bisschen später. Dafür gibt es heute Kurt Ludewig im Doppelpack. In seiner Kongressgeschichte erinnert er sich an das Jahr 1984, als er zu einer Tagung nach Calgary reiste, zu der Karl Tomm eingeladen hatte. Dort lernte er Humberto Maturana und Heinz von Foerster kennen, der ja bekannermaßen nicht nur zaubern konnte, sondern auch in der Lage war, in einem völlig überfüllten Restaurant noch einen Tisch zu besorgen.
Darüberhinaus hat Kurt Ludewig im aktuellen Heft des Psychotherapy Networker einen Artikel der Psychotherapieforscher Scott Miller, Mark Hubble & Barry Duncan gefunden, den er nachfolgend zur Lektüre wärmstens empfiehlt und der auch online gelesen werden kann. Lesen Sie bitte hier weiter:
Kurt Ludewig: Was macht supershrinks oder über die Verbesserung des wichtigsten Faktors erfolgreicher Psychotherapien: der/die Therapeut/in.
Ein Aufsatz von Scott Miller, Mark Hubble & Barry Duncan:
Supershrinks. What is the secret of their success?
Psychotherapy Networker, Nov.-Dic. 2007.
Aus eher sentimentalen als fachlichen Gründen habe ich es trotz Berentung bisher nicht fertig gebracht, mein Abonnement beim US-amerikanischen Fachmagazin Psychotherapy Networker (früher: Family Therapy Networker) aufzugeben. Durch diese Zeitschrift bin ich hier und da auf Entwicklungen aufmerksam geworden, die erst viel später in der eigentlichen Fachliteratur der bewährten Journals berücksichtigt wurden. Das hat mich zuweilen veranlasst, in die spezialisierte Fachliteratur gezielter zu schauen oder die entsprechenden Bücher zu bestellen. Nun hat mich ein Aufsatz aus dem Heft von November-Dezember 2007 wieder einmal begeistert, und ich möchte diese Freude mit anderen teilen. Deshalb die folgenden Zeilen. Sie sollen im Einverständnis mit Tom Levold auf den Link zur Web-Version des Aufsatzes hinweisen.
In Kürze gesagt, der Aufsatz betreibt eine weitere Demontage der konventionellen, phänomeninadäquaten, weil den Naturwissenschaften entlehnten, main-stream Psychotherapieforschung. Die mittlerweile auch in Deutschland bekannten Forscher aus dem Institute for the Study of Therapeutic Change Scott Miller, Mark Hubble und Barry Duncan haben bereits dazu beigetragen, einige der bis dahin unhinterfragten Selbstverständlichkeiten der Psychotherapieforschung als weitgehend steril und nichts sagend zu enthüllen (vgl. The Heart and Soul of Change, 1999; deutsch: So wirkt Psychotherapie, 2001). In dem populärwissenschaftlich verfassten Aufsatz des Networkers gehen sie auf leicht verständliche, fast joviale Weise der Frage nach, was denn tatsächlich in der Psychotherapie wirkt und erfolgreiche von erfolglosen Therapien unterscheiden lässt. Ihr Ziel reicht uber die bereits bekannte Tatsache hinaus, dass who provides the therapy is a much more important determinant of success than what treatment approach is provided. Anstelle der üblichen Fahndung nach wirksamen Interventionen explorieren sie den Unterschied zwischen sog. supershrinks und pseudoshrinks (Amerikanismus: Superpsychotherapeut/-Seelenklempner und Pseudopsychotherapeut).
Sie berichten, dass sie auf diesem Wege mit der Arbeit des schwedischen Psychologen K. Anders Ericsson konfrontiert wurden. Dieser expert of experts hatte Jahrzehnte lang die Herausragenden unter Sportlern, Wissenschaftlern, Künstlern, Piloten usw. mit dem Ziel untersucht, was sie von anderen Menschen unterscheidet (vgl. Cambridge Handbook of Expertise and Expert Performance). Eines seiner verblüffenden Erkenntnisse war es, dass überragende Fertigkeiten nicht in erster Linie auf genetische Faktoren zurückzuführen sind. Der Schlüssel zur überragenden Leistung lag vielmehr in dem, was Ericsson deliberate practice (vorsätzliches bzw. gezieltes Üben) genannt hat. Damit meint er nicht die Menge an Zeit, die mit Üben verbracht wird, sondern vielmehr the amount of time specifically devoted to reaching for objectives just beyond one’s level of proficiency. Einfach gesagt, ausgezeichnete Leistungen geht auf das Bemühen zurück, über die eigenen Leistungen hinaus zu reichen. Um dies aber erreichen zu können, ist es nach Ericsson entscheidend, Achtsamkeit (awareness) für Feedbacks zu entwickeln. Die Alternative nämlich, sich mit dem eigenen Urteil über seine Leistungen abzufinden, schließe die Möglichkeit für Verbesserung weitgehend aus.
Mit Blick auf diese Erkenntnisse unterzogen Miller und Kollegen ihre Studien über zahlreiche Therapeuten einer erneuten Analyse. Dabei erfuhren sie unter anderem, dass die am wenigsten effektiven Therapeuten sich als mit den effektivsten vergleichbar dachten. Gepaart mit dem Glauben, dass Erfolg in Therapien auf spezifische Methoden oder Techniken zurückgeht, achten erfahrene Therapeuten mit zunehmender Meisterschaft immer weniger auf sich selbst und vertrauen statt dessen eher auf ihre Kenntnisse. Die Menge an Erfahrung sei aber allein kein Garant für bessere Leistungen. Nimmt man darauf bezogen die enorme Vermehrung der Methoden und Techniken der Psychotherapie in den letzten 30 Jahren in Betracht, stellen die Autoren fest, dass no measurable improvement in the effectiveness of psychotherapy has occurred. Die Psychotherapie sei in ihrer nachgewiesenen Wirksamkeit seitdem konstant geblieben.
Gegenüber dieser Stagnation stellen Miller und Kollegen fest, dass es Möglichkeiten gibt, die Ergebnisse von Therapien durch Verbesserung der Leistungsfähigkeit von Therapeuten zu steigern. Dafür haben sie drei Komponenten als zentral ausgemacht: 1) Bestimmung der eigenen Baseline für Effektivität, 2) gezieltes Üben (deliberate practice) und 3) Feedback erfragen. Diese drei Faktoren würden gemeinsam wirken, um einen„cycle of excellence“ zu ermöglichen.
Sollte sich diese Einschätzung als hilfreich erweisen, wäre damit ein weiterer Schritt in Richtung auf die arg notwendige Erkenntnis gegeben worden, dass eine Psychotherapieforschung, die sich im Wesentlichen für methodologische Wirksamkeit interessiert, nicht nur phänomenologisch falsch konzipiert, sondern darüber hinaus insofern schädlich ist, als sie die Blickrichtung auf sekundäre Aspekte lenkt und so die Fortentwicklung der Psychotherapie behindert (vgl. u.a. Wissenschaftlicher Beirat Psychotherapie in Deutschland).
Wer Lust auf die praktische Anwendung dieses Ansatzes bekommen hat, findet einiges darüber im nächsten Aufsatz des gleichen Hefts: Barry Duncan, Scott Miller & Mark Hubble How being Bad can make you Better. Developing a Culture of Feedback in your Practice.