Bahram Yazdanpanah, Mettlach: Fremde in Deutschland
Der Sinn und das Ziel des
menschlichen Lebens sind wir,
die Menschen selbst, und das
Glück ist in uns verborgen
Einflussfaktoren meiner Migration könnten Schicksal, Selbstbestimmung, beides oder keines der beiden sein
Iran ist ein Land mit vielen Kulturen und Ethnien, die friedlich zusammenleben. Ich bin in einem Stadtteil der historischen Stadt Shiraz in Iran geboren und aufgewachsen. Sowohl die väterliche, als auch die mütterliche Familie waren Großfamilien. Im benachbarten Viertel haben Menschen jüdischen Glaubens gelebt, ein paar Straßen weiter war die Kirche der Christen und die Menschen zarathustrischen Glaubens gehörten ebenfalls zu den Alteingesessenen und sie waren nicht die einzigen nicht-Muslime in dieser Stadt.
Nach meinem Abitur schickte mir ein Freund im Jahre 1978 die Zulassung und das Visum zum Studieren für die USA. Zu der Zeit lebte ich den Vereinigten Arabischen Emiraten. Um die Formalitäten für das Studium in der USA zu erledigen, ging ich zurück in den Iran. Als ich dort ankam, war im Iran die Revolution im Gange und während meiner Vorbereitungen erfuhr ich aus den Nachrichten, dass die amerikanische Botschaft in Teheran besetzt worden war. In der Hoffnung, dass bald die Besetzung vorbei ist, wartete ich und es vergingen Wochen und Monate.
In dieser Zeit waren junge Familienmitglieder, die in Deutschland studierten, bei uns zu Besuch. Wir unterhielten uns und u.a. schlugen sie vor, dass ich zum Studieren nach Deutschland gehen könnte. Obwohl sie mir über Deutschland viel erzählten, war es nicht mein primäres Ziel. Als ich dann gemerkt habe, dass sich die Geschichte mit der amerikanischen Botschaft in die Länge zieht, kam ich zum Entschluss, dass ich probeweise nach Deutschland gehe und es mir vielleicht dort gefallen könnte. Meine Familie schlug vor, dass meine jüngere Schwester auch mitkommen soll. Also reisten meine Schwester und ich zusammen nach Deutschland.
Leben in Deutschland
Das Studienkolleg im Saarland, danach das Studium an der Hochschule Bremen wurde absolviert, darauf folgte eine Fortbildung in systemischer Therapie und Mediation und schließlich das Berufsleben und die Familienbildung. Inzwischen sind Jahre voller Ereignisse und Erfahrungen vergangen. Vor und während des Studiums gab es, wie in jedem Leben, Erfolge und Niederlagen, bis ich selbständig auf die Beine kam. Natürlich stellt sich die Frage, was denn Erfolg und Misserfolg genau sind.
Es war schwierig, in Deutschland als „Dritte-Welt-Ausländer“ einen Studienplatz zu bekommen. Meine Familie fragte oft, wie ich mit meinem Studium denn vorankomme und irgendwann kam dann mein älterer Bruder nach Deutschland. Er war derjenige, der mich während meines Aufenthaltes finanzierte. Er sagte mir, ich solle meine Reisedokumente holen und mit ihm in die Emirate zurückfliegen, wo er seine erfolgreichen Geschäfte machte. Er argumentierte, dass es in der Zeit schwer sei, einen Studienplatz in Deutschland zu bekommen und außerdem bräuchte er meine Hilfe für seine Geschäfte. Ich musste mich also entscheiden, ob mit ihm ziehen oder ob ich meinen Lebensunterhalt und insgesamt mein eigenes Leben selbst in die Hand nehmen würde. Ich bin in Deutschland geblieben und musste zeigen, dass ich es schaffe, meine Angelegenheiten selber zu regeln. „Wenn ich das Studium hinter mich gebracht habe, kehre ich zurück“, dachte ich mir. Nach der Besetzung der amerikanischen Botschaft in Teheran fing der iranisch-irakische Krieg an und dadurch wurden alle Wege der Rückkehr für lange Zeit auf Eis gelegt.
Sozialisation in Deutschland
Während meines Werdegangs waren die Bekannten und Freunde in Deutschland wesentliche Faktoren, die mir mit Rat und Tat beigestanden haben. Ich habe hier Menschen kennengelernt, die mir so nah standen wie eine Schwester oder ein Bruder. Sie halfen mir bei der Jobsuche, sie brachten mir bei, wie man mit Schreibmaschinen umgeht. In den 80er und 90er Jahren war es nicht leicht, als ausländischer Student eine Wohnung mieten zu können. Durch meine enge Gebundenheit zum Nauwieserviertel in Saarbrücken, wo es viele Intellektuelle, Künstler, politische Szenen und tolle Altbauwohnungen gab und teilweise noch gibt, habe ich vielleicht nicht in den schönsten, aber in einigermaßen ordentlichen Wohnungen gelebt.
Ich oder Ihr, Ich oder wir
Als ich in Deutschland ankam, war mir das Leben hier nicht fremd, aber vieles war mir neu. In den 80er und 90er Jahren lernte ich viele neue Menschen kennen, bin mit ihnen zu Partys gegangen, manche haben mir mit Geduld klassische Musik erklärt, manche haben mich zum Punkpartys eingeladen. Ich wurde zu Aktionen der Friedensbewegung eingeladen. Mit manchen gab es Diskussionen darüber, welche Konsequenzen die atomare Wettrüstung für die Menschheit haben könnte. Anfang der 80er Jahre hat die CDU mit Helmut Kohl die Regierung übernommen. Das Ausländerrecht wurde verschärft und ein, nicht großer, Teil der Bevölkerung hat angefangen ein, nationalistisches, nichtausländerfreundliches Klima zu propagieren. Dieses Klima war mir in der Dimension unbekannt. Das gesellschaftliche Klima änderte sich zum Teil im negativen Sinne, was das Zusammenleben von Einheimischen und Menschen ausländischer Herkunft betraf. Deshalb engagierte ich mich an verschiedenen Formen demokratischer Aktivitäten.
Ich bin u.a. zu öffentlichen Sitzungen von Organisationen eingeladen worden, weshalb ich mich sehr geehrt fühlte. Ich vergesse nicht, wie diese Menschen als eine Kette von BrüderInnen in dieser komplexen Welt versuchten, Toleranz und Humanität auszuüben und aktiv an dem Thema Gleichheit arbeiteten. Sie waren alle ehrenvolle Bürger dieses Landes. Ich vergesse nicht die Veranstaltungen, an denen ich teilnehmen durfte. Sie empfingen mich sowohl herzlich als auch sachlich zugleich, und halfen mir bei der Platzfindung in ihren Reihen. Im Gespräch mit ihnen wurde mir mehr und mehr klar, dass jeder Mensch mit der Arbeit an sich anfangen kann und ich erfuhr, dass Universalismus ein praktischer Schritt ist. Ich habe bei ihnen erlernt, dass das Zusammenleben tatsächlich glatt laufen kann, wenn Regeln klar gestellt werden.
Deutscher oder Iraner oder beides
Im Prozess meiner Sozialisation gab es eine ungesagte Faustregel, die u.a. lautet „ich bin ich“. Diejenigen, die den Geist der 70er und 80er Jahre kennen, wissen, was diese Regel aus entwicklungspsychologischer Sicht bedeutet. Faktoren wie dieser haben zur Verstärkung und Festigung meines Selbstbewusstseins und meiner Identität beigetragen. Mittlerweile fühle ich mich z.T. deutscher als viele, die hier geboren sind. Oft wurde ich bezüglich meiner Wurzeln befragt und meine Antwort lautete, dass ich hier so tiefe Wurzeln geschlagen habe, dass diese bis zur Renaissance in Europa zurückgehen – eigentlich wie jeder Baum, der mehrere Wurzeln schlagen kann. Meine iranischen Wurzeln kann ich namentlich bis 800 Jahre zurück aufzählen (Es könnten sogar 5000 Jahre sein, dieser Nachweis wäre dann aber viel Arbeit), meine neuen Wurzeln sind 300 Jahre alt. Um das zu verdeutlichen, kann man das Beispiel Pünktlichkeit erwähnen. Ich bin bei meinen Terminen immer 10 bis 15 Minuten früher am Treffpunkt. Oder im Bereich meiner Arbeit, der die Aktenführung betrifft, bin ich sehr empfindlich und ordentlich. Es missfällt mir, wenn ich eine unordentliche Akte in der Hand halte.
Reisebericht aus dem Iran oder Fremd in Herkunftsland
Nach etwa 30 Jahren in Deutschland habe ich für ein paar Jahre im Iran gelebt und gearbeitet. Ich erlebte einmalige Momente. Viele Erinnerungen an die Kindheit, Jugend, Familie, Freundeskreis, etc.. kamen hoch. Dennoch waren wir bestimmte Dinge auch fremd. Anfangs wollte ich oft mit dem Taxi fahren, weil ich die Menschen neu fühlen und erleben wollte. Man musste für bestimmte Strecken 500 iranische Rials (Währung in Iran) bezahlen. Aber da die 500er und die 5000er Scheine sich durch ihre braune Farbe sehr ähnlich sehen, beide mit der Zahl 5 anfangen und die Ziffer 00 am Ende steht, verwechselte ich die Scheine und statt 500 bezahlte ich oft 5000, bis ein Taxifahrer mich irgendwann darauf aufmerksam machte. Auch wenn ich die persische Sprache im Wort und Schrift beherrsche und auf Persisch ein Buch herausgegeben, viele Artikel geschrieben und als Referent oder Moderator an vielen Veranstaltungen teilgenommen habe, habe ich bei vielen Behördengängen immer eine Person vom Familien- oder Bekanntenkreis mitgenommen, weil mir die Kommunikationsart fremd war. Als ich mir vorgenommen hatte, ein Auto zu kaufen, habe ich mich nicht getraut, es alleine zu kaufen: bei allen Schritten und Vorgängen haben meine Verwandten mich begleitet. Es waren mir die Kommunikationsart und Verhandlungssprache zu fremd.
Differenzen und Gemeinsamkeiten:
Vor 700 Jahren sprachen berühmte iranische Dichter und Mystiker wie Attar Mowlana über die menschliche Gebundenheit in einem unendlichen universellen System und betonten, dass wir als Teil dieses Systems funktionieren. Von der Geburtsstunde eines jeden Menschen an weht der Wind des Todes. Man sagt, die Uhr tickt, d.h. alle müssen sterben wenn der Zeitpunkt gekommen ist, egal wo sie geboren sind und wo sie sich aufhalten. Der einzige Unterschied ist, dass einer im Schlaf sterben wird, ein anderer hat einen Herzinfarkt, die andere stirbt durch einen Unfall oder krankheitsbedingt, einige sterben natürlich oder aber auch im Krieg. Eine/er wird 60 Jahre alt, andere 70 und manche verlassen dieses Leben mit 40, etc. Aus dieser Perspektive sind wir schließlich bei aller Unterschiedlichkeit und Fremdheit letzten Endes alle gleich.