Martin Rufer, Bern: Die „postfaktische Filterblase“
Was in der Schweiz diese Woche mit „Filterblase“ zum „Wort des Jahres“ erklärt worden ist, lässt aufhorchen. Wird doch damit all dem, was in diesem turbulenten Jahr herausgefiltert, dafür aber aufgeblasen wird ein Denkmal gesetzt. Gemeint ist damit die falsche Sicherheit, in der sich Internetuser wiegen, weil sie nur mit Gleichgesinnten kommunizieren und sich deshalb in der Mehrheit wähnen. Was einem fremd ist oder was stört, bleibt im Filter hängen. Damit meint man ja gerne die Anderen. Diesmal aber, wenn man an die Wahl von Trump oder an den Brexit denkt, war die vermeintliche Minderheit eben die effektive Mehrheit. Nichts anders bei der „Masseneinwanderungsinitiative“, die den unerwarteten Volksentscheid in der Schweiz nun als „Inländervorrang light“ umsetzen will. Dass dieser parlamentarische Vorstoß, es möglichst Allen recht zu machen, bei uns zeitgleich zum „Unwort“ des Jahres gewählt worden ist, entbehrt nicht einer gewissen Ironie im Umgang mit dem und den „Fremden“.
Wie jeder weiss, können Blasen bei zunehmendem Innen- oder Aussendruck nicht nur leicht zerplatzen, sondern auch schmerzen. Offensichtlich haben es „Filterblasen“ an sich, dass sie vor „Fremdem“ besonders gut schützen, aber genauso schnell zerplatzen, dann aber nachhaltig wehtun. Dies Alles ruft dann all diejenigen „Heiler“ aufs Parkett, die den Schaden mit passender Wundversorgung bzw. Therapie in Grenzen halten sollen. Dies alles mag zwar Teil eines kreativen Prozesses sein, von dem man aber nie genau weiss, wie er schliesslich ausgeht. Systemiker bedienen sich dabei gerne Begriffen wie „nicht-lineare Dynamik“, „kritische Instabilität“, „Selbstorganisation“, „Emergenz“ usw. Was dabei aber gerne vergessen geht, dass in- und ausserhalb von „Filterblasen“ Menschen leben die sich nicht als „Eliten“ oder „Populisten“ verstehen und sich nur virtuell im Netz ernähren. Sie finden weder in der „Blase“ noch in der „Fremdenfeindlichkeit“ ihren Platz.
Aber wo denn? Im Land der „Fakten“ vielleicht, wo soeben „postfaktisch“ zum Wort des Jahres gekührt worden ist? Ein Kunstwort, so die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS), das darauf verweise, dass es in politischen und gesellschaftlichen Diskussionen zunehmend um Emotionen anstelle von Fakten gehe. Ja sicher, ohne Emotionen läuft nichts. Das wissen nicht nur die andern, die damit auf unlautere Art ihr Geld machen, sondern auch wir Therapeutinnen und Therapeuten, die wir unser Geld damit ja redlich verdienen wollen und müssen. Dass inzwischen auch wir unser systemtherapeutisches Wissen (postfaktisch) „emotionsbasiert“ verkaufen, ist Teil dieses „Geschäfts“…
Wo nun aber finde ich, findest Du, finden wir Systemiker unsern Platz und melden uns zu Wort, vis a vis von Fremdem und Fremden, jetzt wo die „Filterblase“ zerplatzt und die „Fakten“ in der Postmoderne immer mehr verschwinden?