systemagazin

Online-Journal für systemische Entwicklungen

systemagazin Adventskalender 2024 – 5. Bernd Schmid

| 1 Kommentar

Über das Segnen!

Vielleicht für manche ungewohnt, habe ich in meinem beruflichen Umgang mit Menschen immer auch eine seelische Dimension gesehen.  Mein Text zur „Säkularen Seelsorge“[1] aus dem Jahr 2009 erzählt davon mehr. 

Der Mensch dem Menschen ein Seelsorger! Ich vertrete schon lange, dass Segnen durchaus zu Beratungsbeziehungen, zu Lehrbeziehungen, ja wahrscheinlich zu vielen anderen beruflichen Beziehungen gehören darf. Ich selbst habe auf meinem Weg öfter segnenden Zuspruch erhalten. Z.B. 1979 durch den TA-Lehrer Bob Goulding. Er sah mich an und sagte beim ersten Zusammentreffen nach 30 Sekunden: You are good. I know that. Ich wusste nicht, woher er das nahm und wie mir geschah, doch es tat gut. 

Da fühlt sich ein Mensch autorisiert, mir Vertrauen in mich und meine Entwicklung zuzusprechen. Er beschränkt sich nicht auf die Sicherheitszone eines begründeten Urteils. Sondern er vertraut auf seine Intuition über mein Wesen und meine Entwicklung. Er vertraut darauf, dass er als Vermittler den Zuspruch höherer Mächte überbringen darf. 

Segnen ist weniger ein bestimmter Akt, den man handwerklich lernen kann, sondern eine Haltung in der Beziehung zu Menschen und zu Dimensionen, die jenseits unserer fachlichen Beherrschbarkeit und jenseits unserer EGOs liegen.

Ich bin selbst wenig religiös geprägt. Vielleicht gerade deshalb habe ich immer recht unbefangen Dialog mit Szenen der Bibel gehalten. z.B. mit Jacobs Kampf mit dem Engel:

Jakob kehrt nach Jahren der Flucht vor seinem Bruder Esau zurück und erwartet eine Konfrontation. Er hatte mithilfe seiner Mutter den Erstgeborenen-Segen vom Vater erschlichen. Vielleicht von Talenten, Ambitionen und Eignungen her stimmig. -Und im Zusammenspiel umgesetzt. Immerhin hatte der hungrige Esau sein Erstgeburtsrecht gegen ein Linsengericht weggegeben. Aber eben nicht in Einklang mit den Gesetzen, von daher illegitim. Eine Aussöhnung mit dem Bruder könnte das Eroberte zur allseits anerkannten Identität und damit legitim werden lassen. Doch er hat Angst vor möglicher Unversöhnlichkeit seines Bruders.

Im Grenzfluss zum Land des Bruders versperrt ihm eine dunkle Gestalt den Weg und er muss mit ihr die ganze Nacht kämpfen. 

Was hier geschieht hat viele Deutungen erfahren. Für mich ist es ein existenzieller Kampf um Identität und Segen, und Jakob ringt um seine Bestimmung und seinen Platz in der Geschichte. 

 „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn“

Dieser Satz, den Jakob am Morgen der dunklen Gestalt entgegenschleudert, offenbart seinen tiefen Wunsch nach einem Segen, der ihn durch den nächsten Abschnitt seines Lebens tragen soll. Er will nicht einfach weitergehen, ohne dass sein Engagement Anerkennung und höheren Beistand findet. Der Segen steht hier für eine Bestätigung und eine Erneuerung seines Lebensweges. 

Dieser Segen ist nicht einfach ein Geschenk, sondern etwas, das Jakob sich durch seinen inneren und äußeren Kampf erringen muss. Dann bestätigt der Segen seine Veränderung und gibt ihm die Kraft, als neuer Mensch weiterzugehen. Eine getragene Identität macht vieles, was vorher Kraft gekostet hat, selbstverständlich und damit leicht. 

Wir könnten miteinander Ringende und einander Segnende sein.


[1] B. Schmid: Säkulare Seelsorge im systemischen Feld der Professionen und Organisationen

Bernd Schmid, Wiesloch

Ein Kommentar

  1. Lieber Kollege Bernd
    Dies war für mich anregend an diesem Morgen. Der Segen hat ja auch in den Familien und in vielen Ritualen eine große Bedeutung. Meine Mutter gab mir einen“kleinen Segen“ mit auf den Weg, wenn ich was Schwieriges vor mir hatte.
    Der Segen ist eben uneigennützig. Sonst wirkt er nicht

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.