„Trotzdem“ oder: Ein kurzer Versuch über die Hoffnung
Aktuell wird allerorten diagnostiziert, dass sich moderne Gesellschaften im Zeitalter der Polykrise befinden: Klimawandel, Corona, Krieg in der Ukraine, Geldentwertung, der Aufstieg des Populismus – es kann der Eindruck entstehen, dass nur mehr ein „muddling through“ möglich ist und es in Zukunft vielleicht bloß ums schiere Überleben geht – dass eine Erschöpfungsgesellschaft vorliegt, die zunehmend zur Überlebensgesellschaft verkümmert.
Und ja, die Befunde sind nicht erfreulich: Das Krisenhafte ist der modernen Gesellschaft selbst eingeschrieben. Recht neu ist jedoch die zunehmende Visibiliserungserfahrung, dass nämlich bisherige „Selbstverständlichkeiten“ (etwa Grund- und Freiheitsrechte, mehr Wohlstand für nachfolgende Generationen, eine intakte und berechenbare Umwelt, usw.) ja gar nicht selbstverständlich sind (sie waren es auch nie) und somit Verletzlichkeit erlebbar wird. Vulnerabilität nämlich, das Erleben, dass all das mittlerweile Vorausgesetzte „auf tönernen Füßen“ steht, führt zunächst zu einem Unbehagen (Armin Nassehi, *1960), dann vermehrt zu Angst, Verzweiflung und Depression.
Angst vereinzelt und setzt Gleiches fort
Martin Heidegger (1889-1976) schreibt, dass die Angst dort entsteht, wo das Gebäude vertrauter alltäglicher Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster – in dem wir uns bereitwillig und immer fragloser eingerichtet haben – einstürzt und einem „Un-zuhause“ weicht. Nach Heidegger ist die Angst die Grundstimmung, welche die menschliche Existenz erschließt, womit er sich für die Vereinzelung des Menschen entscheidet. Diese Vereinzelung wird heutzutage durch die sogenannten „Sozialen Medien“ noch verschärft, denn diese bauen das Soziale mehr und mehr ab.
Angst (mittelhochdeutsch angest, althochdeutsch angust) bedeutet ursprünglich „Enge“. Sie schnürt uns die Brust ein, macht uns atem- und somit sprachlos. Und somit passen Angst und Demokratie nicht zueinander, genausowenig wie Angst und Freiheit. Im Klima der Angst fehlt auch der Mut zum Denken, was dazu führt, dass sich das Gleiche fortsetzt, immer mehr vom Gleichen gedacht wird. Das Andere, das Mögliche, das Neue – im Klima der Angst nicht verfügbar. „Die Angst kann die ganze Gesellschaft in ein Gefängnis, ja in eine Quarantäne verwandeln. Sie stellt nur Warnschilder auf.“ (Byung-Chul Han, *1959)
Hoffnung als Mogelpackung?
Der Grundstimmung der Angst soll hier die Grundstimmung der Hoffnung als Gemeinschaft stiftende Alternative entgegengesetzt werden. Doch ist die Hoffnung nicht bloß ein Betäubungsmittel, ist sie nicht eine Ausrede, nicht ins Handeln zu kommen, weil es einem an Entschlossenheit mangelt? Weil man die Augen vor der Realität verschließt? Weil man sich lieber in Illusionen versteigt? Ein „tödliches Ausweichen“ (Albert Camus, 1913-1960)?
Dagegen ist ins Treffen zu führen, dass Hoffnung eine – im Vergleich zur Angst – dem Menschen bekömmlichere Grundstimmung ist, eine grundlegende Seinsweise, die dafür sorgt, dass wir trotz aller Übel „ein entschlossenes Ja zum Leben“ (Friedrich Nietzsche, 1844-1900) sagen können. Nietzsche begreift die Hoffnung als ein „Trotzdem“. Wo die Angst nur Warnschilder aufstellen kann, dort errichtet die Hoffnung Wegweiser (Byung-Chul Han, *1959). Sie gibt uns Sinn und Orientierung.
Keine Hoffnung ohne Verzweiflung
Der Hoffnung ist die Verzweiflung – und somit Negativität – eingeschrieben. Verzweiflung wächst im Angesicht der Erkenntnis, über keine Geschichte zu verfügen, die in die Zukunft tragen kann. Dies setzt Anteilnahme an der Welt voraus. Es könnte behauptet werden, dass die Hoffnung umso intensiver wird, je tiefer die Verzweiflung ist, doch ist die Hoffnung nicht selbstverständlich vorhanden. Sie muss vielmehr oftmals eigens herbeigerufen, ja beschworen werden.
Sie setzt also ein Engagement voraus, was wiederum zunächst das Vorhandensein und Aufbringen können von Energie für dieses Engagement bedingt. Andernfalls kann das Abgleiten in die Depression drohen. Im Gegensatz zur Angst hat die Hoffnung etwas Versöhnliches, sie verbindet Menschen, anstatt sie zu vereinzeln. Das Aufbieten der oben genannten Energie gelingt besser in Verbundenheit mit anderen Menschen – das Subjekt der Hoffnung ist ein Wir, die Hoffnung ist eine (gemeinsame) Sehnsuchtsform.
Hoffnung als Gewissheit, dass etwas Sinn hat
Es ist eine Politik der Hoffnung nötig, die gegen das Klima der Angst eine Atmosphäre der Hoffnung möglich macht, womit der „Blick in die Ferne“ frei wird. Erst damit werden eine Leidenschaft fürs Neue und somit ein Aufbruch möglich.
Hoffnung gibt Elan, kann begeistern und Narrative ermöglichen, die Handlungen leitet. Hoffnung hat etwas von „nach vorne träumen“, von Tagträumen, etwas Magisches, das im „Verdacht“ stehen kann, sogar Wunder zu bewirken. Sie hat auch etwas Kontemplatives, etwas Aktives und etwas „Bereit-Seiendes“ zugleich. Byung-Chul Han meint, dass „in der Hoffnung vita activa und vita contemplativa eine schöne Synthese eingehen.“
Die Menschen können handeln, weil sie hoffen können. Hoffnung inspiriert die Handlung, es entstehen Räume für den Neubeginn. Hoffnung lässt sich beschreiben als Gewissheit, dass etwas Sinn hat – ohne Rücksicht darauf, wie es ausgeht. Wie oben kurz ausgeführt, ist Hoffnung eine Grundstimmung, eine besondere Gestimmtheit – vielleicht lässt sie sich auch bezeichnen als das Maß unserer Fähigkeit, uns um etwas zu bemühen, weil es gut ist, ohne zu wissen, ob es Erfolg haben wird.
Alles kann ganz anders werden
Die Hoffnung ist von dem Glauben getragen, dass alles ganz anders werden könnte, sie ist die „Leidenschaft für das Mögliche“ (Jürgen Moltmann, 1926-2024) und richtet den Blick auf das „Noch-Nicht-Seiende“, auf das Ungeborene. Sie erschließt der Wirklichkeit ihre künftigen Möglichkeiten. Hoffnung kann unsere Grundhaltung sein bzw. werden, eine Grundform des „Gemeinsam-in-der-Welt-Seins, besser des „Gemeinsam-in-die-Welt-Kommens“. Sie ist unabhängig vom Ausgang der Dinge.
Lassen Sie uns hoffende Menschen sein und als solche mit Möglichkeiten gegen alle Wahrscheinlichkeit rechnen. Im Advent, einer Zeit der Festlichkeit, lässt sich womöglich gut damit beginnen.
Tom Hansmann
Leiter der Umweltanwaltschaft Niederösterreich
Systemische Theorie und Beratungspraxis
Wiener Straße 61-63/3/25
A-3002 Purkersdorf bei Wien
Lieber Tom Hansmann, ich glaube mittelrweile auch, dass es nach all dem Mahnenden wichtig ist, sich für Zuversicht und Hoffnung zu entscheiden. Nur das Vakuum im Übergang möchte ja was – gefüllt, leer, gestaltet werden und mit was genau. Mir würde etwas systemisch-achtsames gefallen, aber ich weiß nicht genau, was.
Schön, dass es Umweltanwält*inne gibt.
Alles Gute für uns 2025
Evelyn Schwirkus
Liebe Evelyn Schwirkus, danke für Ihren Kommentar! Was systemisch-achtsam-Gemeinsames vielleicht? Fröhliche Weihnachten darf ich Ihnen wünschen!
Lieber Tom,
angeregt durch deinen Adventkalenderbeitrag will ich auf das proskopisch episodische Gedächtnis hinweisen und dieses mit Göthe beschreiben:
“ Unsere Wünsche sind Vorgefühle der Fähigkeiten, die in uns liegen. Vorboten dessen, was wir zu leisten imstande sein werden. Was wir können und möchten, stellen sich in unserer Einbildungskraft außer uns in der Zukunft dar; wir fühlen eine Sehnsucht nach dem, was wir schon im Stillen besitzen. So verwandelt ein leidenschaftliches Vorausgreifen das wahrhaft Mögliche in ein erträumtes Wirkliches.
In diesem Sinne frohes Fest und ein gelingendes 2025
Josef
Danke Josef für Deinen feinen Kommentar! Ein frohes Weihnachtsfest wünsche ich Dir von Herzen!
Vielen Dank für diesen hoffnungsvollen Text. Schöne Weihnachtstage. Anne Lorenz
Danke für Ihren Kommentar! Ein frohes Weihnachtsfest darf ich Ihnen wünschen!