Ja, wir unterscheiden uns so gerne. Man will ja wissen, wer man ist. Und wie soll das gehen, ohne zu sagen: Ich bin anders als Du! Und gestehen wir es uns ruhig ein, wir wollen eben auch möglichst besser sein als andere. Es wurde uns eingeimpft, dass wir uns herausheben müssen, um wer zu sein, nicht wie beim kleinen Prinzen, wo viele Rosen gleich sein dürfen und Unterschiede mehr in der Vertrautheit liegen.
Das treibt dann leider auch in unserem Feld unwürdige Stilblüten. Wir erheben irgendetwas, was es längst gibt, zum wichtigen Alleinstellungsmerkmal oder versuchen zumindest durch neue Namen diesen Eindruck zu erwecken. Mein Gegenbild: In meinem Blumenstrauß ist wohl kaum eine Blüte, die es nicht auch anderswo gibt. Besonders ist nur meine Zusammenstellung.
Oder wir machen aus Unterschieden Polaritäten und polemisieren damit gegen andere. Dass wir uns selbst dabei auf polare Stilisierungen reduzieren und Extremismus schüren, fällt vielleicht nicht auf. Missbräuchliche Abgrenzung von anderen öffnet Ausgrenzung und Ausbeutung Tür und Tor. Alles auch als kulturelle Erfahrung uralt, aber wieder sehr im Schwange.
„An nichts gewöhnt sich der Mensch so schnell wie an Privilegien“ Die daraus erwachsenden Ungerechtigkeiten wollen wir nicht wahrhaben. Wir verklären Unterschiede, etwa in Einkommen, Vermögen, Bildung und Status als unsere persönlichen Verdienste. Kann ja auch was dran sein, aber vielleicht nur zu einem kleinen Prozentsatz. Insoweit sollten wir uns die Früchte gönnen. Der Rest: Herkunft und Milieu, Chancen bezüglich Absicherung, Bildung, Finanzausstattung, Rechtsstaat und Infrastruktur, also geschenkte Privilegien aller Art. Da müsste man vielleicht ernsthaft über aktiven Verzicht auf Bevorzugung und übers Teilen nachdenken. Aber wollen wir von uns denken, dass unser eigenes Verdienst vielleicht bescheiden ist, wir aber halt zufällig zur rechten Zeit am rechten Platz waren?
Wir leben in einer zentrifugalen Welt, die uns um die Ohren zu fliegen droht. Ohne aktives Engagement für Integration, also für ein verträgliches Nebeneinander und besser noch ein stärkendes Miteinander ist dem nicht entgegenzuwirken. Durch Schönreden und Freikaufen allein ist das nicht zu erreichen. Hier sind aktives Engagement, unternehmerische und politische Verantwortung gefragt. Und eben nicht nur, wenn die Unterschiede komfortabel sind. Die Toleranz fängt dort an, wo Unterschiede schwer zu ertragen sind, wir aber zusammenwirken müssen. Wir müssen streiten, gerne heftig, aber respektvoll und fair. Und dort, wo alles am Entgleisen ist, dürfen wir kein Öl ins Feuer gießen. Und manchmal sollten wir den Ball flach halten und freundlich sein. „Freundlichkeit ist die kleine Schwester der Liebe.“[1]
[1] (B. Schmid Originalton)
Danke auch dass das gute Streiten und das nicht so gute Schönreden auch erwähnt wurde
Ich teile es bei den kritischen Pth:innen
AL
Sabine Klar
Lieber Bernd,
sei bedankt für Deine klugen und eindringlichen Gedanken, besonders für die Unterscheidung zwischen komfortablen und nicht komfortablen Unterschieden. Heute wäre mein Vater 100 Jahre alt geworden. Er war und ist mir ein Vorbild im respektvollen Aushalten von für ihn sehr unkomfortablen Unterschieden.
Herzliche Grüße
Andreas