Als ich den Aufruf zum diesjährigen Adventskalender las, habe ich mich wieder sofort angesprochen gefühlt und bekam einen Impuls, meinen kleinen Beitrag zu leisten, der ein wenig aufmuntern soll. Er stellt einen Unterschied dar in Anbetracht zu den Grausamkeiten, die momentan allgegenwärtig und sehr präsent sind.
Ich transkribiere meine erste „Klientin-Therapeuten-Begegnung“ vor fast genau 18 Jahren, als ich vom Angestelltenverhältnis in die Selbständigkeit wechselte.
Ich nenne die Begegnung – „Der Kochtopf“
Damals kam ich von einem Fortbildungskurs in „Impact-Techniken für die Psychotherapie nach Dani Beaulieu und wollte diese Methode auch in die Erstsitzung implementieren.
Aus der Anmelde-E-Mail der Klienten ging hervor, dass sie unter extrem Druck stehen würde und sich ein Ventil erhoffe, damit dieser Druck nachlässt. Dieses Thema wollte ich in die Sitzung einfließen lassen. Aber es kam ganz anders…
…es begann an der Praxistür
Ich höre die Klingel der Praxis und gehe sehr motiviert und leicht aufgeregt zur Tür, sehe die Klienten (vom Alter her hätte sie meine Großmutter sein können) und öffne die Tür…
Klientin: Hallo, ich wollte zu Herrn Gildehaus.
D.G.: (Völlig verwirrt) Oh, okay… Haben Sie mit Herrn Gildehaus heute einen Termin vereinbart?
Klientin: Ja, ganz sicher! Ich kann Ihnen die E-Mail zeigen, da wurde mir der Termin von ihrem Vater mitgeteilt.
D.G.: Ähm, dass ist ja seltsam. Kommen Sie erstmal rein. Ich bringe Sie schon einmal ins Zimmer und schaue dann, wo mein Vater sich aufhält.
Klientin: (Folgt mir ohne Worte ins Zimmer.)
D.G.: Nehmen Sie doch schon einmal Platz. Wollen Sie etwas zu trinken? Wasser oder Tee? Kaffee?
Klientin: (freundlich) Nein danke, ich habe meine eigene Wasserflasche dabei.
D.G.: Okay, super. Dann schaue ich mal nach, wo sich mein Dad aufhält.
Klientin: Alles klar.
D.G.: (total unsicher aber irgendwie auch kindlich motiviert rufend) Papa? Hallo? Bist du hier? Komisch, vorhin habe ich ihn doch gesehen.
(wieder auf dem Weg ins Therapiezimmer) Haben Sie denn heute wirklich einen Termin mit meinem Vater?
Klientin: Ja, definitiv! (leicht aufgebracht)
D.G.: Das ist wirklich seltsam und ich glaube, dass ist noch nie vorgekommen. Zumindest hoffe ich, dass es noch nie vorgekommen ist (verzweifelnd schauend).
Klientin: Was machen wir denn jetzt?
D.G.: Wissen Sie was, ich habe eine Idee. Es ist ja nicht so, dass ich nicht auch Erbanlagen meines Vaters inne habe… darüber hinaus habe ich viel von ihm gelernt, weil er mir viel erzählt hat in all den Jahren. Was halten Sie davon, wenn ich ausnahmsweise die heutige Erststunde führe? Im Anschluss werde ich meinem Vater alle Details mitgeben und ihn natürlich rügen, dass er den Termin mit Ihnen scheinbar verpennt hat.
Klientin: (lachend) Okay, können Sie mich denn wirklich behandeln?
D.G.: Naja, Sie können natürlich auch wieder gehen und vereinbaren einen neuen Termin. Es hat für mich aber einen faden Beigeschmack, wenn ich Ihnen nicht das Angebot unterbreiten würde, in den Genuss des Juniors zu kommen. (lächelnd)
Klientin: (lächelnd) Das ist total witzig… aber in Ordnung, dann machen wir es so.
D.G.: Gut, danke für Ihr Vertrauen. Was halten Sie davon, wenn wir ein kleines Experiment machen (lächelnd)?
Klientin: Kommt drauf an (leicht irritiert).
D.G.: Wir beide tauschen jetzt einfach mal die Plätze und somit auch die Rollen, okay?
Klientin: Wie jetzt? (irritiert)
D.G.: Naja, Sie setzen sich auf dem Platz meines Vaters und ich setze mich auf Ihren Platz. Dann tun wir beide so, als seien Sie mein Vater und ich tue so, als sei ich Sie, okay?
Klientin: Na gut, wenn Sie meinen (lachend).
D.G. Ja, lassen Sie es uns versuchen.
Klientin: (setzt sich auf meinen Platz)
D.G.: Ich setze mich auf den Platz der Klientin und warte kurz ab.
Klientin: Und jetzt? (leicht unsicher)
D.G. Jetzt würde ich einfach mal anfangen, okay?
Klientin: Ich bin gespannt.
D.G.: Hallo Herr Gildehaus, ich glaube, dass ich Ihnen eine E-Mail zukommen lassen habe mit meinen Beweggründen, Sie aufzusuchen. Haben Sie die E-Mail erhalten?
Klientin: (leicht irritiert) Ja, ich habe sie bekommen.
D.G.: Super! Dann wissen Sie ja, dass ich momentan total überfordert bin mit meiner Rolle als Mutter, Ehefrau, Angestellte und Hausfrau, oder?
Klientin: Ja, das haben Sie mir geschrieben. (selbstsicher)
D.G.: Und ich habe Ihnen geschrieben, dass ich unter extremen Druck stehe und dass sich unbedingt etwas ändern muss, stimmt´s?
Klientin: Ja, genau! So haben Sie mir Ihre Situation beschrieben.
D.G.: Dann bin ich ja beruhigt, dass alles angekommen ist und Sie mich verstehen. Da Sie ja der Fachmann sind, brauche ich jetzt auch dringend (mit den Händen fuchtelnd) Ihre Hilfe. Ich fühle mich wirklich so, als wäre ich ein Kochtopf, der voll unter Druck steht. Das ist wirklich nicht mehr witzig und ich halte es auch nicht mehr lange aus! (ich schaue die Klientin verzweifelt an) Was soll ich denn jetzt nur machen? (verzweifelte Blicke)
Klientin: Hören Sie mal, wie wäre es, wenn Sie den Personen, die die Schalter des Herdes betätigen und hochdrehen, mal gehörig auf die Flossen hauen!?
D.G.: (völlig irritiert) Wie bitte?
Klientin: Hören Sie endlich auf, sich alles gefallen zu lassen! (voller Überzeugung)
D.G.: Okay, okay! Wahnsinn! Aber wie mache ich es denn genau?
Klientin: Es ist doch ganz einfach! Sie fangen langsam an, den Mund aufzumachen und den Leuten auf die Finger zu hauen, okay?
D.G.: Von Gewalt halte ich eigentlich nichts. (leicht verunsichert schauend)
Klientin: Es geht doch nicht darum, dass Sie den Leuten wirklich auf die Finger hauen…Sie sollen einfach anfangen, Ihre Meinung kundzutun.
D.G.: Wow, so habe ich das noch nie gesehen! (voller Freude)
Klientin: Sag ich doch. (voller Freude)
D.G.: Gut, ich werde es versuchen.
Klientin: Sie machen Sich mal Gedanken dazu, wie Sie es schaffen können und dann sprechen wir nächstes Mal wieder, in Ordnung?
D.G.: Ja klar, aber nächstes Mal wird Sie mein Vater behandeln und ich denke, wir sollten die Rollen jetzt wieder wechseln, okay?
Klientin: Mh, ich fand es eigentlich richtig klasse, ich glaube, ich habe den falschen Job! (lachend) Das war wirklich richtig cool! (Freude)
D.G.: Darf ich Sie noch zur Tür begleiten?
Klientin: Natürlich dürfen Sie.
D.G.: Okay, mein Vater wird sich schnellstmöglich bei Ihnen melden und einen neuen Termin mit Ihnen vereinbaren, okay?
Klientin: Gerne! (lächelnd)
D.G.: Ich bin ja mal gespannt, wie mein Vater reagieren wird, wenn ich ihm berichte, dass ich das Erstgespräch geführt habe. Er wird sicherlich aus allen Wolken fallen.
Klientin: Grüßen Sie ihn mal von mir. (lachend) Sie haben das wirklich gut gemacht! Vielleicht sollten Sie auch Psychotherapeut werden? (lachend)
D.G.: (lachend) Mal schauen, was die Zukunft bringt.
Noch am selben Abend bekam ich eine Nachricht der Klientin via E-Mail, dass sie im Internet recherchiert habe und dann erst verstanden hat, worum ging. Sie war total beeindruckt, dass ich „Das Experiment“ mit ihre gemacht habe und nicht von meinem Standpunkt weggerückt sei, dass ich der Junior sei. Am besten empfand sie aber die Idee mit dem Kochtopf und sie würde jetzt beginnen, nicht mehr alles in sich hineinzufressen. Stattdessen würde sie jetzt ihre Meinung sagen und diese auch verteidigen – ohne WENN und ABER!
Zum Schluss ergänzte sie noch: „Hätten Sie diesen Einstieg nicht gewählt, kann ich Ihnen versichern, dass ich wieder gegangen wäre. Ich empfand Sie wirklich als zu jung. Aber jetzt ist alles gut. Bitte schicken Sie mir Terminvorschläge.“
Lieber Dennis Gildehaus, wir kannten uns noch nicht, aber was ich da von Ihnen gelesen habe, hat mir sehr, sehr gut gefallen! Weiter so keck und lustig!
Mit herzlichen Grüßen – auch an Ihren Vater ;-)) –
Peter Müssen
Das gefällt mir! Mutig, Mut machend, frech. Ein Unterschied!