Das neue Heft von„Soziale Systeme“, das in diesem Frühjahr erschienen ist (auch wenn es noch unter Heft 1/2011 firmiert), bietet wieder eine Fülle interessanter Beiträge für alle systemtheoretisch interessierten Leserinnen und Leser. Ein Highlight ist ein bislang unveröffentlichter Aufsatz von Niklas Luhmann aus dem Jahre 1975 zum Thema„Strukturauflösung durch Interaktion“, der auch auf der website der Zeitschrift online gelesen werden kann, und zwar hier. Im abstract heißt es:„Die folgenden Überlegungen gehen von der Erkenntnis aus, dass mit der Wahl einer Systemreferenz alle anderen Systeme und deren Umwelten als Umwelt des Bezugssystems impliziert sind. Dies gilt auch für Interaktionssysteme, die sich stets in einer Umwelt anderer Systeme, seien es Personen oder andere Sozialsysteme, befinden. In ganz verschiedenen Kontexten trifft man immer wieder auf die Erwartung, dass eine gezielte Auflösung und Rekombination von Systemstrukturen möglich ist, wobei die Forcierung dieses Prozesses zur Sache eines Interaktionssystems wird, das sich auf die Systemänderung eines anderen Systems spezialisiert. Um zu verstehen, wieso Strukturen Änderungen Widerstand entgegensetzen, muss ein komplexitätstheoretisches Verständnis zugrunde gelegt werden: Ein System ist komplex in dem Sinne, dass es eine Vielzahl von qualitativ verschiedenartigen Elementen in nichtbeliebiger Weise verknüpft. Strukturauflösung heißt dann: Wiederherstellung des quantitativen Überschusses an Relationierungsmöglichkeiten. In dem Maße, als Strukturauflösung gelingt, wird die Aktivierung einzelner Relationen im System zur Sache externer, mit dem System nicht mehr abgestimmter Determination. Ob und unter welchen Voraussetzungen Strukturänderung durch Interaktionen möglich ist, hängt daher nicht nur von den Strukturen selbst ab, sondern auch von der Einwirkungskapazität des Interaktionssystems. Die wichtigsten Voraussetzungen dafür sind die eigene Temporalität des Interaktionssystems sowie die Kombination von Wahrnehmung und Kommunikation. Ob die Strukturauflösung durch die Interaktion trotz ihrer beschränkten Systemkomplexität selbst thematisiert werden kann, hängt einerseits davon ab, dass das Interaktionssystem besonderen Bedingungen (Professionalisierung, organisatorische Disziplinierung, Öffentlichkeit) unterliegt, und andererseits davon, dass das von Strukturauflösungen betroffene System in wesentlichen Hinsichten (Interdependenzformen, Geschichtslosigkeit) entgegenkommt, das heißt Strukturauflösung selbst ermöglicht“
Über diesen Artikel hinaus sind u.a. interessante Beiträge zum Thema Affekte und Systemtheorie (von Juliane Riese und Robert Seyfert) und zum Professionsverständnis Luhmanns zu finden. Elena Esposito steuert einen Text zum Begriff der Kontingenz bei und Elke Wagner setzt sich mit der Kultur der Medizinkritik auseinander. Lesen!
Zu den vollständigen abstracts
Strukturauflösung durch Interaktion
7. Juni 2012 | Keine Kommentare