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Schlüssel zum Glück

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Tapp, tapp, tapp, hin und her und ohne Unterbruch: Fast jede Nacht hört sie die Schritte der Schwiegermutter im oberen Stockwerk, erzählt Luise, obwohl diese seit 21 Jahren tot ist, und dann sei es mit ihrem Schlaf vorbei. Ernst schnarcht friedlich neben ihr und nennt Luises Besessenheit von der Vergangenheit ein bisschen krank. Dabei wohnen sie in einem wunderschönen alten Haus über dem See. «Paradies» habe er das Haus genannt, damals, als er Luise bat, seine Frau zu werden, und auch sie fand das Haus und besonders den Garten wunderschön. Klar, dass er seine verwitwete Mutter nicht aus dem Haus jagte, als Luise mit ihm in die untere Wohnung zog. Platz war ja genug da, auch, als die Kinder kamen. Aber dass die Frauen es wieder einmal nicht schafften, friedlich zusammenzuleben, sei für ihn als Mann unverständlich. Typisch Schwierigtochter und Schwierigmutter!
Dann reicht Luise die Scheidung ein, weil sie völlig am Rand sei. Muttersohn nennt sie ihren Mann, und Feigling, der um finanzielle Unterstützung für sein Geschäft und ein schönes Haus Mutters braver Bub geblieben sei. Für Luise habe er sich nie stark gemacht bei seiner Familie, im Gegenteil. Ihr blieb Anpassung und stille Wut, die sie depressiv in sich hineinwürgte. Ernst ist, wie so viele andere «unabgelöste» Söhne, der Schlüssel zum Unglück seiner Frau. Nicht das Verhältnis Schwiegermutter-Schwiegertochter, sondern seine fehlende Autonomie wird Thema. Aber das alles ist jetzt vorbei. Luise verlässt das Paradies. Sie kann arbeiten, hat etwas Erspartes, und die Kinder sind selbständig. Nur Ernst versteht immer noch nichts.
Es geht aber auch anders! Felix und Daniela, beide Mitte 30, mit zwei kleinen Kindern, kommen in ähnlicher Lage zu mir. Seine verwitwete Mutter hat den Vorschlag gemacht, ihnen eine grosse Wohnung zu kaufen und darin eine abgegrenzte Ecke für sich zu gestalten, damit sie näher bei den geliebten Enkeln sei. Versteh ich doch, sagt Daniela, und schämt sich, dass sie bei der Idee der trauten Grossfamilie in Panik gerät. Eine Zeitlang hält Felix sich heraus und hofft, seine Mutter würde Danielas Zurückhaltung selber bemerken. Dann fasst er sich ein Herz und lädt seine Mutter zu einem Spaziergang ein. Erzählt ihr von seinem Dilemma zwischen ihr und seiner Frau und bittet sie, die Fäden der Liebe zu ihm zu lockern, damit seine Loyalität ihr erhalten bleibe. Und siehe da: Mutter erzählt ihm eine schmerzliche eigene Geschichte mit ihrer damaligen Schwiegerfamilie. Mutig entscheidet sie sich später, die Geschichte nicht zu wiederholen, und kauft eine Wohnung für sich allein.

Im Jahre 2002 hat die im vergangenen Jahr verstorbene systemische Paartherapeutin Rosmarie Welter-Enderlin allwöchentlich Sonntags in der Neuen Zürcher Zeitung eine Kolummne mit dem schönen Titel„Paarlauf“ veröffentlicht, in der sie kleine Beobachtungen und Geschichten aus ihrer paartherapeutischen Praxis für ein größeres Publikum zugänglich machte. Rudolf Welter hat aus diesen Beiträgen eine kleine Broschüre zum Andenken an Rosmarie Welter-Enderlin gestaltet. Mit seiner freundlichen Erlaubnis können die LeserInnen des systemagazin an diesen Sonntagen die Texte auch online lesen.

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