Heute beginge Rosmarie Welter-Enderlin ihren 80. Geburtstag. In seinem Nachruf schreibt Bruno Hildenbrand in der Familiendynamik 3/2010: „Rosmarie Welter-Enderlins Markenzeichen war es, Herkunft und Zukunft, Erhalten und Verändern zusammenzudenken. Beim Denken blieb es dabei nicht, sondern das Denken war stets auf Handeln bezogen: auf Beratung und Therapie. In den vielen Jahren, in denen Rosmarie Welter-Enderlin im Feld der systemischen Beratung und Therapie das Wort ergriffen hat, bildete die Metapher von Wurzeln und Flügeln den roten Faden, der es ihr ermöglichte, zu therapeutischen Moden, die kamen und gingen, eine Haltung des kritisch-distanzierten Interesses einzunehmen.“ Dieser rote Faden zieht sich durch alle ihre Texte, die daher auch und gerade heute unbedingt lesenswert sind. 1991 hat sie auf den 40. Lindauer Therapietagen, einen Vortrag über „Menschenbild und Therapiekonzept in der Systemtheorie“ gehalten, der in der Reihe „Lindauer Texte“ 1991 im Springerverlag veröffentlicht worden ist.
Darin schreibt sie: „Systemtherapeutisches Handeln ist geleitet von einer Haltung des Kultivierens, zu der sowohl das warme Tuch des Verstehens und der Empathie gehört, das ich Menschen umlege, als auch der Mut, Dinge so zu benennen, daß alte, eingefrorene Zuschreibungen verflüssigt werden und neue Perspektiven entstehen können. Das geschieht sowohl durch die Art der Gesprächsführung – z.B., indem ich durch Fragen nach Unterschieden (,,was wäre das Beste, was das Schlimmste“, „worin bestehen die Ausnahmen zum problematischen Verhalten“) Wahlmöglichkeiten aufzeige, als auch durch direkte Vorschläge von Experimenten im Alltag mit dem Ziel, neue Informationen zu erzeugen. Die Einbeziehung jener Menschen, welche die Probleme mitdefinieren und an ihrer Lösung beteiligt sind, ermöglicht Konsensfindung und neue Erfahrungen im Alltag. Klientinnen und Klienten werden dadurch unabhängiger von Expertinnen und Experten sowie von Institutionen. Ich gehe davon aus, daß ich zwar in meinem eigenen Leben verantwortlich bin und zu entscheiden habe, was ich als gut oder böse beurteile, daß ich diese Verantwortung aber nicht übernehmen kann für meine Klientinnen und Klienten. Wichtig ist mir jedoch, ihnen durch das Aufzeigen von Handlungsfreiräumen im Sinne von Transparenz (Aufklärung) Mut zu machen, eigene Verantwortung zu übernehmen und sich zu entscheiden, welchen Weg sie gehen wollen. Trotz dieses emanzipatorischen Anliegens komme ich jedoch nicht darum herum, meine eigenen Werte zu reflektieren und dort auszusprechen, wo sie im Widerspruch stehen zu denen meiner Klienten. Besonders wichtig ist mir das bei Problemen von Gewalt und Machtmißbrauch in menschlichen Beziehungen.“
Sie finden das ganze Buch als PDF hier, den Text von Rosmarie Welter-Enderlin auf den Seiten 182-196.