Spinoza, der seinerzeit die eigene Unabhängigkeit einer sicheren, doch abhängigen Anstellung vorzog, beschrieb Reue als ein doppeltes Elend. Sie mache einem nicht nur klar, dass man etwas verschuldet hat, sondern lasse einen auch noch an diesem Umstand leiden. Was also sollte es mit Reue Brauchbares auf sich haben, immerhin hat sie sich als reale Möglichkeit gehalten über all die Zeit, allen Konkurrenzen in Form heiteren Übergehens von Gewesenem zum Trotz. Sie ist nicht ausgemendelt worden, scheint also für etwas gut zu sein. Doch für was nur? Dirk Kranz (Foto: Universität Trier) hat im Jahr 2005 an der Universität Trier eine Dissertation zum Thema vorgelegt: Was nicht mehr zu ändern ist. Eine Untersuchung zur Reue aus bewältigungstheoretischer Sicht. Erstgutachter war Jochen Brandtstädter, Zweitgutachterin war Sigrun-Heide Filipp. Beide stehen für das Forschungsprojekt einer Entwicklungspsychologie der Lebensspanne. Dirk Kranz gehört mittlerweile zum Team an der Universität Trier, dem Jochen Brandtstädter bis zu seiner Emeritierung vorstand. Brandtstädter hat sich in seinem Modell assimilativer und akkomodativer Prozesse intensiv mit der Dynamik zwischen hartnäckiger Zielverfolgung und flexibler Zielanpassung befasst. Kranz greift Brandtstädters Überlegungen auf und diskutiert in seiner Dissertation u.a. die Frage nach der Funktion der Reue im Hinblick auf Selbstregulation und Wohlbefinden. Er fügt der situationalen Unterscheidung zwischen tätiger Reue und lähmender Reue die Frage nach der Disposition hinzu: Ob man es bei irreversiblen Fehlern schafft, diesbezügliche Reuegefühle zu überwinden, hängt maßgeblich davon ab, wie man im Allgemeinen mit Zielen, insbesondere mit bislang unerreichten wie künftig unerreichbaren, umgeht. Zentral ist die Fähigkeit, persönliche Vorhaben mit gegebenen Realisierungsmöglichkeiten abzustimmen und sich nötigenfalls von aussichtslosen Bestrebungen zu trennen. Diese akkommodative Flexibilität sollte gerade im Falle selbstverschuldeter, daher besonders belastender Zielblockaden vor einer lähmenden Reue schützen. So gesehen kann die Reue je nach Randbedingung eine durchaus intelligente Emotion sein (S.145). Die Dissertation endet mit einer existenziell anmutenden Überlegung. Kranz bekennt sich zu der Ansicht, dass Einsicht in eigene Fehler ohne Reue nicht zu haben ist. Emotionen sind eben nicht das mal lästige, mal willkommene Beiwerk unserer Kognitionen, sondern sie sind dringliche Kognitionen, und zwar jene, die primär uns betreffen, unser Handeln, unsere Entwicklung, unsere Beziehungen. Gewiss möchte sich jeder eine konkrete Reue ersparen, aber wünscht man sich ernsthaft, für Reue generell unempfänglich zu sein? Wohl kaum, denn Reue erfüllt wesentliche Aufgaben: Einsicht in das eigene Fehlverhalten und Antrieb zur Wiedergutmachung. Dieser funktionale Aspekt ist der Globalkritik der Reue entgegenzuhalten. Er öffnet vielmehr eine differenziertere Sichtweise auf die Rationalität der Reue: Wir erkennen eine Fehlentscheidung oder -handlung und machen diese wieder gut, indem wir bereuen. Wenn die Einsicht in den eigenen Fehler aber geschehen, dieser jedoch nicht mehr zu beheben ist, bekommt nachhaltige Reue tatsächlich ein irrationales Moment. (S.147).
Die Dissertation von Dirk Kranz gibts im Volltext hier
Reue als intelligente Emotion?
31. Oktober 2012 | Keine Kommentare